Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

treten hat und beinahe einzeln dasteht, so fällt es unmöglich
früherhin persönlich zu scheiden, selbst da, wo die Persönlich-
keit in einer strengeren Ordnung hervorgetreten wäre, wie bei
den späteren Meistern. Daraus folgt aber, daß die Betrach-
tung des Unpoetischen, und selbst des Schlechten keineswegs
ausgeschlossen werden dürfe. Mir schien auch das Ende des
Meistergesangs eine Anerkennung verdient zu haben, sey es
zu lieb dem frischen Anfang, oder der Treue wegen, womit
man dem absterbenden Körper angehangen.



gemessen. Wie anders war es mit den unbewußt und noth-
wendig gebrauchten Kunsttönen der Minnesänger! Selbst un-
ser heutiger Gesang könnte nicht alles dasjenige dulden, was
wiederum in dem häufig gewordenen Lesen und Vorlesen ganz
statthaft erscheint oder sich doch entschuldigt.

treten hat und beinahe einzeln daſteht, ſo faͤllt es unmoͤglich
fruͤherhin perſoͤnlich zu ſcheiden, ſelbſt da, wo die Perſoͤnlich-
keit in einer ſtrengeren Ordnung hervorgetreten waͤre, wie bei
den ſpaͤteren Meiſtern. Daraus folgt aber, daß die Betrach-
tung des Unpoetiſchen, und ſelbſt des Schlechten keineswegs
ausgeſchloſſen werden duͤrfe. Mir ſchien auch das Ende des
Meiſtergeſangs eine Anerkennung verdient zu haben, ſey es
zu lieb dem friſchen Anfang, oder der Treue wegen, womit
man dem abſterbenden Koͤrper angehangen.



gemeſſen. Wie anders war es mit den unbewußt und noth-
wendig gebrauchten Kunſttoͤnen der Minneſaͤnger! Selbſt un-
ſer heutiger Geſang koͤnnte nicht alles dasjenige dulden, was
wiederum in dem haͤufig gewordenen Leſen und Vorleſen ganz
ſtatthaft erſcheint oder ſich doch entſchuldigt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="174"/>
treten hat und beinahe einzeln da&#x017F;teht, &#x017F;o fa&#x0364;llt es unmo&#x0364;glich<lb/>
fru&#x0364;herhin per&#x017F;o&#x0364;nlich zu &#x017F;cheiden, &#x017F;elb&#x017F;t da, wo die Per&#x017F;o&#x0364;nlich-<lb/>
keit in einer &#x017F;trengeren Ordnung hervorgetreten wa&#x0364;re, wie bei<lb/>
den &#x017F;pa&#x0364;teren Mei&#x017F;tern. Daraus folgt aber, daß die Betrach-<lb/>
tung des Unpoeti&#x017F;chen, und &#x017F;elb&#x017F;t des Schlechten keineswegs<lb/>
ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden du&#x0364;rfe. Mir &#x017F;chien auch das Ende des<lb/>
Mei&#x017F;terge&#x017F;angs eine Anerkennung verdient zu haben, &#x017F;ey es<lb/>
zu lieb dem fri&#x017F;chen Anfang, oder der Treue wegen, womit<lb/>
man dem ab&#x017F;terbenden Ko&#x0364;rper angehangen.</p><lb/>
          <p>
            <note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="204)">geme&#x017F;&#x017F;en. Wie anders war es mit den unbewußt und noth-<lb/>
wendig gebrauchten Kun&#x017F;tto&#x0364;nen der Minne&#x017F;a&#x0364;nger! Selb&#x017F;t un-<lb/>
&#x017F;er heutiger Ge&#x017F;ang ko&#x0364;nnte nicht alles dasjenige dulden, was<lb/>
wiederum in dem ha&#x0364;ufig gewordenen Le&#x017F;en und Vorle&#x017F;en ganz<lb/>
&#x017F;tatthaft er&#x017F;cheint oder &#x017F;ich doch ent&#x017F;chuldigt.</note>
          </p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0184] treten hat und beinahe einzeln daſteht, ſo faͤllt es unmoͤglich fruͤherhin perſoͤnlich zu ſcheiden, ſelbſt da, wo die Perſoͤnlich- keit in einer ſtrengeren Ordnung hervorgetreten waͤre, wie bei den ſpaͤteren Meiſtern. Daraus folgt aber, daß die Betrach- tung des Unpoetiſchen, und ſelbſt des Schlechten keineswegs ausgeſchloſſen werden duͤrfe. Mir ſchien auch das Ende des Meiſtergeſangs eine Anerkennung verdient zu haben, ſey es zu lieb dem friſchen Anfang, oder der Treue wegen, womit man dem abſterbenden Koͤrper angehangen. 204) 204) gemeſſen. Wie anders war es mit den unbewußt und noth- wendig gebrauchten Kunſttoͤnen der Minneſaͤnger! Selbſt un- ſer heutiger Geſang koͤnnte nicht alles dasjenige dulden, was wiederum in dem haͤufig gewordenen Leſen und Vorleſen ganz ſtatthaft erſcheint oder ſich doch entſchuldigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/184
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/184>, abgerufen am 21.11.2024.