Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Eigenthum und Gebiete der Völker
Stücke, nicht ein anders festzusetzen für gut finden. a]
In den meisten Völkerverträgen wird aber auch ge-
wöhnlich die Halbscheid angenommen, b] und nur sel-
ten dem einen Volke der ganze Fluß eingeräumt. c]

a] Grotius L. II. c. 3. §. 18. Wolff c. III. §. 106. u. f.
Vattel L. I. c. 22. §. 266. Martens precis du d.
des g. L. IV. c.
4. §. 121.
b] Dies ist nicht nur bey den souverainen europäischen Völ-
kern unter sich, sondern auch mit den teutschen Landes-
herren und unter diesen selbst gewöhnlich. Die Donau
und Sau soll z. B. wo sie die Grenzen zwischen dem
ottomannischen und österreichischen Gebiete macht, gemein-
schaftlich seyn, sowohl in Rücksicht aller Fischereien, als
andern nöthigen Gebrauch, doch dürfen die Fischer die
Hälfte des Flusses nicht überschreiten. Belgr. Fr. 1739.
Art. 7. In einem der neuesten Grenzverträge zwischen
Frankreich und Würtenberg bey der Grafschaft Mömpel-
gard vom 21. May 1786. Art. 13. wird festgesetzt:
Der Fluß Doux solle, wo er die Grenze zwischen Frank-
reich und dem Würtenbergischen berührt, mit der Sou-
verainetät halb nach Frankreich, halb nach Würtenberg,
die linke Seite zum königlichen, die rechte zum herzogli-
chen Eigenthum gehören. Reuß teutsche Staatskanzl.
20. Th. S. 137. Wie es aber zu verstehen sey, wenn
im Vertrage gesagt wird, daß dieses oder ienes Ufer
eines Flusses dem einen Volke gehören solle, darüber
entstanden 1774. zwischen Polen und Oesterreich Strei-
tigkeiten. In der Convention vom 21. Sept. 1773.
war Oesterreich zur Grenze gesetzt: la rive droite de
la Vistule.
Polnischer Seits behauptete man daher:
le mot: rive droite doit soustraire au domaine Au-
trichien la ville de Kazimierz, puisque toujours et
dans toute rencontre quand on parle des rives d'une
riviere, on entend l'extremite derniere du courant
de ses eaux; a moins que par quelque exception

Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Stuͤcke, nicht ein anders feſtzuſetzen fuͤr gut finden. a]
In den meiſten Voͤlkervertraͤgen wird aber auch ge-
woͤhnlich die Halbſcheid angenommen, b] und nur ſel-
ten dem einen Volke der ganze Fluß eingeraͤumt. c]

a] Grotius L. II. c. 3. §. 18. Wolff c. III. §. 106. u. f.
Vattel L. I. c. 22. §. 266. Martens précis du d.
des g. L. IV. c.
4. §. 121.
b] Dies iſt nicht nur bey den ſouverainen europaͤiſchen Voͤl-
kern unter ſich, ſondern auch mit den teutſchen Landes-
herren und unter dieſen ſelbſt gewoͤhnlich. Die Donau
und Sau ſoll z. B. wo ſie die Grenzen zwiſchen dem
ottomanniſchen und oͤſterreichiſchen Gebiete macht, gemein-
ſchaftlich ſeyn, ſowohl in Ruͤckſicht aller Fiſchereien, als
andern noͤthigen Gebrauch, doch duͤrfen die Fiſcher die
Haͤlfte des Fluſſes nicht uͤberſchreiten. Belgr. Fr. 1739.
Art. 7. In einem der neueſten Grenzvertraͤge zwiſchen
Frankreich und Wuͤrtenberg bey der Grafſchaft Moͤmpel-
gard vom 21. May 1786. Art. 13. wird feſtgeſetzt:
Der Fluß Doux ſolle, wo er die Grenze zwiſchen Frank-
reich und dem Wuͤrtenbergiſchen beruͤhrt, mit der Sou-
verainetaͤt halb nach Frankreich, halb nach Wuͤrtenberg,
die linke Seite zum koͤniglichen, die rechte zum herzogli-
chen Eigenthum gehoͤren. Reuß teutſche Staatskanzl.
20. Th. S. 137. Wie es aber zu verſtehen ſey, wenn
im Vertrage geſagt wird, daß dieſes oder ienes Ufer
eines Fluſſes dem einen Volke gehoͤren ſolle, daruͤber
entſtanden 1774. zwiſchen Polen und Oeſterreich Strei-
tigkeiten. In der Convention vom 21. Sept. 1773.
war Oeſterreich zur Grenze geſetzt: la rive droite de
la Viſtule.
Polniſcher Seits behauptete man daher:
le mot: rive droite doit ſouſtraire au domaine Au-
trichien la ville de Kazimierz, puisque toujours et
dans toute rencontre quand on parle des rives d’une
rivière, on entend l’extrémité derniere du courant
de ſes eaux; à moins que par quelque exception

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0034" n="20"/><fw place="top" type="header">Von dem Eigenthum und Gebiete der Vo&#x0364;lker</fw><lb/>
Stu&#x0364;cke, nicht ein anders fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen fu&#x0364;r gut finden. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">a</hi></hi>]<lb/>
In den mei&#x017F;ten Vo&#x0364;lkervertra&#x0364;gen wird aber auch ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich die Halb&#x017F;cheid angenommen, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>] und nur &#x017F;el-<lb/>
ten dem einen Volke der ganze Fluß eingera&#x0364;umt. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">c</hi></hi>]</p><lb/>
              <note place="end" n="a]"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Grotius</hi> L. II. c. 3. §. 18. <hi rendition="#i">Wolff</hi> c. III.</hi> §. 106. u. f.<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Vattel</hi> L. I. c. 22. §. 266. <hi rendition="#i">Martens</hi> précis du d.<lb/>
des g. L. IV. c.</hi> 4. §. 121.</note><lb/>
              <note place="end" n="b]">Dies i&#x017F;t nicht nur bey den &#x017F;ouverainen europa&#x0364;i&#x017F;chen Vo&#x0364;l-<lb/>
kern unter &#x017F;ich, &#x017F;ondern auch mit den teut&#x017F;chen Landes-<lb/>
herren und unter die&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t gewo&#x0364;hnlich. Die Donau<lb/>
und Sau &#x017F;oll z. B. wo &#x017F;ie die Grenzen zwi&#x017F;chen dem<lb/>
ottomanni&#x017F;chen und o&#x0364;&#x017F;terreichi&#x017F;chen Gebiete macht, gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlich &#x017F;eyn, &#x017F;owohl in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht aller Fi&#x017F;chereien, als<lb/>
andern no&#x0364;thigen Gebrauch, doch du&#x0364;rfen die Fi&#x017F;cher die<lb/>
Ha&#x0364;lfte des Flu&#x017F;&#x017F;es nicht u&#x0364;ber&#x017F;chreiten. Belgr. Fr. 1739.<lb/>
Art. 7. In einem der neue&#x017F;ten Grenzvertra&#x0364;ge zwi&#x017F;chen<lb/>
Frankreich und Wu&#x0364;rtenberg bey der Graf&#x017F;chaft Mo&#x0364;mpel-<lb/>
gard vom 21. May 1786. Art. 13. wird fe&#x017F;tge&#x017F;etzt:<lb/>
Der Fluß <hi rendition="#aq">Doux</hi> &#x017F;olle, wo er die Grenze zwi&#x017F;chen Frank-<lb/>
reich und dem Wu&#x0364;rtenbergi&#x017F;chen beru&#x0364;hrt, mit der Sou-<lb/>
veraineta&#x0364;t halb nach Frankreich, halb nach Wu&#x0364;rtenberg,<lb/>
die linke Seite zum ko&#x0364;niglichen, die rechte zum herzogli-<lb/>
chen Eigenthum geho&#x0364;ren. <hi rendition="#fr">Reuß</hi> teut&#x017F;che Staatskanzl.<lb/>
20. Th. S. 137. Wie es aber zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ey, wenn<lb/>
im Vertrage ge&#x017F;agt wird, daß die&#x017F;es oder ienes Ufer<lb/>
eines Flu&#x017F;&#x017F;es dem einen Volke geho&#x0364;ren &#x017F;olle, daru&#x0364;ber<lb/>
ent&#x017F;tanden 1774. zwi&#x017F;chen Polen und Oe&#x017F;terreich Strei-<lb/>
tigkeiten. In der Convention vom 21. Sept. 1773.<lb/>
war Oe&#x017F;terreich zur Grenze ge&#x017F;etzt: <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">la rive droite de<lb/>
la Vi&#x017F;tule.</hi></hi> Polni&#x017F;cher Seits behauptete man daher:<lb/><hi rendition="#aq">le mot: <hi rendition="#i">rive droite</hi> doit &#x017F;ou&#x017F;traire au domaine Au-<lb/>
trichien la ville de Kazimierz, puisque toujours et<lb/>
dans toute rencontre quand on parle des rives d&#x2019;une<lb/>
rivière, on entend l&#x2019;extrémité derniere du courant<lb/>
de &#x017F;es eaux; à moins que par quelque exception</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">expre&#x017F;&#x017F;é-</hi></fw><lb/></note>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0034] Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker Stuͤcke, nicht ein anders feſtzuſetzen fuͤr gut finden. a] In den meiſten Voͤlkervertraͤgen wird aber auch ge- woͤhnlich die Halbſcheid angenommen, b] und nur ſel- ten dem einen Volke der ganze Fluß eingeraͤumt. c] a] Grotius L. II. c. 3. §. 18. Wolff c. III. §. 106. u. f. Vattel L. I. c. 22. §. 266. Martens précis du d. des g. L. IV. c. 4. §. 121. b] Dies iſt nicht nur bey den ſouverainen europaͤiſchen Voͤl- kern unter ſich, ſondern auch mit den teutſchen Landes- herren und unter dieſen ſelbſt gewoͤhnlich. Die Donau und Sau ſoll z. B. wo ſie die Grenzen zwiſchen dem ottomanniſchen und oͤſterreichiſchen Gebiete macht, gemein- ſchaftlich ſeyn, ſowohl in Ruͤckſicht aller Fiſchereien, als andern noͤthigen Gebrauch, doch duͤrfen die Fiſcher die Haͤlfte des Fluſſes nicht uͤberſchreiten. Belgr. Fr. 1739. Art. 7. In einem der neueſten Grenzvertraͤge zwiſchen Frankreich und Wuͤrtenberg bey der Grafſchaft Moͤmpel- gard vom 21. May 1786. Art. 13. wird feſtgeſetzt: Der Fluß Doux ſolle, wo er die Grenze zwiſchen Frank- reich und dem Wuͤrtenbergiſchen beruͤhrt, mit der Sou- verainetaͤt halb nach Frankreich, halb nach Wuͤrtenberg, die linke Seite zum koͤniglichen, die rechte zum herzogli- chen Eigenthum gehoͤren. Reuß teutſche Staatskanzl. 20. Th. S. 137. Wie es aber zu verſtehen ſey, wenn im Vertrage geſagt wird, daß dieſes oder ienes Ufer eines Fluſſes dem einen Volke gehoͤren ſolle, daruͤber entſtanden 1774. zwiſchen Polen und Oeſterreich Strei- tigkeiten. In der Convention vom 21. Sept. 1773. war Oeſterreich zur Grenze geſetzt: la rive droite de la Viſtule. Polniſcher Seits behauptete man daher: le mot: rive droite doit ſouſtraire au domaine Au- trichien la ville de Kazimierz, puisque toujours et dans toute rencontre quand on parle des rives d’une rivière, on entend l’extrémité derniere du courant de ſes eaux; à moins que par quelque exception expreſſé-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/34
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/34>, abgerufen am 28.04.2024.