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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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stimmten ihn entschieden idyllisch, elegisch -- in der Hauptsache "Geßnerisch" mit einigem "Beigeschmack von Mathisson", wie sich Vetter Isidor ausdrückte. Plötzlich tönte ein Klirren und Klappern wie von Tassen an sein Ohr; er beugte sich aus dem Fenster und sah, wie der lahme Milchmann Joseph den Kaffee in das Gartenhäuschen trug. Dieser Anblick rief seine Gedanken zu den irdischen Dingen herab.

Zugleich fielen dem Vetter die letzten Worte der Frau Conrectorin ein. Wie ein ertappter Sünder stellte er rasch die Meerschaumpfeife hin und warf sich mit höchster Geschwindigkeit in seine Kleider, um noch zur rechten Zeit am Platze zu sein. Besonderen Schmerz machte ihm dabei der schwarze Frack, er hatte sich so darauf gefreut, in einem alten Schlafpelz des seligen Conrectors es sich bequem zu machen -- nun mußte er schon des Morgens in unbequemer Gala erscheinen.

In der Kirche verhallten jetzt die Orgelklänge.

Seit Beginn der Messe kniete in der ersten Reihe eine schwarzverschleierte Dame, auch ihre Wange war mit einem schwarzseidenen Tuch verbunden. Neben ihr beteten einige Dorfkinder und alte Frauen der Nachbarschaft. Eine Weile nachher war auch die Frau Conrectorin erschienen und hatte in der letzten Reihe Platz genommen; sie hatte nur einen grauen Shawl übergeworfen und eine wollene Kapuze aufgesetzt.

Jetzt, als die Wandlung vorüber und der dicke Meßpriester mit dem Sacristan davongeschritten war,

stimmten ihn entschieden idyllisch, elegisch — in der Hauptsache „Geßnerisch“ mit einigem „Beigeschmack von Mathisson“, wie sich Vetter Isidor ausdrückte. Plötzlich tönte ein Klirren und Klappern wie von Tassen an sein Ohr; er beugte sich aus dem Fenster und sah, wie der lahme Milchmann Joseph den Kaffee in das Gartenhäuschen trug. Dieser Anblick rief seine Gedanken zu den irdischen Dingen herab.

Zugleich fielen dem Vetter die letzten Worte der Frau Conrectorin ein. Wie ein ertappter Sünder stellte er rasch die Meerschaumpfeife hin und warf sich mit höchster Geschwindigkeit in seine Kleider, um noch zur rechten Zeit am Platze zu sein. Besonderen Schmerz machte ihm dabei der schwarze Frack, er hatte sich so darauf gefreut, in einem alten Schlafpelz des seligen Conrectors es sich bequem zu machen — nun mußte er schon des Morgens in unbequemer Gala erscheinen.

In der Kirche verhallten jetzt die Orgelklänge.

Seit Beginn der Messe kniete in der ersten Reihe eine schwarzverschleierte Dame, auch ihre Wange war mit einem schwarzseidenen Tuch verbunden. Neben ihr beteten einige Dorfkinder und alte Frauen der Nachbarschaft. Eine Weile nachher war auch die Frau Conrectorin erschienen und hatte in der letzten Reihe Platz genommen; sie hatte nur einen grauen Shawl übergeworfen und eine wollene Kapuze aufgesetzt.

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[0083] stimmten ihn entschieden idyllisch, elegisch — in der Hauptsache „Geßnerisch“ mit einigem „Beigeschmack von Mathisson“, wie sich Vetter Isidor ausdrückte. Plötzlich tönte ein Klirren und Klappern wie von Tassen an sein Ohr; er beugte sich aus dem Fenster und sah, wie der lahme Milchmann Joseph den Kaffee in das Gartenhäuschen trug. Dieser Anblick rief seine Gedanken zu den irdischen Dingen herab. Zugleich fielen dem Vetter die letzten Worte der Frau Conrectorin ein. Wie ein ertappter Sünder stellte er rasch die Meerschaumpfeife hin und warf sich mit höchster Geschwindigkeit in seine Kleider, um noch zur rechten Zeit am Platze zu sein. Besonderen Schmerz machte ihm dabei der schwarze Frack, er hatte sich so darauf gefreut, in einem alten Schlafpelz des seligen Conrectors es sich bequem zu machen — nun mußte er schon des Morgens in unbequemer Gala erscheinen. In der Kirche verhallten jetzt die Orgelklänge. Seit Beginn der Messe kniete in der ersten Reihe eine schwarzverschleierte Dame, auch ihre Wange war mit einem schwarzseidenen Tuch verbunden. Neben ihr beteten einige Dorfkinder und alte Frauen der Nachbarschaft. Eine Weile nachher war auch die Frau Conrectorin erschienen und hatte in der letzten Reihe Platz genommen; sie hatte nur einen grauen Shawl übergeworfen und eine wollene Kapuze aufgesetzt. Jetzt, als die Wandlung vorüber und der dicke Meßpriester mit dem Sacristan davongeschritten war,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/83>, abgerufen am 14.05.2024.