späteren Meistergesangs auch dazu Beispiele haben; so schlage man den verwirrten Ton Vogels oder den verkehrten Mi- chael Pehams nach. Hier sprechen merkwürdig genug die Namen für die Abweichung und also mit für die Regel, diese stand fest und bekannt da, die Künstlichkeit wagte sich aber dennoch in Anomalien, die sie schon in der Benennung auszu- drücken sorgte.
3) Von geringer Abweichung sind einige andere Fälle, die ich deßwegen auch lieber zufällig erklären möchte. Bei Vel- deck 1. 20. stehen einige Lieder: gern het ich etc. es tuont diu Vogelin etc. die bloß einzelne Strophen sind, woraus sich noch gar nichts abnehmen läßt, um so mehr, als andere dem An- schein nach ebenfalls abnorme wie einige von Nifen 1. 22. 23. nun nicht mehr so erscheinen, seitdem die in Bodmers Ab- druck mangelnden Zeilen ergänzt worden sind (s. Benecke 4. und 21.) So verhält es sich ungefähr mit der 1. 175. einsam da stehenden Strophe: got weis wol etc. Das Lied des von Tuifen 1. 45: ich minne in minem muote etc. ist auf den er- sten Anblick unregelmäßig, sodald man aber merkt, daß die folgende abgesetzte: min munt demselben etc. keine eigentliche ist, sondern nur den Abgesang zu den in der vorigen liegenden Stollen enthält, kommt alles in Ordnung. Sonderbar ist das 2. 33. stehende Lied Lichtensteins: wißet frowe etc. Man könnte die erste und zweite Strophe für den einen Stollen, die dritte und vierte für den zweiten, die fünfte für den Ab- gesang auslegen, in allen fünfen also eigentlich nur eine Stro- phe (einen Bar) finden. Vielleicht ist es aber ein Stück Leich, wovon bald nachher.
Walters schönem aber unregelmäßigem Tagel. 1. 107: frünt- liche lag etc. scheint der Refrain und darin der Abgesang zu mangeln. Denn so gewiß das, was wir unter Refrain verstehen, in den Meisterliedern manchmal von dem Abgesang ganz unabhängig ist, so wahrscheinlich hat es ihn andremal gerade gebildet. Einige
ſpaͤteren Meiſtergeſangs auch dazu Beiſpiele haben; ſo ſchlage man den verwirrten Ton Vogels oder den verkehrten Mi- chael Pehams nach. Hier ſprechen merkwuͤrdig genug die Namen fuͤr die Abweichung und alſo mit fuͤr die Regel, dieſe ſtand feſt und bekannt da, die Kuͤnſtlichkeit wagte ſich aber dennoch in Anomalien, die ſie ſchon in der Benennung auszu- druͤcken ſorgte.
3) Von geringer Abweichung ſind einige andere Faͤlle, die ich deßwegen auch lieber zufaͤllig erklaͤren moͤchte. Bei Vel- deck 1. 20. ſtehen einige Lieder: gern het ich ꝛc. es tuont diu Vogelin ꝛc. die bloß einzelne Strophen ſind, woraus ſich noch gar nichts abnehmen laͤßt, um ſo mehr, als andere dem An- ſchein nach ebenfalls abnorme wie einige von Nifen 1. 22. 23. nun nicht mehr ſo erſcheinen, ſeitdem die in Bodmers Ab- druck mangelnden Zeilen ergaͤnzt worden ſind (ſ. Benecke 4. und 21.) So verhaͤlt es ſich ungefaͤhr mit der 1. 175. einſam da ſtehenden Strophe: got weis wol ꝛc. Das Lied des von Tuifen 1. 45: ich minne in minem muote ꝛc. iſt auf den er- ſten Anblick unregelmaͤßig, ſodald man aber merkt, daß die folgende abgeſetzte: min munt demſelben ꝛc. keine eigentliche iſt, ſondern nur den Abgeſang zu den in der vorigen liegenden Stollen enthaͤlt, kommt alles in Ordnung. Sonderbar iſt das 2. 33. ſtehende Lied Lichtenſteins: wißet frowe ꝛc. Man koͤnnte die erſte und zweite Strophe fuͤr den einen Stollen, die dritte und vierte fuͤr den zweiten, die fuͤnfte fuͤr den Ab- geſang auslegen, in allen fuͤnfen alſo eigentlich nur eine Stro- phe (einen Bar) finden. Vielleicht iſt es aber ein Stuͤck Leich, wovon bald nachher.
Walters ſchoͤnem aber unregelmaͤßigem Tagel. 1. 107: fruͤnt- liche lag ꝛc. ſcheint der Refrain und darin der Abgeſang zu mangeln. Denn ſo gewiß das, was wir unter Refrain verſtehen, in den Meiſterliedern manchmal von dem Abgeſang ganz unabhaͤngig iſt, ſo wahrſcheinlich hat es ihn andremal gerade gebildet. Einige
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ſpaͤteren Meiſtergeſangs auch dazu Beiſpiele haben; ſo ſchlage
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ich deßwegen auch lieber zufaͤllig erklaͤren moͤchte. Bei Vel-
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ſchein nach ebenfalls abnorme wie einige von Nifen 1. 22. 23.
nun nicht mehr ſo erſcheinen, ſeitdem die in Bodmers Ab-
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und 21.) So verhaͤlt es ſich ungefaͤhr mit der 1. 175. einſam
da ſtehenden Strophe: got weis wol ꝛc. Das Lied des von
Tuifen 1. 45: ich minne in minem muote ꝛc. iſt auf den er-
ſten Anblick unregelmaͤßig, ſodald man aber merkt, daß die
folgende abgeſetzte: min munt demſelben ꝛc. keine eigentliche
iſt, ſondern nur den Abgeſang zu den in der vorigen liegenden
Stollen enthaͤlt, kommt alles in Ordnung. Sonderbar iſt das
2. 33. ſtehende Lied Lichtenſteins: wißet frowe ꝛc. Man
koͤnnte die erſte und zweite Strophe fuͤr den einen Stollen,
die dritte und vierte fuͤr den zweiten, die fuͤnfte fuͤr den Ab-
geſang auslegen, in allen fuͤnfen alſo eigentlich nur eine Stro-
phe (einen Bar) finden. Vielleicht iſt es aber ein Stuͤck Leich,
wovon bald nachher.
Walters ſchoͤnem aber unregelmaͤßigem Tagel. 1. 107: fruͤnt-
liche lag ꝛc. ſcheint der Refrain und darin der Abgeſang zu mangeln.
Denn ſo gewiß das, was wir unter Refrain verſtehen, in den
Meiſterliedern manchmal von dem Abgeſang ganz unabhaͤngig iſt,
ſo wahrſcheinlich hat es ihn andremal gerade gebildet. Einige
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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/63>, abgerufen am 16.02.2025.
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