Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

reltons in diesen zweigängigen Reimen erklärbar seyn? etwa,
weil er die langen zwei ersten Zeilen nun entzwei geschnitten
und geflochten hat? Und warum konnte ein späterer Ueberar-
beiter (der bekannte Albrecht) geradezu "dreigeng" setzen, da
er doch an der Wolframischen Form gar nichts änderte? schon
er müßte also den Wolfram mißverstanden haben.

3. Eine merkwürdige Strophe unter Walters Liedern (1.
113.), die aber vermuthlich nicht von ihm, sondern einem drit-
ten gemacht und gegen den sonst unbekannten "her Volenant"
gerichtet ist, enthält, daß dieser keine Ehre habe, daß er den
Meistern ihre meisterlichen Sprüche treten wolle, er möge das
bleiben lassen, Herr Walter sey Korn, er Spreu und das
wird noch in einer andern, nachdrücklicheren Vergleichung aus-
gedrückt 72). Dieser Volenant könnte etwa ein Volksdichter
gewesen seyn, wenigstens wird er hier von der Gattung der
Meistersänger bestimmt ausgesondert. Wie Docen im Mus. 1.
216 von einem Uebermuth gegen Weiber spricht, verstehe ich
nicht, es soll wohl "Meister" heißen.

4. Nach der bekannten Stelle Gottfrieds von Straßburg
im Tristan v. 4516 u. s. w. sollte man doch wohl annehmen

72) Auch ist merkwürdig, wenn es an diesem Ort heißt, Walter
singe was er wolle, des kurzen und des langen; gleicher-
weise bietet Wolfram 1. 148. seiner Frauen kurzen oder lan-
gen
Gesang an, welchen sie wolle. Denn dieß steht wahr-
scheinlich mit dem Tabulaturfehler des zu kurzen oder zu
langen
Singens (Wagenseil n. XXII.) in Verbindung, und
Docen fehlt, (N. lit. Anz. 1807. Col. 773.) daß er diese Ter-
minologie zuerst bei Frauenlob (Miscell. 2. 280. ganz oben) zu
erblicken glaubt. Man vergl. die Stelle eines Gedichts aus
dem 14ten Jahrhundert (Adelung 2. 223.) Das zu viel und
zu klein in der eben angeführten Str. Titurels mag leicht
dasselbe bezeichnen, auch sehe man den Mysner DCXII. zu lane
zu kurz, zu breit, zu smal etc. etc. Otfrieds v. 43. (thio lengi
ioh thie kurti)
steht in Beziehung auf die Metrik der Alten.

reltons in dieſen zweigaͤngigen Reimen erklaͤrbar ſeyn? etwa,
weil er die langen zwei erſten Zeilen nun entzwei geſchnitten
und geflochten hat? Und warum konnte ein ſpaͤterer Ueberar-
beiter (der bekannte Albrecht) geradezu „dreigeng“ ſetzen, da
er doch an der Wolframiſchen Form gar nichts aͤnderte? ſchon
er muͤßte alſo den Wolfram mißverſtanden haben.

3. Eine merkwuͤrdige Strophe unter Walters Liedern (1.
113.), die aber vermuthlich nicht von ihm, ſondern einem drit-
ten gemacht und gegen den ſonſt unbekannten „her Volenant“
gerichtet iſt, enthaͤlt, daß dieſer keine Ehre habe, daß er den
Meiſtern ihre meiſterlichen Spruͤche treten wolle, er moͤge das
bleiben laſſen, Herr Walter ſey Korn, er Spreu und das
wird noch in einer andern, nachdruͤcklicheren Vergleichung aus-
gedruͤckt 72). Dieſer Volenant koͤnnte etwa ein Volksdichter
geweſen ſeyn, wenigſtens wird er hier von der Gattung der
Meiſterſaͤnger beſtimmt ausgeſondert. Wie Docen im Muſ. 1.
216 von einem Uebermuth gegen Weiber ſpricht, verſtehe ich
nicht, es ſoll wohl „Meiſter“ heißen.

4. Nach der bekannten Stelle Gottfrieds von Straßburg
im Triſtan v. 4516 u. ſ. w. ſollte man doch wohl annehmen

72) Auch iſt merkwuͤrdig, wenn es an dieſem Ort heißt, Walter
ſinge was er wolle, des kurzen und des langen; gleicher-
weiſe bietet Wolfram 1. 148. ſeiner Frauen kurzen oder lan-
gen
Geſang an, welchen ſie wolle. Denn dieß ſteht wahr-
ſcheinlich mit dem Tabulaturfehler des zu kurzen oder zu
langen
Singens (Wagenſeil n. XXII.) in Verbindung, und
Docen fehlt, (N. lit. Anz. 1807. Col. 773.) daß er dieſe Ter-
minologie zuerſt bei Frauenlob (Miſcell. 2. 280. ganz oben) zu
erblicken glaubt. Man vergl. die Stelle eines Gedichts aus
dem 14ten Jahrhundert (Adelung 2. 223.) Das zu viel und
zu klein in der eben angefuͤhrten Str. Titurels mag leicht
dasſelbe bezeichnen, auch ſehe man den Myſner DCXII. zu lane
zu kurz, zu breit, zu ſmal ꝛc. ꝛc. Otfrieds v. 43. (thio lengi
ioh thie kurti)
ſteht in Beziehung auf die Metrik der Alten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="86"/>
reltons in die&#x017F;en zweiga&#x0364;ngigen Reimen erkla&#x0364;rbar &#x017F;eyn? etwa,<lb/>
weil er die langen zwei er&#x017F;ten Zeilen nun entzwei ge&#x017F;chnitten<lb/>
und geflochten hat? Und warum konnte ein &#x017F;pa&#x0364;terer Ueberar-<lb/>
beiter (der bekannte Albrecht) geradezu &#x201E;dreigeng&#x201C; &#x017F;etzen, da<lb/>
er doch an der Wolframi&#x017F;chen Form gar nichts a&#x0364;nderte? &#x017F;chon<lb/>
er mu&#x0364;ßte al&#x017F;o den Wolfram mißver&#x017F;tanden haben.</p><lb/>
            <p>3. Eine merkwu&#x0364;rdige Strophe unter Walters Liedern (1.<lb/>
113.), die aber vermuthlich nicht von ihm, &#x017F;ondern einem drit-<lb/>
ten gemacht und gegen den &#x017F;on&#x017F;t unbekannten &#x201E;her Volenant&#x201C;<lb/>
gerichtet i&#x017F;t, entha&#x0364;lt, daß die&#x017F;er keine Ehre habe, daß er den<lb/>
Mei&#x017F;tern ihre mei&#x017F;terlichen Spru&#x0364;che treten wolle, er mo&#x0364;ge das<lb/>
bleiben la&#x017F;&#x017F;en, Herr Walter &#x017F;ey Korn, er Spreu und das<lb/>
wird noch in einer andern, nachdru&#x0364;cklicheren Vergleichung aus-<lb/>
gedru&#x0364;ckt <note place="foot" n="72)">Auch i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig, wenn es an die&#x017F;em Ort heißt, Walter<lb/>
&#x017F;inge was er wolle, des <hi rendition="#g">kurzen</hi> und des <hi rendition="#g">langen</hi>; gleicher-<lb/>
wei&#x017F;e bietet Wolfram 1. 148. &#x017F;einer Frauen <hi rendition="#g">kurzen</hi> oder <hi rendition="#g">lan-<lb/>
gen</hi> Ge&#x017F;ang an, welchen &#x017F;ie wolle. Denn dieß &#x017F;teht wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich mit dem Tabulaturfehler des <hi rendition="#g">zu kurzen</hi> oder <hi rendition="#g">zu<lb/>
langen</hi> Singens (Wagen&#x017F;eil <hi rendition="#aq">n. XXII.</hi>) in Verbindung, und<lb/><hi rendition="#g">Docen</hi> fehlt, (N. lit. Anz. 1807. Col. 773.) daß er die&#x017F;e Ter-<lb/>
minologie zuer&#x017F;t bei Frauenlob (Mi&#x017F;cell. 2. 280. ganz oben) zu<lb/>
erblicken glaubt. Man vergl. die Stelle eines Gedichts aus<lb/>
dem 14ten Jahrhundert (Adelung 2. 223.) Das <hi rendition="#g">zu viel</hi> und<lb/><hi rendition="#g">zu klein</hi> in der eben angefu&#x0364;hrten Str. Titurels mag leicht<lb/>
das&#x017F;elbe bezeichnen, auch &#x017F;ehe man den My&#x017F;ner <hi rendition="#aq">DCXII.</hi> zu lane<lb/>
zu kurz, zu breit, zu &#x017F;mal &#xA75B;c. &#xA75B;c. Otfrieds <hi rendition="#aq">v. 43. (thio lengi<lb/>
ioh thie kurti)</hi> &#x017F;teht in Beziehung auf die Metrik der Alten.</note>. Die&#x017F;er Volenant ko&#x0364;nnte etwa ein Volksdichter<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wenig&#x017F;tens wird er hier von der Gattung der<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;a&#x0364;nger be&#x017F;timmt ausge&#x017F;ondert. Wie <hi rendition="#g">Docen</hi> im Mu&#x017F;. 1.<lb/>
216 von einem Uebermuth gegen Weiber &#x017F;pricht, ver&#x017F;tehe ich<lb/>
nicht, es &#x017F;oll wohl &#x201E;Mei&#x017F;ter&#x201C; heißen.</p><lb/>
            <p>4. Nach der bekannten Stelle Gottfrieds von Straßburg<lb/>
im Tri&#x017F;tan <hi rendition="#aq">v.</hi> 4516 u. &#x017F;. w. &#x017F;ollte man doch wohl annehmen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0096] reltons in dieſen zweigaͤngigen Reimen erklaͤrbar ſeyn? etwa, weil er die langen zwei erſten Zeilen nun entzwei geſchnitten und geflochten hat? Und warum konnte ein ſpaͤterer Ueberar- beiter (der bekannte Albrecht) geradezu „dreigeng“ ſetzen, da er doch an der Wolframiſchen Form gar nichts aͤnderte? ſchon er muͤßte alſo den Wolfram mißverſtanden haben. 3. Eine merkwuͤrdige Strophe unter Walters Liedern (1. 113.), die aber vermuthlich nicht von ihm, ſondern einem drit- ten gemacht und gegen den ſonſt unbekannten „her Volenant“ gerichtet iſt, enthaͤlt, daß dieſer keine Ehre habe, daß er den Meiſtern ihre meiſterlichen Spruͤche treten wolle, er moͤge das bleiben laſſen, Herr Walter ſey Korn, er Spreu und das wird noch in einer andern, nachdruͤcklicheren Vergleichung aus- gedruͤckt 72). Dieſer Volenant koͤnnte etwa ein Volksdichter geweſen ſeyn, wenigſtens wird er hier von der Gattung der Meiſterſaͤnger beſtimmt ausgeſondert. Wie Docen im Muſ. 1. 216 von einem Uebermuth gegen Weiber ſpricht, verſtehe ich nicht, es ſoll wohl „Meiſter“ heißen. 4. Nach der bekannten Stelle Gottfrieds von Straßburg im Triſtan v. 4516 u. ſ. w. ſollte man doch wohl annehmen 72) Auch iſt merkwuͤrdig, wenn es an dieſem Ort heißt, Walter ſinge was er wolle, des kurzen und des langen; gleicher- weiſe bietet Wolfram 1. 148. ſeiner Frauen kurzen oder lan- gen Geſang an, welchen ſie wolle. Denn dieß ſteht wahr- ſcheinlich mit dem Tabulaturfehler des zu kurzen oder zu langen Singens (Wagenſeil n. XXII.) in Verbindung, und Docen fehlt, (N. lit. Anz. 1807. Col. 773.) daß er dieſe Ter- minologie zuerſt bei Frauenlob (Miſcell. 2. 280. ganz oben) zu erblicken glaubt. Man vergl. die Stelle eines Gedichts aus dem 14ten Jahrhundert (Adelung 2. 223.) Das zu viel und zu klein in der eben angefuͤhrten Str. Titurels mag leicht dasſelbe bezeichnen, auch ſehe man den Myſner DCXII. zu lane zu kurz, zu breit, zu ſmal ꝛc. ꝛc. Otfrieds v. 43. (thio lengi ioh thie kurti) ſteht in Beziehung auf die Metrik der Alten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/96
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/96>, abgerufen am 21.11.2024.