Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.aus zweien gleichen Sätzen ein dritter ungleicher nach einer in- Man erkläre passender und deutlicher, was man leichter Ist aber nicht alle Volkspoesie (als ihrer Natur nach sang- aus zweien gleichen Saͤtzen ein dritter ungleicher nach einer in- Man erklaͤre paſſender und deutlicher, was man leichter Iſt aber nicht alle Volkspoeſie (als ihrer Natur nach ſang- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0051" n="41"/> aus zweien gleichen Saͤtzen ein dritter ungleicher nach einer in-<lb/> nerlichen Nothwendigkeit. Folgte ein zweiter gleicher Satz un-<lb/> mittelbar auf den erſten und weiter nichts, ſo wuͤrde das<lb/> Ganze leer, matt und unfruchtbar erſcheinen; folgte aber in<lb/> dem zweiten ſelbſt ſchon ein dem erſten ungleicher, ſo wuͤrde<lb/> das Ganze unempfaͤnglich ſeyn. In dem erſten Fall waͤre keine<lb/> Ruhe, kein Schluß, ſondern unendliches Schwanken; im zwei-<lb/> ten wuͤrde der Reitz des letzten als des neuen Satzes immer<lb/> uͤber den alten ſiegen und deſſen Wirkung in ſeine hinuͤberzie-<lb/> hen, folglich vernichten. Da aber das Weſen der Poeſie auch<lb/> in ein gemuͤthliches Gleichgewicht geſetzt werden muß, und weil<lb/> das Folgende nur in dem Vorausgehenden erklaͤrt werden kann,<lb/> ſo kommt der erſte Satz zweimal, damit er Staͤrke gewinne,<lb/> den dritten zu zeugen, zu tragen und ſelber neben ihm zu blei-<lb/> ben. Es iſt auch, als ob mit einem Mal die poetiſche Luſt<lb/> an der gewonnenen Weiſe noch nicht erſchoͤpft ſey, als daß<lb/> man den Satz ſchon fahren laſſen koͤnne, oder als ob erſt in<lb/> ſeiner Wiederhohlung, da das Anheben gleichſam zu frei und<lb/> ſorglos geweſen, das Neue in mehr Bedaͤchtigkeit vorbereitet<lb/> werden koͤnne.</p><lb/> <p>Man erklaͤre paſſender und deutlicher, was man leichter<lb/> fuͤhlen wird, aber die Wahrheit des Grundſatzes ruht auf dem<lb/> Element des Volksgeſanges und Tanzes, wo immer der erſte<lb/> Theil wiederhohlt wird, bevor er ſich in ein Trio aufloͤſen kann.</p><lb/> <p>Iſt aber nicht alle Volkspoeſie (als ihrer Natur nach ſang-<lb/> und ſtrophenmaͤßig) in Strophen von gleichen Zeilen, und zwar<lb/> die deutſche Anfangs von vier langen, nachher auch von acht kur-<lb/> zen? Ich gebe eine vermuthliche, mir gleichwohl ſehr wahrſcheinti-<lb/> che Erklaͤrung dieſes anſcheinenden Widerſpruchs, eben die große<lb/> Einfachheit der Volkslieder bietet ſie dar. Alles liegt hier an<lb/> der begleitenden Stimme und Muſik. Wahrſcheinlich wurde die<lb/> zweite Haͤlfte der Strophe, nachdem man die erſte entweder<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0051]
aus zweien gleichen Saͤtzen ein dritter ungleicher nach einer in-
nerlichen Nothwendigkeit. Folgte ein zweiter gleicher Satz un-
mittelbar auf den erſten und weiter nichts, ſo wuͤrde das
Ganze leer, matt und unfruchtbar erſcheinen; folgte aber in
dem zweiten ſelbſt ſchon ein dem erſten ungleicher, ſo wuͤrde
das Ganze unempfaͤnglich ſeyn. In dem erſten Fall waͤre keine
Ruhe, kein Schluß, ſondern unendliches Schwanken; im zwei-
ten wuͤrde der Reitz des letzten als des neuen Satzes immer
uͤber den alten ſiegen und deſſen Wirkung in ſeine hinuͤberzie-
hen, folglich vernichten. Da aber das Weſen der Poeſie auch
in ein gemuͤthliches Gleichgewicht geſetzt werden muß, und weil
das Folgende nur in dem Vorausgehenden erklaͤrt werden kann,
ſo kommt der erſte Satz zweimal, damit er Staͤrke gewinne,
den dritten zu zeugen, zu tragen und ſelber neben ihm zu blei-
ben. Es iſt auch, als ob mit einem Mal die poetiſche Luſt
an der gewonnenen Weiſe noch nicht erſchoͤpft ſey, als daß
man den Satz ſchon fahren laſſen koͤnne, oder als ob erſt in
ſeiner Wiederhohlung, da das Anheben gleichſam zu frei und
ſorglos geweſen, das Neue in mehr Bedaͤchtigkeit vorbereitet
werden koͤnne.
Man erklaͤre paſſender und deutlicher, was man leichter
fuͤhlen wird, aber die Wahrheit des Grundſatzes ruht auf dem
Element des Volksgeſanges und Tanzes, wo immer der erſte
Theil wiederhohlt wird, bevor er ſich in ein Trio aufloͤſen kann.
Iſt aber nicht alle Volkspoeſie (als ihrer Natur nach ſang-
und ſtrophenmaͤßig) in Strophen von gleichen Zeilen, und zwar
die deutſche Anfangs von vier langen, nachher auch von acht kur-
zen? Ich gebe eine vermuthliche, mir gleichwohl ſehr wahrſcheinti-
che Erklaͤrung dieſes anſcheinenden Widerſpruchs, eben die große
Einfachheit der Volkslieder bietet ſie dar. Alles liegt hier an
der begleitenden Stimme und Muſik. Wahrſcheinlich wurde die
zweite Haͤlfte der Strophe, nachdem man die erſte entweder
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