Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen bestehen, mögen 4) Zuweilen zeigt sich in frühern und späteren Meistersängen Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen beſtehen, moͤgen 4) Zuweilen zeigt ſich in fruͤhern und ſpaͤteren Meiſterſaͤngen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0064" n="54"/> Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen beſtehen, moͤgen<lb/> auch einen ſolchen Anhang in der Muſik bekommen haben, oder<lb/> man kann ſie wirklich fuͤr ein Paar Ausnahmen gelten laſſen.<lb/> Dahin gehoͤren: <hi rendition="#g">Walter</hi> von <hi rendition="#g">Metz</hi> 1. 166. (mirſt min ꝛc.)<lb/><hi rendition="#g">Lichtenſtein</hi> 2. 26. (nu ſchouwent ꝛc.) und <hi rendition="#g">Hawart</hi> 2. 111.<lb/> 112. (ob es an ꝛc.), bei welchem letzten man jedoch auf die<lb/> Silbenzaͤhlung zu achten hat. Vergl. auch den gereimten Pro-<lb/> log <hi rendition="#g">Conrad Megenbergs</hi> (Muſeum 1. 148.)</p><lb/> <p>4) Zuweilen zeigt ſich in fruͤhern und ſpaͤteren Meiſterſaͤngen<lb/> eine ganz eigene Kuͤnſtlichkeit; ſtatt daß die Reime ſonſt die<lb/> Zeile ſchließen, ſtehen ſie da zu Anfang und zwar um einen<lb/> irgendwo liegenden Endreim zu binden, der ſonſt Waiſe geblie-<lb/> ben waͤre, oder um ſich unter einander Anfangsreim mit An-<lb/> fangsreim zu vereinigen. Sie brauchen nicht gerade ganz vorne<lb/> vorzukommen, ſondern koͤnnen auch erſt nach einer, zwei oder<lb/> mehr Silben folgen. Characteriſtiſch ſcheint mir nun: beiderlei<lb/> Faͤlle haben zu gleicher Zeit und untereinander ſtatt, koͤnnen<lb/> in jeder Zeile ſtehen, in beiden Stollen, oder nur in einem,<lb/> nur im Abgeſang oder im Abgeſang und einem Stollen. Dar-<lb/> aus folgt dann: dieſe Anfangsreime haben auf das Princip<lb/> der eigentlichen Reime, d. h. der zu Ende ſtehenden keinen Ein-<lb/> fluß, Waiſen (ungebundene Reime) ſind ja ohnedem zulaͤſſig im<lb/> alten und neuen Meiſtergeſang. Jene alſo greifen in das Ge-<lb/> baͤude der Stollen und Abgeſaͤnge gar nicht ein, womit ſie<lb/> ſonſt in Widerſpruch ſtehen wuͤrden; es iſt folglich fehlerhaft,<lb/> ſie im Druck in neue Zeilen abzuſetzen, als wenn ſie ſelber<lb/> wahre Endreime waͤren, was ſie dadurch werden. <hi rendition="#g">Benecke</hi>,<lb/> ſo wie er ſonſt das Reimſyſtem weit ſorgfaͤltiger behandelt,<lb/> als die Raßmanniſche Vergleichung thut, hat hierin zu viel<lb/> geleiſtet, und offenbar durch das Ausruͤcken ſolcher Aufangs-<lb/> reime den Typus des Meiſterſangs verruͤckt, beſonders einzelnen<lb/> Zeilen ihre Silbengleichheit benommen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0064]
Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen beſtehen, moͤgen
auch einen ſolchen Anhang in der Muſik bekommen haben, oder
man kann ſie wirklich fuͤr ein Paar Ausnahmen gelten laſſen.
Dahin gehoͤren: Walter von Metz 1. 166. (mirſt min ꝛc.)
Lichtenſtein 2. 26. (nu ſchouwent ꝛc.) und Hawart 2. 111.
112. (ob es an ꝛc.), bei welchem letzten man jedoch auf die
Silbenzaͤhlung zu achten hat. Vergl. auch den gereimten Pro-
log Conrad Megenbergs (Muſeum 1. 148.)
4) Zuweilen zeigt ſich in fruͤhern und ſpaͤteren Meiſterſaͤngen
eine ganz eigene Kuͤnſtlichkeit; ſtatt daß die Reime ſonſt die
Zeile ſchließen, ſtehen ſie da zu Anfang und zwar um einen
irgendwo liegenden Endreim zu binden, der ſonſt Waiſe geblie-
ben waͤre, oder um ſich unter einander Anfangsreim mit An-
fangsreim zu vereinigen. Sie brauchen nicht gerade ganz vorne
vorzukommen, ſondern koͤnnen auch erſt nach einer, zwei oder
mehr Silben folgen. Characteriſtiſch ſcheint mir nun: beiderlei
Faͤlle haben zu gleicher Zeit und untereinander ſtatt, koͤnnen
in jeder Zeile ſtehen, in beiden Stollen, oder nur in einem,
nur im Abgeſang oder im Abgeſang und einem Stollen. Dar-
aus folgt dann: dieſe Anfangsreime haben auf das Princip
der eigentlichen Reime, d. h. der zu Ende ſtehenden keinen Ein-
fluß, Waiſen (ungebundene Reime) ſind ja ohnedem zulaͤſſig im
alten und neuen Meiſtergeſang. Jene alſo greifen in das Ge-
baͤude der Stollen und Abgeſaͤnge gar nicht ein, womit ſie
ſonſt in Widerſpruch ſtehen wuͤrden; es iſt folglich fehlerhaft,
ſie im Druck in neue Zeilen abzuſetzen, als wenn ſie ſelber
wahre Endreime waͤren, was ſie dadurch werden. Benecke,
ſo wie er ſonſt das Reimſyſtem weit ſorgfaͤltiger behandelt,
als die Raßmanniſche Vergleichung thut, hat hierin zu viel
geleiſtet, und offenbar durch das Ausruͤcken ſolcher Aufangs-
reime den Typus des Meiſterſangs verruͤckt, beſonders einzelnen
Zeilen ihre Silbengleichheit benommen.
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