Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.und dem ursprünglichen Erwerbe. thümer zwar eher in Erfahrung zu bringen; nach demstrengen Rechte der Natur erwirbt aber demungeachtet dasjenige Volk, an dessen Territorium es sich ansetzt, das Eigenthum daran, indem es aus rechtmässiger Ueberzeugung [bona fide] sich dieses Zuwachses bedient, da es nicht wissen kan, ob es würklich einen Eigenthü- mer gehabt und ob dieser nicht sein Recht daran frei- willig aufgegeben habe. Das Wiederfoderungsrecht kan nach dem natürlichen Rechte nur gegen einen un- rechtmässigen Erwerber eines andern Eigenthums, und welcher es mit dem Bewustsein der Unrechtmässigkeit innehat [malae fidei possessor] stattfinden, a) das Ei- genthum überhaupt auch nicht länger dauern als der Besitz. Der erste Besitzer, der sein Eigenthum durch einen solchen Zufall verliert, hat es, wenn er dem Los- reissen nicht zuvorzukommen, oder das Losgerissene so- gleich wieder an sich zu bringen gesucht hat, entweder seiner Nachlässigkeit, oder dem Schicksale zuzuschrei- ben. Er hat kein Recht des andern Wasser oder Ge- biet zu betreten und das, was die Natur demselben zu- führte, wieder loszureissen. Die römischen Rechtslehrer haben diesen Grundsatz Einige glauben, daß zu Erlangung des Eigen- bun-
und dem urſpruͤnglichen Erwerbe. thuͤmer zwar eher in Erfahrung zu bringen; nach demſtrengen Rechte der Natur erwirbt aber demungeachtet dasjenige Volk, an deſſen Territorium es ſich anſetzt, das Eigenthum daran, indem es aus rechtmaͤſſiger Ueberzeugung [bona fide] ſich dieſes Zuwachſes bedient, da es nicht wiſſen kan, ob es wuͤrklich einen Eigenthuͤ- mer gehabt und ob dieſer nicht ſein Recht daran frei- willig aufgegeben habe. Das Wiederfoderungsrecht kan nach dem natuͤrlichen Rechte nur gegen einen un- rechtmaͤſſigen Erwerber eines andern Eigenthums, und welcher es mit dem Bewuſtſein der Unrechtmaͤſſigkeit innehat [malae fidei poſſeſſor] ſtattfinden, a) das Ei- genthum uͤberhaupt auch nicht laͤnger dauern als der Beſitz. Der erſte Beſitzer, der ſein Eigenthum durch einen ſolchen Zufall verliert, hat es, wenn er dem Los- reiſſen nicht zuvorzukommen, oder das Losgeriſſene ſo- gleich wieder an ſich zu bringen geſucht hat, entweder ſeiner Nachlaͤſſigkeit, oder dem Schickſale zuzuſchrei- ben. Er hat kein Recht des andern Waſſer oder Ge- biet zu betreten und das, was die Natur demſelben zu- fuͤhrte, wieder loszureiſſen. Die roͤmiſchen Rechtslehrer haben dieſen Grundſatz Einige glauben, daß zu Erlangung des Eigen- bun-
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und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
thuͤmer zwar eher in Erfahrung zu bringen; nach dem
ſtrengen Rechte der Natur erwirbt aber demungeachtet
dasjenige Volk, an deſſen Territorium es ſich anſetzt,
das Eigenthum daran, indem es aus rechtmaͤſſiger
Ueberzeugung [bona fide] ſich dieſes Zuwachſes bedient,
da es nicht wiſſen kan, ob es wuͤrklich einen Eigenthuͤ-
mer gehabt und ob dieſer nicht ſein Recht daran frei-
willig aufgegeben habe. Das Wiederfoderungsrecht
kan nach dem natuͤrlichen Rechte nur gegen einen un-
rechtmaͤſſigen Erwerber eines andern Eigenthums, und
welcher es mit dem Bewuſtſein der Unrechtmaͤſſigkeit
innehat [malae fidei poſſeſſor] ſtattfinden, a) das Ei-
genthum uͤberhaupt auch nicht laͤnger dauern als der
Beſitz. Der erſte Beſitzer, der ſein Eigenthum durch
einen ſolchen Zufall verliert, hat es, wenn er dem Los-
reiſſen nicht zuvorzukommen, oder das Losgeriſſene ſo-
gleich wieder an ſich zu bringen geſucht hat, entweder
ſeiner Nachlaͤſſigkeit, oder dem Schickſale zuzuſchrei-
ben. Er hat kein Recht des andern Waſſer oder Ge-
biet zu betreten und das, was die Natur demſelben zu-
fuͤhrte, wieder loszureiſſen.
Die roͤmiſchen Rechtslehrer haben dieſen Grundſatz
des ſtrengen Naturrechts etwas zu mildern geſucht, und
erlauben dem vorigen Eigenthuͤmer ſo lange das Wie-
derfoderungsrecht, als die auf dem angeſetzten Stuͤck
Erdreich etwa befindlichen Baͤume und Streicher ꝛc.
nicht Wurzel gefaſt haben b]. Viele Natur- und Voͤl-
kerrechtslehrer haben dieſe allerdings billigere und den
geſelſchaftlichen Verbindungen angemeſſenere, aber blos
wilkuͤhrliche Meinung als einen in der Natur gegruͤn-
deten Satz vorgetragen c].
Einige glauben, daß zu Erlangung des Eigen-
thums an dieſem natuͤrlichen Anwuchſe eine beſondere
Beſitzergreifung noͤthig ſey; d] ſie ſcheint mir aber uͤber-
fluͤſſig, weil ſolcher als ein mit dem Hauptlande ver-
bun-
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