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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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der Nazionen.
nend, schalteten sie über Fürsten und Länder wie über ihr
Eigenthum, und setzten die Regenten nach Gefallen ein
und ab e]. Am weitesten ging hierinn der herschsüchtige
Papst Gregor VII. dessen abscheuliche Grundsätze bekant
genug sind f].

Fast alle Regenten Europens musten in ienen dunkeln
Zeiten sich dem Joche der päpstlichen Hierarchie nicht nur
im Geistlichen, sondern auch im Weltlichen g] mehr oder
weniger unterwerfen. Nachdem man den Päpsten ein-
mal die höchste Gewalt im Geistlichen eingeräumt hatte,
so fiel es ihnen nicht schwer auch in weltlichen Angelegen-
heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie
konten auch auf die Wilfährigkeit der Fürsten um so eher
rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewöhnlich den
Geistlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu
dienlichen Grundsätze zeitig genug beizubringen nicht ver-
gassen. Selbst von den römischen Kaisern, welche doch
die zweite Statthalterstelle Christi auf Erden bekleiden
solten und den hauptsächlichsten Grund zum päpstlichen
Ansehen gelegt hatten, verlangten die Päpste kindlichen
Gehorsam h], Vasallenpflicht i], ia sogar Tribut und
Unterwerfung. Verschiedene Kaiser musten würklich
nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l],
Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh-
rere. Doch hatten auch andere und besonders die folgen-
den Kaiser Muth und Entschlossenheit genug, sich den
übertriebenen Foderungen der Päpste standhaft zu wider-
setzen m] und ihre Absichten zu vereiteln. Gleichwohl
waren sie damals noch nicht vermögend, das päpstliche
Joch gänzlich abzuschütteln n].

Auf gleiche Art verfuhren die Päpste mit den übrigen
Königen und Fürsten in Europa. Die meisten derselben
waren, wie ich schon im vorigen Kapitel gedacht, dem
päpstlichen Stuhle lehn- oder zinsbar oder auf andere Art
von ihm abhängig: sie musten ihren Befehlen gehorchen,

und
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der Nazionen.
nend, ſchalteten ſie uͤber Fuͤrſten und Laͤnder wie uͤber ihr
Eigenthum, und ſetzten die Regenten nach Gefallen ein
und ab e]. Am weiteſten ging hierinn der herſchſuͤchtige
Papſt Gregor VII. deſſen abſcheuliche Grundſaͤtze bekant
genug ſind f].

Faſt alle Regenten Europens muſten in ienen dunkeln
Zeiten ſich dem Joche der paͤpſtlichen Hierarchie nicht nur
im Geiſtlichen, ſondern auch im Weltlichen g] mehr oder
weniger unterwerfen. Nachdem man den Paͤpſten ein-
mal die hoͤchſte Gewalt im Geiſtlichen eingeraͤumt hatte,
ſo fiel es ihnen nicht ſchwer auch in weltlichen Angelegen-
heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie
konten auch auf die Wilfaͤhrigkeit der Fuͤrſten um ſo eher
rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewoͤhnlich den
Geiſtlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu
dienlichen Grundſaͤtze zeitig genug beizubringen nicht ver-
gaſſen. Selbſt von den roͤmiſchen Kaiſern, welche doch
die zweite Statthalterſtelle Chriſti auf Erden bekleiden
ſolten und den hauptſaͤchlichſten Grund zum paͤpſtlichen
Anſehen gelegt hatten, verlangten die Paͤpſte kindlichen
Gehorſam h], Vaſallenpflicht i], ia ſogar Tribut und
Unterwerfung. Verſchiedene Kaiſer muſten wuͤrklich
nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l],
Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh-
rere. Doch hatten auch andere und beſonders die folgen-
den Kaiſer Muth und Entſchloſſenheit genug, ſich den
uͤbertriebenen Foderungen der Paͤpſte ſtandhaft zu wider-
ſetzen m] und ihre Abſichten zu vereiteln. Gleichwohl
waren ſie damals noch nicht vermoͤgend, das paͤpſtliche
Joch gaͤnzlich abzuſchuͤtteln n].

Auf gleiche Art verfuhren die Paͤpſte mit den uͤbrigen
Koͤnigen und Fuͤrſten in Europa. Die meiſten derſelben
waren, wie ich ſchon im vorigen Kapitel gedacht, dem
paͤpſtlichen Stuhle lehn- oder zinsbar oder auf andere Art
von ihm abhaͤngig: ſie muſten ihren Befehlen gehorchen,

und
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[163/0189] der Nazionen. nend, ſchalteten ſie uͤber Fuͤrſten und Laͤnder wie uͤber ihr Eigenthum, und ſetzten die Regenten nach Gefallen ein und ab e]. Am weiteſten ging hierinn der herſchſuͤchtige Papſt Gregor VII. deſſen abſcheuliche Grundſaͤtze bekant genug ſind f]. Faſt alle Regenten Europens muſten in ienen dunkeln Zeiten ſich dem Joche der paͤpſtlichen Hierarchie nicht nur im Geiſtlichen, ſondern auch im Weltlichen g] mehr oder weniger unterwerfen. Nachdem man den Paͤpſten ein- mal die hoͤchſte Gewalt im Geiſtlichen eingeraͤumt hatte, ſo fiel es ihnen nicht ſchwer auch in weltlichen Angelegen- heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie konten auch auf die Wilfaͤhrigkeit der Fuͤrſten um ſo eher rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewoͤhnlich den Geiſtlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu dienlichen Grundſaͤtze zeitig genug beizubringen nicht ver- gaſſen. Selbſt von den roͤmiſchen Kaiſern, welche doch die zweite Statthalterſtelle Chriſti auf Erden bekleiden ſolten und den hauptſaͤchlichſten Grund zum paͤpſtlichen Anſehen gelegt hatten, verlangten die Paͤpſte kindlichen Gehorſam h], Vaſallenpflicht i], ia ſogar Tribut und Unterwerfung. Verſchiedene Kaiſer muſten wuͤrklich nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l], Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh- rere. Doch hatten auch andere und beſonders die folgen- den Kaiſer Muth und Entſchloſſenheit genug, ſich den uͤbertriebenen Foderungen der Paͤpſte ſtandhaft zu wider- ſetzen m] und ihre Abſichten zu vereiteln. Gleichwohl waren ſie damals noch nicht vermoͤgend, das paͤpſtliche Joch gaͤnzlich abzuſchuͤtteln n]. Auf gleiche Art verfuhren die Paͤpſte mit den uͤbrigen Koͤnigen und Fuͤrſten in Europa. Die meiſten derſelben waren, wie ich ſchon im vorigen Kapitel gedacht, dem paͤpſtlichen Stuhle lehn- oder zinsbar oder auf andere Art von ihm abhaͤngig: ſie muſten ihren Befehlen gehorchen, und L 2

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/189>, abgerufen am 18.05.2024.