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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
iedoch in der Folge wieder losgerissen und die Gül-
tigkeit der Veriährung unter ihnen verworfen hätten.
§. 26.
Undenklicher Besitz.

Von der Veriährung, welche nach richtigen Begriffen
blos eine lange, höchstens Menschengedenken übersteigende
Zeit erfodert, ist der undenkliche Besitz, d. i. ein sol-
cher, dessen Unrechtmässigkeit, wenn er gleich seinem
Ursprunge nach nicht alle erfoderliche Eigenschaften ge-
habt haben solte, sich weder durch Zeugen noch Urkun-
den erweisen läßt, gar sehr unterschieden a]. Fälsch-
lich erfodern verschiedene Völkerrechtslehrer einen sol-
chen Besitz bey der Veriährung b]. Wo dieser vorhan-
den ist bedarf es der Veriährung und vermeintlichen
Aufgabe nicht: es komt auch dabey weder auf einen
rechtmässigen Titel noch auf eine rechtliche Ueberzeugung
an. Diese werden vorausgesetzt, weil das Gegentheil
sich nicht erweisen läßt. Ueberhaupt ist der undenkliche
Besitz nicht sowohl eine besondere Erwerbungsart, als
nur ein Beweis des Eigenthums, der gegen alle andere
Ansprüche schützt, indem der Mangel an Nachrichten
die Unmöglichkeit in sich schließt, ein gegründeteres
Recht darzuthun.

Wenn man diese drey Erwerbsarten und Besitz-
stände, der stilschweigenden Einwilligung, der
Veriährung und des undenklichen Besitzes gehörig
von einander unterscheidet, so wird es, glaube ich,
nicht schwer seyn, iede derselben nach ihren vorange-
führten eignen Grundsätzen zu beurteilen und deren
Werth unter den Völkern zu bestimmen.

Zu wünschen wäre es freilich, daß die Nazionen
über diesen so wichtigen Gegenstand eine Richtschnur

fest-
J 2
oder den abgeleiteten Erwerbungsarten.
iedoch in der Folge wieder losgeriſſen und die Guͤl-
tigkeit der Veriaͤhrung unter ihnen verworfen haͤtten.
§. 26.
Undenklicher Beſitz.

Von der Veriaͤhrung, welche nach richtigen Begriffen
blos eine lange, hoͤchſtens Menſchengedenken uͤberſteigende
Zeit erfodert, iſt der undenkliche Beſitz, d. i. ein ſol-
cher, deſſen Unrechtmaͤſſigkeit, wenn er gleich ſeinem
Urſprunge nach nicht alle erfoderliche Eigenſchaften ge-
habt haben ſolte, ſich weder durch Zeugen noch Urkun-
den erweiſen laͤßt, gar ſehr unterſchieden a]. Faͤlſch-
lich erfodern verſchiedene Voͤlkerrechtslehrer einen ſol-
chen Beſitz bey der Veriaͤhrung b]. Wo dieſer vorhan-
den iſt bedarf es der Veriaͤhrung und vermeintlichen
Aufgabe nicht: es komt auch dabey weder auf einen
rechtmaͤſſigen Titel noch auf eine rechtliche Ueberzeugung
an. Dieſe werden vorausgeſetzt, weil das Gegentheil
ſich nicht erweiſen laͤßt. Ueberhaupt iſt der undenkliche
Beſitz nicht ſowohl eine beſondere Erwerbungsart, als
nur ein Beweis des Eigenthums, der gegen alle andere
Anſpruͤche ſchuͤtzt, indem der Mangel an Nachrichten
die Unmoͤglichkeit in ſich ſchließt, ein gegruͤndeteres
Recht darzuthun.

Wenn man dieſe drey Erwerbsarten und Beſitz-
ſtaͤnde, der ſtilſchweigenden Einwilligung, der
Veriaͤhrung und des undenklichen Beſitzes gehoͤrig
von einander unterſcheidet, ſo wird es, glaube ich,
nicht ſchwer ſeyn, iede derſelben nach ihren vorange-
fuͤhrten eignen Grundſaͤtzen zu beurteilen und deren
Werth unter den Voͤlkern zu beſtimmen.

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uͤber dieſen ſo wichtigen Gegenſtand eine Richtſchnur

feſt-
J 2
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[131/0145] oder den abgeleiteten Erwerbungsarten. **] iedoch in der Folge wieder losgeriſſen und die Guͤl- tigkeit der Veriaͤhrung unter ihnen verworfen haͤtten. §. 26. Undenklicher Beſitz. Von der Veriaͤhrung, welche nach richtigen Begriffen blos eine lange, hoͤchſtens Menſchengedenken uͤberſteigende Zeit erfodert, iſt der undenkliche Beſitz, d. i. ein ſol- cher, deſſen Unrechtmaͤſſigkeit, wenn er gleich ſeinem Urſprunge nach nicht alle erfoderliche Eigenſchaften ge- habt haben ſolte, ſich weder durch Zeugen noch Urkun- den erweiſen laͤßt, gar ſehr unterſchieden a]. Faͤlſch- lich erfodern verſchiedene Voͤlkerrechtslehrer einen ſol- chen Beſitz bey der Veriaͤhrung b]. Wo dieſer vorhan- den iſt bedarf es der Veriaͤhrung und vermeintlichen Aufgabe nicht: es komt auch dabey weder auf einen rechtmaͤſſigen Titel noch auf eine rechtliche Ueberzeugung an. Dieſe werden vorausgeſetzt, weil das Gegentheil ſich nicht erweiſen laͤßt. Ueberhaupt iſt der undenkliche Beſitz nicht ſowohl eine beſondere Erwerbungsart, als nur ein Beweis des Eigenthums, der gegen alle andere Anſpruͤche ſchuͤtzt, indem der Mangel an Nachrichten die Unmoͤglichkeit in ſich ſchließt, ein gegruͤndeteres Recht darzuthun. Wenn man dieſe drey Erwerbsarten und Beſitz- ſtaͤnde, der ſtilſchweigenden Einwilligung, der Veriaͤhrung und des undenklichen Beſitzes gehoͤrig von einander unterſcheidet, ſo wird es, glaube ich, nicht ſchwer ſeyn, iede derſelben nach ihren vorange- fuͤhrten eignen Grundſaͤtzen zu beurteilen und deren Werth unter den Voͤlkern zu beſtimmen. Zu wuͤnſchen waͤre es freilich, daß die Nazionen uͤber dieſen ſo wichtigen Gegenſtand eine Richtſchnur feſt- J 2

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/145>, abgerufen am 21.11.2024.