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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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schor in der größten Geschwindigkeit ihm Haupthaar und Bart glatt hinweg; ein gleiches geschah hierauf dem Schneider. Doch ihre Angst verschwand, als der Alte nach vollbrachter Arbeit beiden freundlich auf die Schulter klopfte, als wollte er sagen, sie hätten es gut gemacht daß sie ohne Sträuben Alles willig hätten geschehen lassen. Er zeigte mit dem Finger auf einen Haufen Kohlen, der zur Seite lag, und deutete ihnen durch Gebärden an daß sie ihre Taschen damit füllen sollten. Beide gehorchten, obgleich sie nicht wußten wozu ihnen die Kohlen dienen sollten, und giengen dann weiter, um ein Nachtlager zu suchen. Als sie ins Thal gekommen waren, schlug die Glocke des benachbarten Klosters zwölf Uhr: augenblicklich verstummte der Gesang, Alles war verschwunden, und der Hügel lag in einsamem Mondschein.

Die beiden Wanderer fanden eine Herberge und deckten sich auf dem Strohlager mit ihren Röcken zu, vergaßen aber wegen ihrer Müdigkeit die Kohlen zuvor heraus zu nehmen. Ein schwerer Druck auf ihren Gliedern weckte sie früher als gewöhnlich. Sie griffen in die Taschen und wollten ihren Augen nicht trauen, als sie sahen daß sie nicht mit Kohlen, sondern mit reinem Gold angefüllt waren; auch Haupthaar und Bart war glücklich wieder in aller Fülle vorhanden. Sie waren nun reiche Leute geworden, doch besaß der Goldschmied, der seiner habgierigen Natur gemäß die Taschen besser gefüllt hatte, nocheinmal so viel als der Schneider. Ein Habgieriger, wenn er viel hat, verlangt noch mehr, der Goldschmied machte dem Schneider den Vorschlag, noch einen Tag zu verweilen, am Abend wieder hinaus zu gehen, um sich bei dem Alten auf dem Berge noch größere Schätze zu holen. Der Schneider wollte nicht und sagte 'ich habe genug und bin zufrieden: jetzt werde ich Meister, heirathe meinen angenehmen Gegenstand (wie er seine Liebste nannte) und bin ein glücklicher Mann.' Doch wollte er, ihm zu Gefallen, den Tag noch bleiben. Abends hieng der Goldschmied

schor in der größten Geschwindigkeit ihm Haupthaar und Bart glatt hinweg; ein gleiches geschah hierauf dem Schneider. Doch ihre Angst verschwand, als der Alte nach vollbrachter Arbeit beiden freundlich auf die Schulter klopfte, als wollte er sagen, sie hätten es gut gemacht daß sie ohne Sträuben Alles willig hätten geschehen lassen. Er zeigte mit dem Finger auf einen Haufen Kohlen, der zur Seite lag, und deutete ihnen durch Gebärden an daß sie ihre Taschen damit füllen sollten. Beide gehorchten, obgleich sie nicht wußten wozu ihnen die Kohlen dienen sollten, und giengen dann weiter, um ein Nachtlager zu suchen. Als sie ins Thal gekommen waren, schlug die Glocke des benachbarten Klosters zwölf Uhr: augenblicklich verstummte der Gesang, Alles war verschwunden, und der Hügel lag in einsamem Mondschein.

Die beiden Wanderer fanden eine Herberge und deckten sich auf dem Strohlager mit ihren Röcken zu, vergaßen aber wegen ihrer Müdigkeit die Kohlen zuvor heraus zu nehmen. Ein schwerer Druck auf ihren Gliedern weckte sie früher als gewöhnlich. Sie griffen in die Taschen und wollten ihren Augen nicht trauen, als sie sahen daß sie nicht mit Kohlen, sondern mit reinem Gold angefüllt waren; auch Haupthaar und Bart war glücklich wieder in aller Fülle vorhanden. Sie waren nun reiche Leute geworden, doch besaß der Goldschmied, der seiner habgierigen Natur gemäß die Taschen besser gefüllt hatte, nocheinmal so viel als der Schneider. Ein Habgieriger, wenn er viel hat, verlangt noch mehr, der Goldschmied machte dem Schneider den Vorschlag, noch einen Tag zu verweilen, am Abend wieder hinaus zu gehen, um sich bei dem Alten auf dem Berge noch größere Schätze zu holen. Der Schneider wollte nicht und sagte ‘ich habe genug und bin zufrieden: jetzt werde ich Meister, heirathe meinen angenehmen Gegenstand (wie er seine Liebste nannte) und bin ein glücklicher Mann.’ Doch wollte er, ihm zu Gefallen, den Tag noch bleiben. Abends hieng der Goldschmied

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[385/0397] schor in der größten Geschwindigkeit ihm Haupthaar und Bart glatt hinweg; ein gleiches geschah hierauf dem Schneider. Doch ihre Angst verschwand, als der Alte nach vollbrachter Arbeit beiden freundlich auf die Schulter klopfte, als wollte er sagen, sie hätten es gut gemacht daß sie ohne Sträuben Alles willig hätten geschehen lassen. Er zeigte mit dem Finger auf einen Haufen Kohlen, der zur Seite lag, und deutete ihnen durch Gebärden an daß sie ihre Taschen damit füllen sollten. Beide gehorchten, obgleich sie nicht wußten wozu ihnen die Kohlen dienen sollten, und giengen dann weiter, um ein Nachtlager zu suchen. Als sie ins Thal gekommen waren, schlug die Glocke des benachbarten Klosters zwölf Uhr: augenblicklich verstummte der Gesang, Alles war verschwunden, und der Hügel lag in einsamem Mondschein. Die beiden Wanderer fanden eine Herberge und deckten sich auf dem Strohlager mit ihren Röcken zu, vergaßen aber wegen ihrer Müdigkeit die Kohlen zuvor heraus zu nehmen. Ein schwerer Druck auf ihren Gliedern weckte sie früher als gewöhnlich. Sie griffen in die Taschen und wollten ihren Augen nicht trauen, als sie sahen daß sie nicht mit Kohlen, sondern mit reinem Gold angefüllt waren; auch Haupthaar und Bart war glücklich wieder in aller Fülle vorhanden. Sie waren nun reiche Leute geworden, doch besaß der Goldschmied, der seiner habgierigen Natur gemäß die Taschen besser gefüllt hatte, nocheinmal so viel als der Schneider. Ein Habgieriger, wenn er viel hat, verlangt noch mehr, der Goldschmied machte dem Schneider den Vorschlag, noch einen Tag zu verweilen, am Abend wieder hinaus zu gehen, um sich bei dem Alten auf dem Berge noch größere Schätze zu holen. Der Schneider wollte nicht und sagte ‘ich habe genug und bin zufrieden: jetzt werde ich Meister, heirathe meinen angenehmen Gegenstand (wie er seine Liebste nannte) und bin ein glücklicher Mann.’ Doch wollte er, ihm zu Gefallen, den Tag noch bleiben. Abends hieng der Goldschmied

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/397>, abgerufen am 24.11.2024.