Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.strophenmäßigen, singbaren Volksgedichte ein Vorbild gewesen. Ob ein Lied von der Länge dieses Tyturels jemals vor- Nicht anders verhält es sich endlich mit den Spruchge- 136) Wurde die Ilias mehr gesungen oder recitirt? In dem ersten allerdings zu vermuthenden Fall, da die Begleitung mit der Cither schwach gewesen zu seyn scheint und die griechische Har- monie mit dem Rhythmus innig verwandt war, ist anzunehmen, daß der in jedem Hexameter liegende Grundrhythmus zugleich auch die Musik bestimmt habe. Maaß und Musik kehrten also (innerer steter Abwechselung unbeschadet) mit jeder Zeile wieder, ohne je zu ermüden; ein Hauptunterschied von unserer Nibe- lungenweise, wo die Zusammennahme von vier Zeilen zu einem Ganzen und zu einer Melodie. 137) Z. B. in dem (von unserm Loherangrin durchaus verschiede- nen) Garin le Loherens. Da heißt es im Anfang neuer Ab- schnitte: huimes dirom oder lirom. (Aujourdhui nous dirons, lirons.) 138) Cf. Ranisch 323. Sprüche und Spiel vom Meistergesang un-
terschieden. ſtrophenmaͤßigen, ſingbaren Volksgedichte ein Vorbild geweſen. Ob ein Lied von der Laͤnge dieſes Tyturels jemals vor- Nicht anders verhaͤlt es ſich endlich mit den Spruchge- 136) Wurde die Ilias mehr geſungen oder recitirt? In dem erſten allerdings zu vermuthenden Fall, da die Begleitung mit der Cither ſchwach geweſen zu ſeyn ſcheint und die griechiſche Har- monie mit dem Rhythmus innig verwandt war, iſt anzunehmen, daß der in jedem Hexameter liegende Grundrhythmus zugleich auch die Muſik beſtimmt habe. Maaß und Muſik kehrten alſo (innerer ſteter Abwechſelung unbeſchadet) mit jeder Zeile wieder, ohne je zu ermuͤden; ein Hauptunterſchied von unſerer Nibe- lungenweiſe, wo die Zuſammennahme von vier Zeilen zu einem Ganzen und zu einer Melodie. 137) Z. B. in dem (von unſerm Loherangrin durchaus verſchiede- nen) Garin le Loherens. Da heißt es im Anfang neuer Ab- ſchnitte: huimes dirom oder lirom. (Aujourdhui nous dirons, lirons.) 138) Cf. Raniſch 323. Spruͤche und Spiel vom Meiſtergeſang un-
terſchieden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0149" n="139"/> ſtrophenmaͤßigen, ſingbaren Volksgedichte ein Vorbild geweſen.<lb/> Das iſt nun auch der Fall, und ſchon oben im Beiſpiel von<lb/> Wolframs Tyturel bewieſen. Ein wirklicher Meiſterſang, im-<lb/> gleichen der Loherangrin und einige andere.</p><lb/> <p>Ob ein Lied von der Laͤnge dieſes Tyturels jemals vor-<lb/> oder ausgeſungen worden iſt, kann uns hier gleich gelten. Es<lb/> hat zu viel fuͤr ſich, daß man es mit den Nibelungen in der<lb/> That und fruͤher immer ſo gehalten, die einzelnen Abenteuer<lb/> boten die Ruhepuncte, womit man es etwa fuͤr einen Abend<lb/> bewenden ließ <note place="foot" n="136)">Wurde die Ilias mehr geſungen oder recitirt? In dem erſten<lb/> allerdings zu vermuthenden Fall, da die Begleitung mit der<lb/> Cither ſchwach geweſen zu ſeyn ſcheint und die griechiſche Har-<lb/> monie mit dem Rhythmus innig verwandt war, iſt anzunehmen,<lb/> daß der in jedem Hexameter liegende Grundrhythmus zugleich<lb/> auch die Muſik beſtimmt habe. Maaß und Muſik kehrten alſo<lb/> (innerer ſteter Abwechſelung unbeſchadet) mit jeder Zeile wieder,<lb/> ohne je zu ermuͤden; ein Hauptunterſchied von unſerer Nibe-<lb/> lungenweiſe, wo die Zuſammennahme von vier Zeilen zu einem<lb/> Ganzen und zu einer Melodie.</note>. Auch das bloße Leſen kurzzeiliger Ge-<lb/> dichte erforderte ſolche Abſchnitte, in deutſchen habe ich ſie ſel-<lb/> ten angedeutet gefunden, mehr in einigen altfranzoͤſiſchen <note place="foot" n="137)">Z. B. in dem (von unſerm Loherangrin durchaus verſchiede-<lb/> nen) <hi rendition="#aq">Garin le Loherens</hi>. Da heißt es im Anfang neuer Ab-<lb/> ſchnitte: <hi rendition="#aq">huimes dirom</hi> oder <hi rendition="#aq">lirom. (Aujourdhui nous<lb/> dirons, lirons.)</hi></note>.</p><lb/> <p>Nicht anders verhaͤlt es ſich endlich mit den Spruchge-<lb/> dichten. Unſere Meiſter koͤnnen dergleichen gemacht haben und<lb/> thaten es von Conrad von Wirzburg bis auf Hans Sachs.<lb/> Aber Meiſterſaͤnge ſind das nicht <note place="foot" n="138)"><hi rendition="#aq">Cf.</hi> Raniſch 323. Spruͤche und Spiel vom Meiſtergeſang un-<lb/> terſchieden.</note>. Vermuthlich hat es<lb/> auch bloße Spruchdichter gegeben, wie wir in dem Teichner<lb/> und ſpaͤter in dem Nuͤrnberger Wilhelm Weber ſehen. Dieſes<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0149]
ſtrophenmaͤßigen, ſingbaren Volksgedichte ein Vorbild geweſen.
Das iſt nun auch der Fall, und ſchon oben im Beiſpiel von
Wolframs Tyturel bewieſen. Ein wirklicher Meiſterſang, im-
gleichen der Loherangrin und einige andere.
Ob ein Lied von der Laͤnge dieſes Tyturels jemals vor-
oder ausgeſungen worden iſt, kann uns hier gleich gelten. Es
hat zu viel fuͤr ſich, daß man es mit den Nibelungen in der
That und fruͤher immer ſo gehalten, die einzelnen Abenteuer
boten die Ruhepuncte, womit man es etwa fuͤr einen Abend
bewenden ließ 136). Auch das bloße Leſen kurzzeiliger Ge-
dichte erforderte ſolche Abſchnitte, in deutſchen habe ich ſie ſel-
ten angedeutet gefunden, mehr in einigen altfranzoͤſiſchen 137).
Nicht anders verhaͤlt es ſich endlich mit den Spruchge-
dichten. Unſere Meiſter koͤnnen dergleichen gemacht haben und
thaten es von Conrad von Wirzburg bis auf Hans Sachs.
Aber Meiſterſaͤnge ſind das nicht 138). Vermuthlich hat es
auch bloße Spruchdichter gegeben, wie wir in dem Teichner
und ſpaͤter in dem Nuͤrnberger Wilhelm Weber ſehen. Dieſes
136) Wurde die Ilias mehr geſungen oder recitirt? In dem erſten
allerdings zu vermuthenden Fall, da die Begleitung mit der
Cither ſchwach geweſen zu ſeyn ſcheint und die griechiſche Har-
monie mit dem Rhythmus innig verwandt war, iſt anzunehmen,
daß der in jedem Hexameter liegende Grundrhythmus zugleich
auch die Muſik beſtimmt habe. Maaß und Muſik kehrten alſo
(innerer ſteter Abwechſelung unbeſchadet) mit jeder Zeile wieder,
ohne je zu ermuͤden; ein Hauptunterſchied von unſerer Nibe-
lungenweiſe, wo die Zuſammennahme von vier Zeilen zu einem
Ganzen und zu einer Melodie.
137) Z. B. in dem (von unſerm Loherangrin durchaus verſchiede-
nen) Garin le Loherens. Da heißt es im Anfang neuer Ab-
ſchnitte: huimes dirom oder lirom. (Aujourdhui nous
dirons, lirons.)
138) Cf. Raniſch 323. Spruͤche und Spiel vom Meiſtergeſang un-
terſchieden.
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