Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.gebrauchen, und die beiden ersten; Stollen, den dritten den 31) Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (versus) ist zwar hier unei-
gentlich und würde sich eher für den Begriff unseres Stollen passen. Indessen das Wort: Gesätz, würde ungewohnt, und Lied ganz verwirrend seyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die spä- tern den ersten Ausdruck brauchten, und die Minnesänger so- wohl, als die spätern Meister ganz bestimmt dasjenige, was ich hier unter Strophe verstehe, Lied benennen. Es ist uns jetzo aber viel zu geläufig, darunter das ganze Gedicht zu begreifen, oder eigentlich, so haben wir den noch älteren, volksmäßigen Gebrauch dieses Wortes wiederum eingesetzt, nach welchem z. B. das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine ähnliche Vermischung hat das Wort Weise betroffen, worunter wir jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verstehen, da die Dänen mit ihren Viser auch ganze Lieder bezeichnen. Den Namen Stoll betreffend, so nehme ich meine frühere Vermuthung, als ob er mit dem Meister Stolle in Verbindung zu bringen sey, zurück, da er sich auch weit natürlicher (er mag aufgekommen seyn, wann er will) im terminologischen Geist des Meistergesangs erklären läßt, das ganze Gesätz ruhte oder saß gleichsam auf zweien Füßen. Aufgesang für Stoll, welches Docen durch ein Beispiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. sei- ner Abh.) wäre eine sehr passende Benennung und entspräche dem Abgesang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. CCCLXIII. wo Rumelant auf Singofs Namen anspielt: "singof, sing abe, sing hin, sing her." welche Stelle für das ziemlich hohe Alter beider Wörter streitet. gebrauchen, und die beiden erſten; Stollen, den dritten den 31) Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (versus) iſt zwar hier unei-
gentlich und wuͤrde ſich eher fuͤr den Begriff unſeres Stollen paſſen. Indeſſen das Wort: Geſaͤtz, wuͤrde ungewohnt, und Lied ganz verwirrend ſeyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die ſpaͤ- tern den erſten Ausdruck brauchten, und die Minneſaͤnger ſo- wohl, als die ſpaͤtern Meiſter ganz beſtimmt dasjenige, was ich hier unter Strophe verſtehe, Lied benennen. Es iſt uns jetzo aber viel zu gelaͤufig, darunter das ganze Gedicht zu begreifen, oder eigentlich, ſo haben wir den noch aͤlteren, volksmaͤßigen Gebrauch dieſes Wortes wiederum eingeſetzt, nach welchem z. B. das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine aͤhnliche Vermiſchung hat das Wort Weiſe betroffen, worunter wir jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verſtehen, da die Daͤnen mit ihren Viſer auch ganze Lieder bezeichnen. Den Namen Stoll betreffend, ſo nehme ich meine fruͤhere Vermuthung, als ob er mit dem Meiſter Stolle in Verbindung zu bringen ſey, zuruͤck, da er ſich auch weit natuͤrlicher (er mag aufgekommen ſeyn, wann er will) im terminologiſchen Geiſt des Meiſtergeſangs erklaͤren laͤßt, das ganze Geſaͤtz ruhte oder ſaß gleichſam auf zweien Fuͤßen. Aufgeſang fuͤr Stoll, welches Docen durch ein Beiſpiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. ſei- ner Abh.) waͤre eine ſehr paſſende Benennung und entſpraͤche dem Abgeſang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. CCCLXIII. wo Rumelant auf Singofs Namen anſpielt: „ſingof, ſing abe, ſing hin, ſing her.“ welche Stelle fuͤr das ziemlich hohe Alter beider Woͤrter ſtreitet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0054" n="44"/> gebrauchen, und die beiden erſten; Stollen, den dritten den<lb/> Abgeſang nennen, das Ganze aber Strophe <note place="foot" n="31)">Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (<hi rendition="#aq">versus</hi>) iſt zwar hier unei-<lb/> gentlich und wuͤrde ſich eher fuͤr den Begriff unſeres Stollen paſſen.<lb/> Indeſſen das Wort: <hi rendition="#g">Geſaͤtz</hi>, wuͤrde ungewohnt, und <hi rendition="#g">Lied</hi><lb/> ganz verwirrend ſeyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die ſpaͤ-<lb/> tern den erſten Ausdruck brauchten, und die Minneſaͤnger ſo-<lb/> wohl, als die ſpaͤtern Meiſter ganz beſtimmt dasjenige, was ich<lb/> hier unter Strophe verſtehe, Lied benennen. Es iſt uns jetzo<lb/> aber viel zu <choice><sic>gelaͤnfig</sic><corr>gelaͤufig</corr></choice>, darunter das ganze Gedicht zu begreifen,<lb/> oder eigentlich, ſo haben wir den noch aͤlteren, volksmaͤßigen<lb/> Gebrauch dieſes Wortes wiederum eingeſetzt, nach welchem z. B.<lb/> das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine aͤhnliche<lb/> Vermiſchung hat das Wort <hi rendition="#g">Weiſe</hi> betroffen, worunter wir<lb/> jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verſtehen, da die<lb/> Daͤnen mit ihren Viſer auch ganze Lieder bezeichnen.<lb/> Den Namen <hi rendition="#g">Stoll</hi> betreffend, ſo nehme ich meine fruͤhere<lb/> Vermuthung, als ob er mit dem Meiſter Stolle in Verbindung<lb/> zu bringen ſey, zuruͤck, da er ſich auch weit natuͤrlicher (er mag<lb/> aufgekommen ſeyn, wann er will) im terminologiſchen Geiſt des<lb/> Meiſtergeſangs erklaͤren laͤßt, das ganze Geſaͤtz ruhte oder ſaß<lb/> gleichſam auf zweien Fuͤßen. <hi rendition="#g">Aufgeſang</hi> fuͤr Stoll, welches<lb/><hi rendition="#g">Docen</hi> durch ein Beiſpiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. ſei-<lb/> ner Abh.) waͤre eine ſehr paſſende Benennung und entſpraͤche<lb/> dem Abgeſang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. <hi rendition="#aq">CCCLXIII.</hi><lb/> wo Rumelant auf Singofs Namen anſpielt:<lb/><hi rendition="#c">„<hi rendition="#g">ſingof, ſing abe</hi>, ſing hin, ſing her.“</hi><lb/> welche Stelle fuͤr das ziemlich hohe Alter beider Woͤrter ſtreitet.</note>. Der gewoͤhn-<lb/> liche Fall iſt, daß ſich die Stollen durchaus gleich ſind, in Zahl<lb/> der Silben und Zeilen, und Stellung der Reime. Letzteres iſt<lb/> jedoch nicht nothwendig, denn man begreift, daß der Haupt-<lb/> eindruck der Gleichheit gar nicht verletzt werde, wenn auch zu-<lb/> weilen die Reime eine andere, etwa umgekehrte Richtung er-<lb/> halten, und alsdann richten ſich die Silben entweder nach den<lb/> Zeilen oder den Reimen. Ferner, meiſtentheils werden die<lb/> Reime der Stollen freilich in ihnen ſelbſt gebunden, es wider-<lb/> ſpricht aber dem Princip wiederum nicht, wenn ſie manchmal<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0054]
gebrauchen, und die beiden erſten; Stollen, den dritten den
Abgeſang nennen, das Ganze aber Strophe 31). Der gewoͤhn-
liche Fall iſt, daß ſich die Stollen durchaus gleich ſind, in Zahl
der Silben und Zeilen, und Stellung der Reime. Letzteres iſt
jedoch nicht nothwendig, denn man begreift, daß der Haupt-
eindruck der Gleichheit gar nicht verletzt werde, wenn auch zu-
weilen die Reime eine andere, etwa umgekehrte Richtung er-
halten, und alsdann richten ſich die Silben entweder nach den
Zeilen oder den Reimen. Ferner, meiſtentheils werden die
Reime der Stollen freilich in ihnen ſelbſt gebunden, es wider-
ſpricht aber dem Princip wiederum nicht, wenn ſie manchmal
31) Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (versus) iſt zwar hier unei-
gentlich und wuͤrde ſich eher fuͤr den Begriff unſeres Stollen paſſen.
Indeſſen das Wort: Geſaͤtz, wuͤrde ungewohnt, und Lied
ganz verwirrend ſeyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die ſpaͤ-
tern den erſten Ausdruck brauchten, und die Minneſaͤnger ſo-
wohl, als die ſpaͤtern Meiſter ganz beſtimmt dasjenige, was ich
hier unter Strophe verſtehe, Lied benennen. Es iſt uns jetzo
aber viel zu gelaͤufig, darunter das ganze Gedicht zu begreifen,
oder eigentlich, ſo haben wir den noch aͤlteren, volksmaͤßigen
Gebrauch dieſes Wortes wiederum eingeſetzt, nach welchem z. B.
das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine aͤhnliche
Vermiſchung hat das Wort Weiſe betroffen, worunter wir
jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verſtehen, da die
Daͤnen mit ihren Viſer auch ganze Lieder bezeichnen.
Den Namen Stoll betreffend, ſo nehme ich meine fruͤhere
Vermuthung, als ob er mit dem Meiſter Stolle in Verbindung
zu bringen ſey, zuruͤck, da er ſich auch weit natuͤrlicher (er mag
aufgekommen ſeyn, wann er will) im terminologiſchen Geiſt des
Meiſtergeſangs erklaͤren laͤßt, das ganze Geſaͤtz ruhte oder ſaß
gleichſam auf zweien Fuͤßen. Aufgeſang fuͤr Stoll, welches
Docen durch ein Beiſpiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. ſei-
ner Abh.) waͤre eine ſehr paſſende Benennung und entſpraͤche
dem Abgeſang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. CCCLXIII.
wo Rumelant auf Singofs Namen anſpielt:
„ſingof, ſing abe, ſing hin, ſing her.“
welche Stelle fuͤr das ziemlich hohe Alter beider Woͤrter ſtreitet.
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