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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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nicht anzunehmen, weil letztere Benennung sich bloß auf die
einzelnen Buchstaben, nicht auf ganze Sätze bezieht. Eine
auffallendere Aehnlichkeit liegt auch in dem häufigen Wort:
"yrkia" 191) für dichten, mit unserm deutschen "wirken", das
in demselben Sinn bei den älteren Meistern oftmals steht,
aber auch in ähnlichen schon bei Otfried cap. 1. v. 87.

6) Was die persönlichen Verhältnisse der Scalden betrifft, so
fehlt es zwar an genauer Nachricht 192). Zu bezweifeln steht es
kaum, daß bei der Genossenschaft in der Kunst auch eine im
Leben statt gefunden habe. Wir wissen, daß sie häufig von einem
Hof zum andern wanderten, sie recitirten ihre Gesänge öffentlich
bei Festen und Gastmahlen 193), und gewöhnlich waren es nur
eigene, doch konnte einer auch von seinem Freunde dazu beauf-
tragt seyn. Der Stand schien höchst ehrenvoll, sie rühmen sich
gleich den deutschen Lobmeistern 194), stets der Wahrheit tren

191) Cfr. Olafsen S. 247. §. 10.
192) Olafsen S. 184 ff. ist darüber äußerst unbefriedigend.
193) Egils Saga S. 150. (edit. hafn. 1809.) "that var thar haft
aulteiti (Trinkgelag), at men koadu visur." Die Fürsten mach-
ten dafür den Sängern Gaben, lobten und billigten die Gesänge.
Ebendas. 152. "Yngvar hellt upp (conservavit, approba-
vit
) visu theirri, og thakadi vel (däuchte gut) Agli visuna."
So natürlich ist das Billigen und Merken gewesen, auch un-
ter den Norden.
194) Indessen ist schon die Nothwendigkeit der so oft wiederkehren-
den Versicherung ein böses Zeichen. Unsere Meister reden
manchmal ganz offen, Urenheimer (CCVI.) stellt gerade den
Satz auf: "also man den meister lohnet, also wischet er das
Schwert." Der Mysner bekennt (DXC.): "ich bin Fürsten
dienist, auf gnaden lied ich singe", und der tugendh. Schreiber
(2. 104.) bewährt das hohe Alter des Spruchs: "weß Brot ich
eß, deß Lied ich fing." -- Rumelant v. Schw. (CCCLXXXI.)
gesteht, daß er gelogen habe. Wintersteten (b. Benecke XVI.)
swer vil dienet ane lon
mit gesange
tut ers lange
der verluret manigen don

nicht anzunehmen, weil letztere Benennung ſich bloß auf die
einzelnen Buchſtaben, nicht auf ganze Saͤtze bezieht. Eine
auffallendere Aehnlichkeit liegt auch in dem haͤufigen Wort:
„yrkia“ 191) fuͤr dichten, mit unſerm deutſchen „wirken“, das
in demſelben Sinn bei den aͤlteren Meiſtern oftmals ſteht,
aber auch in aͤhnlichen ſchon bei Otfried cap. 1. v. 87.

6) Was die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe der Scalden betrifft, ſo
fehlt es zwar an genauer Nachricht 192). Zu bezweifeln ſteht es
kaum, daß bei der Genoſſenſchaft in der Kunſt auch eine im
Leben ſtatt gefunden habe. Wir wiſſen, daß ſie haͤufig von einem
Hof zum andern wanderten, ſie recitirten ihre Geſaͤnge oͤffentlich
bei Feſten und Gaſtmahlen 193), und gewoͤhnlich waren es nur
eigene, doch konnte einer auch von ſeinem Freunde dazu beauf-
tragt ſeyn. Der Stand ſchien hoͤchſt ehrenvoll, ſie ruͤhmen ſich
gleich den deutſchen Lobmeiſtern 194), ſtets der Wahrheit tren

191) Cfr. Olafſen S. 247. §. 10.
192) Olafſen S. 184 ff. iſt daruͤber aͤußerſt unbefriedigend.
193) Egils Saga S. 150. (edit. hafn. 1809.) „that var thar haft
aulteiti (Trinkgelag), at men koadu viſur.“ Die Fuͤrſten mach-
ten dafuͤr den Saͤngern Gaben, lobten und billigten die Geſaͤnge.
Ebendaſ. 152. „Yngvar hellt upp (conservavit, approba-
vit
) viſu theirri, og thakadi vel (daͤuchte gut) Agli viſuna.“
So natuͤrlich iſt das Billigen und Merken geweſen, auch un-
ter den Norden.
194) Indeſſen iſt ſchon die Nothwendigkeit der ſo oft wiederkehren-
den Verſicherung ein boͤſes Zeichen. Unſere Meiſter reden
manchmal ganz offen, Urenheimer (CCVI.) ſtellt gerade den
Satz auf: „alſo man den meiſter lohnet, alſo wiſchet er das
Schwert.“ Der Mysner bekennt (DXC.): „ich bin Fuͤrſten
dieniſt, auf gnaden lied ich ſinge“, und der tugendh. Schreiber
(2. 104.) bewaͤhrt das hohe Alter des Spruchs: „weß Brot ich
eß, deß Lied ich fing.“ — Rumelant v. Schw. (CCCLXXXI.)
geſteht, daß er gelogen habe. Winterſteten (b. Benecke XVI.)
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[165/0175] nicht anzunehmen, weil letztere Benennung ſich bloß auf die einzelnen Buchſtaben, nicht auf ganze Saͤtze bezieht. Eine auffallendere Aehnlichkeit liegt auch in dem haͤufigen Wort: „yrkia“ 191) fuͤr dichten, mit unſerm deutſchen „wirken“, das in demſelben Sinn bei den aͤlteren Meiſtern oftmals ſteht, aber auch in aͤhnlichen ſchon bei Otfried cap. 1. v. 87. 6) Was die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe der Scalden betrifft, ſo fehlt es zwar an genauer Nachricht 192). Zu bezweifeln ſteht es kaum, daß bei der Genoſſenſchaft in der Kunſt auch eine im Leben ſtatt gefunden habe. Wir wiſſen, daß ſie haͤufig von einem Hof zum andern wanderten, ſie recitirten ihre Geſaͤnge oͤffentlich bei Feſten und Gaſtmahlen 193), und gewoͤhnlich waren es nur eigene, doch konnte einer auch von ſeinem Freunde dazu beauf- tragt ſeyn. Der Stand ſchien hoͤchſt ehrenvoll, ſie ruͤhmen ſich gleich den deutſchen Lobmeiſtern 194), ſtets der Wahrheit tren 191) Cfr. Olafſen S. 247. §. 10. 192) Olafſen S. 184 ff. iſt daruͤber aͤußerſt unbefriedigend. 193) Egils Saga S. 150. (edit. hafn. 1809.) „that var thar haft aulteiti (Trinkgelag), at men koadu viſur.“ Die Fuͤrſten mach- ten dafuͤr den Saͤngern Gaben, lobten und billigten die Geſaͤnge. Ebendaſ. 152. „Yngvar hellt upp (conservavit, approba- vit) viſu theirri, og thakadi vel (daͤuchte gut) Agli viſuna.“ So natuͤrlich iſt das Billigen und Merken geweſen, auch un- ter den Norden. 194) Indeſſen iſt ſchon die Nothwendigkeit der ſo oft wiederkehren- den Verſicherung ein boͤſes Zeichen. Unſere Meiſter reden manchmal ganz offen, Urenheimer (CCVI.) ſtellt gerade den Satz auf: „alſo man den meiſter lohnet, alſo wiſchet er das Schwert.“ Der Mysner bekennt (DXC.): „ich bin Fuͤrſten dieniſt, auf gnaden lied ich ſinge“, und der tugendh. Schreiber (2. 104.) bewaͤhrt das hohe Alter des Spruchs: „weß Brot ich eß, deß Lied ich fing.“ — Rumelant v. Schw. (CCCLXXXI.) geſteht, daß er gelogen habe. Winterſteten (b. Benecke XVI.) ſwer vil dienet ane lon mit geſange tut ers lange der verluret manigen don

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/175>, abgerufen am 24.11.2024.