Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.Kraft sich auf Plane zu Gelderwerb, statt auf ein ehr- Kraft ſich auf Plane zu Gelderwerb, ſtatt auf ein ehr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="preface" n="2"> <p><pb facs="#f0021" n="11"/> Kraft ſich auf Plane zu Gelderwerb, ſtatt auf ein ehr-<lb/> liches Auskommen gewendet. Die Poeſie geht aus hei-<lb/> liger Stille des Gemuͤths auf, aus unter die Menſchen,<lb/> und ſoll darum in keinen aͤußeren Banden liegen. Ich<lb/> will hier nicht den Unſinn der vielen Dichtergeſellſchaften<lb/> herbeiziehen und ſtrafen, aber die Meiſterſaͤnger damit<lb/> entſchuldigen, daß, nachdem ſchon alle ihre Regel aus<lb/> den wahren Schranken getreten war, die bloße Foͤrm-<lb/> lichkeit auf die Reinheit ihrer Sitten gewirkt und ein<lb/> Band geſtiftet hat, werther denn ihre Kunſt war. Der<lb/> Meiſtergeſaug zeigt ſich mithin als ein Mittel mehr, welches<lb/> auf den Bund der Buͤrger wohlthaͤtig gewirkt hat. Ihre<lb/> Kunſt trieben ſie fern von aller Anmaßung und in Ver-<lb/> ehrung ihrer Lehrer. Wenig Dichter haben, z. B. die<lb/> letztere ſo herzlich dargegeben, als <hi rendition="#g">Puſchmann</hi>, wenn<lb/> er den Meiſter im Traum erblickt in einem wunderſelt-<lb/> ſamen Gartenhaͤuslein ſitzen, weiß von Alter wie eine<lb/> Taube, er neigt ſich bloß, er hoͤrt nicht und antwortet<lb/> auf keine Frage mehr, nur der Sinn des Geſichts iſt<lb/> ihm unvergangen, das braucht er, in dem goldbeſchla-<lb/> genen heiligen Werk bis an ſein ſeliges Ende zu leſen.<lb/> Dieß alles iſt zugleich die reinſte Poeſie. Man iſt leicht<lb/> damit fertig geweſen, die Geſchmackloſigkeit und Trok-<lb/> kenheit der ſpaͤteren Meiſterſaͤnger zu tadeln, hat aber<lb/> dabei die Ehrlichkeit und Selbſtverkennung ganz uͤberſe-<lb/> hen, womit ſie ihre fromme Kunſt uͤbten. Die bibli-<lb/> ſche Geſchichte kam ihnen in der eckigten Einfaſſung<lb/> neu ehrwuͤrdig vor; haͤtte man nach ihrer Poeſie ge-<lb/> fragt, ſo wuͤrden ſie freudig auf ſolche Meiſtergeſaͤnge<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0021]
Kraft ſich auf Plane zu Gelderwerb, ſtatt auf ein ehr-
liches Auskommen gewendet. Die Poeſie geht aus hei-
liger Stille des Gemuͤths auf, aus unter die Menſchen,
und ſoll darum in keinen aͤußeren Banden liegen. Ich
will hier nicht den Unſinn der vielen Dichtergeſellſchaften
herbeiziehen und ſtrafen, aber die Meiſterſaͤnger damit
entſchuldigen, daß, nachdem ſchon alle ihre Regel aus
den wahren Schranken getreten war, die bloße Foͤrm-
lichkeit auf die Reinheit ihrer Sitten gewirkt und ein
Band geſtiftet hat, werther denn ihre Kunſt war. Der
Meiſtergeſaug zeigt ſich mithin als ein Mittel mehr, welches
auf den Bund der Buͤrger wohlthaͤtig gewirkt hat. Ihre
Kunſt trieben ſie fern von aller Anmaßung und in Ver-
ehrung ihrer Lehrer. Wenig Dichter haben, z. B. die
letztere ſo herzlich dargegeben, als Puſchmann, wenn
er den Meiſter im Traum erblickt in einem wunderſelt-
ſamen Gartenhaͤuslein ſitzen, weiß von Alter wie eine
Taube, er neigt ſich bloß, er hoͤrt nicht und antwortet
auf keine Frage mehr, nur der Sinn des Geſichts iſt
ihm unvergangen, das braucht er, in dem goldbeſchla-
genen heiligen Werk bis an ſein ſeliges Ende zu leſen.
Dieß alles iſt zugleich die reinſte Poeſie. Man iſt leicht
damit fertig geweſen, die Geſchmackloſigkeit und Trok-
kenheit der ſpaͤteren Meiſterſaͤnger zu tadeln, hat aber
dabei die Ehrlichkeit und Selbſtverkennung ganz uͤberſe-
hen, womit ſie ihre fromme Kunſt uͤbten. Die bibli-
ſche Geſchichte kam ihnen in der eckigten Einfaſſung
neu ehrwuͤrdig vor; haͤtte man nach ihrer Poeſie ge-
fragt, ſo wuͤrden ſie freudig auf ſolche Meiſtergeſaͤnge
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