Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite
I.

Die Sonne scheint hell herab auf den Strom am Wald, auf den Fahrweg und die Brücke, unter welcher die Enten des Dorfes, oder vielmehr der Vorstadt, an jedem Morgen hindurchschwimmen. -- Heute umzittern goldene Lichter die grünblauen Schatten auf den breiten, lautlos hinströmenden Wassern, goldene Lichter umspielen das frisch angestrichene Thor des großen "Hofgutes" und nicht minder das bescheidene Gärtlein der Frau Conrectorin, das dem Vorübergehenden nur wie eine grüne Wildniß von Himbeerbüschen erscheint. Die Obstbäume stehen in dem Gärtchen so dicht, daß sie das schindelgedeckte saubere Wohnhaus gänzlich verbergen; auch die Bewohnerin, welche mit einer alten Magd auf diesem Wittwensitz haus't, sieht von der Welt nichts als grüne Wipfel, flatternde Tauben und ziehende Wolken. Ist sie damit nicht zufrieden, so muß sie in das kleine chinesische Gartenhäuschen gehen, das vorn am Wasser liegt und dessen Fenster von buntem Glase theils auf die Landstraße, theils auf den Strom und Wald, theils auf die ferne, weithin gestreckte, im Duft verschwimmende Hauptstadt blicken.

I.

Die Sonne scheint hell herab auf den Strom am Wald, auf den Fahrweg und die Brücke, unter welcher die Enten des Dorfes, oder vielmehr der Vorstadt, an jedem Morgen hindurchschwimmen. — Heute umzittern goldene Lichter die grünblauen Schatten auf den breiten, lautlos hinströmenden Wassern, goldene Lichter umspielen das frisch angestrichene Thor des großen „Hofgutes“ und nicht minder das bescheidene Gärtlein der Frau Conrectorin, das dem Vorübergehenden nur wie eine grüne Wildniß von Himbeerbüschen erscheint. Die Obstbäume stehen in dem Gärtchen so dicht, daß sie das schindelgedeckte saubere Wohnhaus gänzlich verbergen; auch die Bewohnerin, welche mit einer alten Magd auf diesem Wittwensitz haus't, sieht von der Welt nichts als grüne Wipfel, flatternde Tauben und ziehende Wolken. Ist sie damit nicht zufrieden, so muß sie in das kleine chinesische Gartenhäuschen gehen, das vorn am Wasser liegt und dessen Fenster von buntem Glase theils auf die Landstraße, theils auf den Strom und Wald, theils auf die ferne, weithin gestreckte, im Duft verschwimmende Hauptstadt blicken.

<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0007"/>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <head>I.</head>
        <p>Die Sonne scheint hell herab auf den Strom am Wald, auf den Fahrweg und die Brücke,                unter welcher die Enten des Dorfes, oder vielmehr der Vorstadt, an jedem Morgen                hindurchschwimmen. &#x2014; Heute umzittern goldene Lichter die grünblauen Schatten auf den                breiten, lautlos hinströmenden Wassern, goldene Lichter umspielen das frisch                angestrichene Thor des großen &#x201E;Hofgutes&#x201C; und nicht minder das bescheidene Gärtlein                der Frau Conrectorin, das dem Vorübergehenden nur wie eine grüne Wildniß von                Himbeerbüschen erscheint. Die Obstbäume stehen in dem Gärtchen so dicht, daß sie das                schindelgedeckte saubere Wohnhaus gänzlich verbergen; auch die Bewohnerin, welche mit                einer alten Magd auf diesem Wittwensitz haus't, sieht von der Welt nichts als grüne                Wipfel, flatternde Tauben und ziehende Wolken. Ist sie damit nicht zufrieden, so muß                sie in das kleine chinesische Gartenhäuschen gehen, das vorn am Wasser liegt und                dessen Fenster von buntem Glase theils auf die Landstraße, theils auf den Strom und                Wald, theils auf die ferne, weithin gestreckte, im Duft verschwimmende Hauptstadt                blicken.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0007] I. Die Sonne scheint hell herab auf den Strom am Wald, auf den Fahrweg und die Brücke, unter welcher die Enten des Dorfes, oder vielmehr der Vorstadt, an jedem Morgen hindurchschwimmen. — Heute umzittern goldene Lichter die grünblauen Schatten auf den breiten, lautlos hinströmenden Wassern, goldene Lichter umspielen das frisch angestrichene Thor des großen „Hofgutes“ und nicht minder das bescheidene Gärtlein der Frau Conrectorin, das dem Vorübergehenden nur wie eine grüne Wildniß von Himbeerbüschen erscheint. Die Obstbäume stehen in dem Gärtchen so dicht, daß sie das schindelgedeckte saubere Wohnhaus gänzlich verbergen; auch die Bewohnerin, welche mit einer alten Magd auf diesem Wittwensitz haus't, sieht von der Welt nichts als grüne Wipfel, flatternde Tauben und ziehende Wolken. Ist sie damit nicht zufrieden, so muß sie in das kleine chinesische Gartenhäuschen gehen, das vorn am Wasser liegt und dessen Fenster von buntem Glase theils auf die Landstraße, theils auf den Strom und Wald, theils auf die ferne, weithin gestreckte, im Duft verschwimmende Hauptstadt blicken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/7
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/7>, abgerufen am 03.12.2024.