§. 9. Verhalten anderer Nazionen bey entste- hendem Aufruhr.
Wenn gleichwohl Aufruhr und Empörung in einem Staate entstehen, indem ein Theil des Volks der recht- mässigen Oberherschaft den schuldigen Gehorsam auf eine unrechtmässige Art zu entziehen sucht, ihr auch wohl Gewalt entgegen setzt a]; so dürfen andere Nazio- nen sich ebenfals darein nicht mischen, noch weniger den Rebellen einigen Vorschub an Gelde, Unterhalt, Kriegsbedürfnissen leisten, sie mit Rath und That un- terstützen, oder ihnen auch nur Aufenthalt und Sicher- heit bey sich verstatten b]. Besondere Verträge und Garantieen c], das Ansuchen der streitigen Theile d] und die Erhaltung der algemeinen Ruhe e] machen iedoch auch hier eine Ausnahme. So fest dieses auch schon in den Vorschriften des natürlichen Völkerrechts ge- gründet ist, und von den meisten Nazionen beobachtet wird f]; so werden doch auch in den Verträgen der Nazionen häufig darüber noch ausdrückliche Verabre- dungen getroffen g], da die Erfahrung gelehrt hat, daß Nazionen zuweilen kein Bedenken tragen, sich solcher Rebellen heimlich oder öffentlich anzunehmen und sie zu unterstützen h]. Blosse Intercessionen für die Re- bellen in Ansehung ihrer Bestrafung können indes nicht füglich als eine Theilnahme angesehn werden i]. Ueb- rigens ist es nicht ungewönlich, daß eine Nazion der andern von den bey ihr entstehenden Unruhen Nachricht ertheilt k].
a] Nur ist nicht allemal ausgemacht, ob dieienigen, welche den Aufstand erregen, würklich für Rebellen anzusehen sind, die sich dem schuldigen Gehorsam auf eine unrecht- mässige Weise zu entziehen suchen, oder ob vielmehr der
Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
§. 9. Verhalten anderer Nazionen bey entſte- hendem Aufruhr.
Wenn gleichwohl Aufruhr und Empoͤrung in einem Staate entſtehen, indem ein Theil des Volks der recht- maͤſſigen Oberherſchaft den ſchuldigen Gehorſam auf eine unrechtmaͤſſige Art zu entziehen ſucht, ihr auch wohl Gewalt entgegen ſetzt a]; ſo duͤrfen andere Nazio- nen ſich ebenfals darein nicht miſchen, noch weniger den Rebellen einigen Vorſchub an Gelde, Unterhalt, Kriegsbeduͤrfniſſen leiſten, ſie mit Rath und That un- terſtuͤtzen, oder ihnen auch nur Aufenthalt und Sicher- heit bey ſich verſtatten b]. Beſondere Vertraͤge und Garantieen c], das Anſuchen der ſtreitigen Theile d] und die Erhaltung der algemeinen Ruhe e] machen iedoch auch hier eine Ausnahme. So feſt dieſes auch ſchon in den Vorſchriften des natuͤrlichen Voͤlkerrechts ge- gruͤndet iſt, und von den meiſten Nazionen beobachtet wird f]; ſo werden doch auch in den Vertraͤgen der Nazionen haͤufig daruͤber noch ausdruͤckliche Verabre- dungen getroffen g], da die Erfahrung gelehrt hat, daß Nazionen zuweilen kein Bedenken tragen, ſich ſolcher Rebellen heimlich oder oͤffentlich anzunehmen und ſie zu unterſtuͤtzen h]. Bloſſe Interceſſionen fuͤr die Re- bellen in Anſehung ihrer Beſtrafung koͤnnen indes nicht fuͤglich als eine Theilnahme angeſehn werden i]. Ueb- rigens iſt es nicht ungewoͤnlich, daß eine Nazion der andern von den bey ihr entſtehenden Unruhen Nachricht ertheilt k].
a] Nur iſt nicht allemal ausgemacht, ob dieienigen, welche den Aufſtand erregen, wuͤrklich fuͤr Rebellen anzuſehen ſind, die ſich dem ſchuldigen Gehorſam auf eine unrecht- maͤſſige Weiſe zu entziehen ſuchen, oder ob vielmehr der
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Von d. Rechten der Nazionen gegen einander
§. 9.
Verhalten anderer Nazionen bey entſte-
hendem Aufruhr.
Wenn gleichwohl Aufruhr und Empoͤrung in einem
Staate entſtehen, indem ein Theil des Volks der recht-
maͤſſigen Oberherſchaft den ſchuldigen Gehorſam auf
eine unrechtmaͤſſige Art zu entziehen ſucht, ihr auch
wohl Gewalt entgegen ſetzt a]; ſo duͤrfen andere Nazio-
nen ſich ebenfals darein nicht miſchen, noch weniger
den Rebellen einigen Vorſchub an Gelde, Unterhalt,
Kriegsbeduͤrfniſſen leiſten, ſie mit Rath und That un-
terſtuͤtzen, oder ihnen auch nur Aufenthalt und Sicher-
heit bey ſich verſtatten b]. Beſondere Vertraͤge und
Garantieen c], das Anſuchen der ſtreitigen Theile d]
und die Erhaltung der algemeinen Ruhe e] machen iedoch
auch hier eine Ausnahme. So feſt dieſes auch ſchon
in den Vorſchriften des natuͤrlichen Voͤlkerrechts ge-
gruͤndet iſt, und von den meiſten Nazionen beobachtet
wird f]; ſo werden doch auch in den Vertraͤgen der
Nazionen haͤufig daruͤber noch ausdruͤckliche Verabre-
dungen getroffen g], da die Erfahrung gelehrt hat, daß
Nazionen zuweilen kein Bedenken tragen, ſich ſolcher
Rebellen heimlich oder oͤffentlich anzunehmen und ſie
zu unterſtuͤtzen h]. Bloſſe Interceſſionen fuͤr die Re-
bellen in Anſehung ihrer Beſtrafung koͤnnen indes nicht
fuͤglich als eine Theilnahme angeſehn werden i]. Ueb-
rigens iſt es nicht ungewoͤnlich, daß eine Nazion der
andern von den bey ihr entſtehenden Unruhen Nachricht
ertheilt k].
a] Nur iſt nicht allemal ausgemacht, ob dieienigen, welche
den Aufſtand erregen, wuͤrklich fuͤr Rebellen anzuſehen
ſind, die ſich dem ſchuldigen Gehorſam auf eine unrecht-
maͤſſige Weiſe zu entziehen ſuchen, oder ob vielmehr der
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/292>, abgerufen am 24.11.2024.
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