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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
h] Eine natürliche Bestimmung der erfoderlichen Zeit ist
nicht vorhanden und eben so wenig Zuverlässiges läßt sich
aus den Meinungen der Schriftsteller erholen. Sie
nehmen, nach Verschiedenheit der beweglichen oder unbe-
weglichen Dinge und nach der An- oder Abwesenheit der
Theilhaber bald eine kürzere bald eine längere Zeit an.
Da aber alle diese wilkührlichen Grundsätze der Gelehr-
ten für die Nazionen keine Verbindlichkeit haben, so wol-
len Puffendorff [L. IV. c. 12. §. 9.] und andere,
daß diese den Ausspruch der natürlichen Ungewisheit
einem Schiedsrichter überlassen müsten. Aber wer kann
sie dazu nöthigen? Gemeiniglich verlangt man eine un-
denkliche Zeit [tempus immemoriale] worunter Gro-
tius [a. a. O. §. 7.] mit seinen Anhängern iedoch mei-
stens nicht eine solche Zeit versteht, welche allen mögli-
chen Beweis des Gegenteils ausschließt, sondern nur
die, welche Gedenken eines Menschenalters übersteigt,
weil er hinzusetzt: nisi validissimae sint in contrarium
rationes.
Allein hierbey bemerkt Walther [a. u. a.
O. §. 17.] ganz richtig: Quodsi absolutam quam di-
cunt praescriptionem intelligit immemorialem, vbi
pristinus dominus vel actor neque testibus vivis neque
literarum monimentis rem suam liquido vincere potest,
non video quomodo validissimae in contrarium ratio-
nes esse possunt -- hic acquirendi modus non in tem-
poris lapsu, sed in testimoniorum inopia nititur et
minus recte in praescriptionibus numeratur.
Viele
Gelehrte scheinen indes eine solche undenkliche Zeit bey
der Völkerveriährung anzunehmen. M. vergl. Hoheisel
§. 39.
i] Manche sehen den redlichen Besitz durchaus für nöthig
an. Mala fides vsucapioni et praescriptioni semper
obstat consequenter toto tempore possessionis bona
fides requiritur. Wolff Inst. I. N. et G. P. II. c.
8.
§. 464.
k] Zu
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oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
h] Eine natuͤrliche Beſtimmung der erfoderlichen Zeit iſt
nicht vorhanden und eben ſo wenig Zuverlaͤſſiges laͤßt ſich
aus den Meinungen der Schriftſteller erholen. Sie
nehmen, nach Verſchiedenheit der beweglichen oder unbe-
weglichen Dinge und nach der An- oder Abweſenheit der
Theilhaber bald eine kuͤrzere bald eine laͤngere Zeit an.
Da aber alle dieſe wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze der Gelehr-
ten fuͤr die Nazionen keine Verbindlichkeit haben, ſo wol-
len Puffendorff [L. IV. c. 12. §. 9.] und andere,
daß dieſe den Ausſpruch der natuͤrlichen Ungewisheit
einem Schiedsrichter uͤberlaſſen muͤſten. Aber wer kann
ſie dazu noͤthigen? Gemeiniglich verlangt man eine un-
denkliche Zeit [tempus immemoriale] worunter Gro-
tius [a. a. O. §. 7.] mit ſeinen Anhaͤngern iedoch mei-
ſtens nicht eine ſolche Zeit verſteht, welche allen moͤgli-
chen Beweis des Gegenteils ausſchließt, ſondern nur
die, welche Gedenken eines Menſchenalters uͤberſteigt,
weil er hinzuſetzt: niſi validiſſimae ſint in contrarium
rationes.
Allein hierbey bemerkt Walther [a. u. a.
O. §. 17.] ganz richtig: Quodſi abſolutam quam di-
cunt praeſcriptionem intelligit immemorialem, vbi
priſtinus dominus vel actor neque teſtibus vivis neque
literarum monimentis rem ſuam liquido vincere poteſt,
non video quomodo validiſſimae in contrarium ratio-
nes eſſe poſſunt — hic acquirendi modus non in tem-
poris lapſu, ſed in teſtimoniorum inopia nititur et
minus recte in praeſcriptionibus numeratur.
Viele
Gelehrte ſcheinen indes eine ſolche undenkliche Zeit bey
der Voͤlkerveriaͤhrung anzunehmen. M. vergl. Hoheiſel
§. 39.
i] Manche ſehen den redlichen Beſitz durchaus fuͤr noͤthig
an. Mala fides vſucapioni et praeſcriptioni ſemper
obſtat conſequenter toto tempore poſſeſſionis bona
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8.
§. 464.
k] Zu
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[121/0135] oder den abgeleiteten Erwerbungsarten. h] Eine natuͤrliche Beſtimmung der erfoderlichen Zeit iſt nicht vorhanden und eben ſo wenig Zuverlaͤſſiges laͤßt ſich aus den Meinungen der Schriftſteller erholen. Sie nehmen, nach Verſchiedenheit der beweglichen oder unbe- weglichen Dinge und nach der An- oder Abweſenheit der Theilhaber bald eine kuͤrzere bald eine laͤngere Zeit an. Da aber alle dieſe wilkuͤhrlichen Grundſaͤtze der Gelehr- ten fuͤr die Nazionen keine Verbindlichkeit haben, ſo wol- len Puffendorff [L. IV. c. 12. §. 9.] und andere, daß dieſe den Ausſpruch der natuͤrlichen Ungewisheit einem Schiedsrichter uͤberlaſſen muͤſten. Aber wer kann ſie dazu noͤthigen? Gemeiniglich verlangt man eine un- denkliche Zeit [tempus immemoriale] worunter Gro- tius [a. a. O. §. 7.] mit ſeinen Anhaͤngern iedoch mei- ſtens nicht eine ſolche Zeit verſteht, welche allen moͤgli- chen Beweis des Gegenteils ausſchließt, ſondern nur die, welche Gedenken eines Menſchenalters uͤberſteigt, weil er hinzuſetzt: niſi validiſſimae ſint in contrarium rationes. Allein hierbey bemerkt Walther [a. u. a. O. §. 17.] ganz richtig: Quodſi abſolutam quam di- cunt praeſcriptionem intelligit immemorialem, vbi priſtinus dominus vel actor neque teſtibus vivis neque literarum monimentis rem ſuam liquido vincere poteſt, non video quomodo validiſſimae in contrarium ratio- nes eſſe poſſunt — hic acquirendi modus non in tem- poris lapſu, ſed in teſtimoniorum inopia nititur et minus recte in praeſcriptionibus numeratur. Viele Gelehrte ſcheinen indes eine ſolche undenkliche Zeit bey der Voͤlkerveriaͤhrung anzunehmen. M. vergl. Hoheiſel §. 39. i] Manche ſehen den redlichen Beſitz durchaus fuͤr noͤthig an. Mala fides vſucapioni et praeſcriptioni ſemper obſtat conſequenter toto tempore poſſeſſionis bona fides requiritur. Wolff Inſt. I. N. et G. P. II. c. 8. §. 464. k] Zu H 5

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/135>, abgerufen am 14.05.2024.