Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schwiegermutter, meiner theuren Freundin, war der erste Schlag, der den wolkenlosen Himmel verfinsterte, aber dieser Trauerfall machte es ihm um so mehr zur Pflicht, die arme Julia zu zerstreuen und sie ihren Verlust vergessen zu machen; man unternahm eine Reise nach Venedig. Damals schon meinten einige böse Zungen, die Reise sei nur ein Vorwand, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen. Einige Gläubiger meldeten sich, andere wurden unruhig. Die Katastrophe drohte hereinzubrechen, aber Herr Heister kam mit seiner Frau zur festgesetzten Zeit zurück, heiter und sorglos wie immer. Einige der Gläubiger wurden sofort befriedigt, anderen gab man Sicherheit, den dritten Vertröstungen. Dies genügte für den Augenblick, aber das Mißtrauen war nun einmal erwacht und zu stark, um wieder ganz eingeschläfert zu werden. Seit dieser Zeit machte Herr Heister öfter kleine Reisen, er kam aber immer verstimmt zurück. Fremde wollen ihn in Wiesbaden und Homburg gesehen haben. Während einer dieser kleineren Reisen, die er stets allein unternahm, wurden Wechsel präsentirt, und das Unglück wollte es, daß Frau Julia zu Hause war. Die junge Frau ruft den Kassier -- er erscheint und macht ein bestürztes Gesicht, als er die Wechsel sieht. Frau Julia befiehlt, sie auszuzahlen. Der Kassier sucht nach Ausflüchten, sie wird gereizt und läßt sich zu einer unbesonnenen Aeußerung über seine Pflichttreue hinreißen. Das verletzt den empfindlichen Mann auf das Aeußerste, Schwiegermutter, meiner theuren Freundin, war der erste Schlag, der den wolkenlosen Himmel verfinsterte, aber dieser Trauerfall machte es ihm um so mehr zur Pflicht, die arme Julia zu zerstreuen und sie ihren Verlust vergessen zu machen; man unternahm eine Reise nach Venedig. Damals schon meinten einige böse Zungen, die Reise sei nur ein Vorwand, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen. Einige Gläubiger meldeten sich, andere wurden unruhig. Die Katastrophe drohte hereinzubrechen, aber Herr Heister kam mit seiner Frau zur festgesetzten Zeit zurück, heiter und sorglos wie immer. Einige der Gläubiger wurden sofort befriedigt, anderen gab man Sicherheit, den dritten Vertröstungen. Dies genügte für den Augenblick, aber das Mißtrauen war nun einmal erwacht und zu stark, um wieder ganz eingeschläfert zu werden. Seit dieser Zeit machte Herr Heister öfter kleine Reisen, er kam aber immer verstimmt zurück. Fremde wollen ihn in Wiesbaden und Homburg gesehen haben. Während einer dieser kleineren Reisen, die er stets allein unternahm, wurden Wechsel präsentirt, und das Unglück wollte es, daß Frau Julia zu Hause war. Die junge Frau ruft den Kassier — er erscheint und macht ein bestürztes Gesicht, als er die Wechsel sieht. Frau Julia befiehlt, sie auszuzahlen. Der Kassier sucht nach Ausflüchten, sie wird gereizt und läßt sich zu einer unbesonnenen Aeußerung über seine Pflichttreue hinreißen. Das verletzt den empfindlichen Mann auf das Aeußerste, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0031"/> Schwiegermutter, meiner theuren Freundin, war der erste Schlag, der den wolkenlosen Himmel verfinsterte, aber dieser Trauerfall machte es ihm um so mehr zur Pflicht, die arme Julia zu zerstreuen und sie ihren Verlust vergessen zu machen; man unternahm eine Reise nach Venedig. Damals schon meinten einige böse Zungen, die Reise sei nur ein Vorwand, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen. Einige Gläubiger meldeten sich, andere wurden unruhig. Die Katastrophe drohte hereinzubrechen, aber Herr Heister kam mit seiner Frau zur festgesetzten Zeit zurück, heiter und sorglos wie immer. Einige der Gläubiger wurden sofort befriedigt, anderen gab man Sicherheit, den dritten Vertröstungen. Dies genügte für den Augenblick, aber das Mißtrauen war nun einmal erwacht und zu stark, um wieder ganz eingeschläfert zu werden.</p><lb/> <p>Seit dieser Zeit machte Herr Heister öfter kleine Reisen, er kam aber immer verstimmt zurück. Fremde wollen ihn in Wiesbaden und Homburg gesehen haben. Während einer dieser kleineren Reisen, die er stets allein unternahm, wurden Wechsel präsentirt, und das Unglück wollte es, daß Frau Julia zu Hause war. Die junge Frau ruft den Kassier — er erscheint und macht ein bestürztes Gesicht, als er die Wechsel sieht. Frau Julia befiehlt, sie auszuzahlen. Der Kassier sucht nach Ausflüchten, sie wird gereizt und läßt sich zu einer unbesonnenen Aeußerung über seine Pflichttreue hinreißen. Das verletzt den empfindlichen Mann auf das Aeußerste,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
Schwiegermutter, meiner theuren Freundin, war der erste Schlag, der den wolkenlosen Himmel verfinsterte, aber dieser Trauerfall machte es ihm um so mehr zur Pflicht, die arme Julia zu zerstreuen und sie ihren Verlust vergessen zu machen; man unternahm eine Reise nach Venedig. Damals schon meinten einige böse Zungen, die Reise sei nur ein Vorwand, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen. Einige Gläubiger meldeten sich, andere wurden unruhig. Die Katastrophe drohte hereinzubrechen, aber Herr Heister kam mit seiner Frau zur festgesetzten Zeit zurück, heiter und sorglos wie immer. Einige der Gläubiger wurden sofort befriedigt, anderen gab man Sicherheit, den dritten Vertröstungen. Dies genügte für den Augenblick, aber das Mißtrauen war nun einmal erwacht und zu stark, um wieder ganz eingeschläfert zu werden.
Seit dieser Zeit machte Herr Heister öfter kleine Reisen, er kam aber immer verstimmt zurück. Fremde wollen ihn in Wiesbaden und Homburg gesehen haben. Während einer dieser kleineren Reisen, die er stets allein unternahm, wurden Wechsel präsentirt, und das Unglück wollte es, daß Frau Julia zu Hause war. Die junge Frau ruft den Kassier — er erscheint und macht ein bestürztes Gesicht, als er die Wechsel sieht. Frau Julia befiehlt, sie auszuzahlen. Der Kassier sucht nach Ausflüchten, sie wird gereizt und läßt sich zu einer unbesonnenen Aeußerung über seine Pflichttreue hinreißen. Das verletzt den empfindlichen Mann auf das Aeußerste,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T10:31:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T10:31:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |