Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gumppenberg, Hanns von: Deutsche Lyrik von gestern. München, 1891 (= Münchener Flugschriften, Bd. 3).

Bild:
<< vorherige Seite
Vorwort.

Die Parodie, als feinerer Zweig der Satire, hat sich zu allen Zeiten unter den Leuten von Geist und Humor liebevoller Pflege erfreut. Jhr Hauptkunststück besteht darin, ernste Werke, sei es der Dichtung, der Musik oder der bildenden Künste, unter deutlich erkennbarer Beibehaltung der Formung und Tonung, ins Komische zu ziehen, die Schwächen einzelner künstlerischer Jndividualitäten weniger als persönliche, denn als solche ganzer Richtungen und Epochen dem Publikum zu heiterer Nachempfindung nahe zu bringen. Es liegt darum auch in dieser satirischen Abart keinerlei Kränkung, sondern eher eine feine, mit einem Körnchen gutmütiger Bosheit gemischte Huldigung, denn nur Werke von ausgesprochenem Charakter und deutlicher Physiognomie -- Dutzendwaare pflegt das nicht zu sein -- können parodiegerecht behandelt werden. Vom Vater Homer (Batrachomyomachia!) bis auf die "Jüngstdeutschen" weist die Litteraturgeschichte eine unendliche Reihe von Parodien nach, an denen sich oft die vornehmsten Geister (Graf Platen, Wilhelm Hauff u.a.) mit großem Eifer beteiligt haben. Jn neuerer Zeit wurde das Gebiet der Parodie fast auf alle Zweige des Kunstschaffens ausgedehnt: Wagners Musikdramen so gut wie die öffentlichen Gemäldeausstellungen ("Tannhäuser oder die Keilerei auf der Wartburg" wurde s.Z. auf unzähligen Sommerbühnen mit größtem Erfolg gegeben, ebenso "Lohengelb", "Rheinblech" u.s.w.) Jn jüngster Zeit haben sich die Berliner sogar ein eigenes "Parodietheater" gebaut, wo die ernstesten Werke der angesehensten

Vorwort.

Die Parodie, als feinerer Zweig der Satire, hat sich zu allen Zeiten unter den Leuten von Geist und Humor liebevoller Pflege erfreut. Jhr Hauptkunststück besteht darin, ernste Werke, sei es der Dichtung, der Musik oder der bildenden Künste, unter deutlich erkennbarer Beibehaltung der Formung und Tonung, ins Komische zu ziehen, die Schwächen einzelner künstlerischer Jndividualitäten weniger als persönliche, denn als solche ganzer Richtungen und Epochen dem Publikum zu heiterer Nachempfindung nahe zu bringen. Es liegt darum auch in dieser satirischen Abart keinerlei Kränkung, sondern eher eine feine, mit einem Körnchen gutmütiger Bosheit gemischte Huldigung, denn nur Werke von ausgesprochenem Charakter und deutlicher Physiognomie — Dutzendwaare pflegt das nicht zu sein — können parodiegerecht behandelt werden. Vom Vater Homer (Batrachomyomachia!) bis auf die „Jüngstdeutschen“ weist die Litteraturgeschichte eine unendliche Reihe von Parodien nach, an denen sich oft die vornehmsten Geister (Graf Platen, Wilhelm Hauff u.a.) mit großem Eifer beteiligt haben. Jn neuerer Zeit wurde das Gebiet der Parodie fast auf alle Zweige des Kunstschaffens ausgedehnt: Wagners Musikdramen so gut wie die öffentlichen Gemäldeausstellungen („Tannhäuser oder die Keilerei auf der Wartburg“ wurde s.Z. auf unzähligen Sommerbühnen mit größtem Erfolg gegeben, ebenso „Lohengelb“, „Rheinblech“ u.s.w.) Jn jüngster Zeit haben sich die Berliner sogar ein eigenes „Parodietheater“ gebaut, wo die ernstesten Werke der angesehensten

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0002" n="[2]"/>
      <div type="preface">
        <head>Vorwort.</head><lb/>
        <p>Die Parodie, als feinerer Zweig der Satire, hat sich zu allen Zeiten unter  den Leuten von Geist und Humor liebevoller Pflege erfreut. Jhr Hauptkunststück besteht darin, ernste Werke, sei es der Dichtung, der Musik oder der bildenden Künste, unter deutlich erkennbarer Beibehaltung der Formung und Tonung, ins Komische zu ziehen, die Schwächen einzelner künstlerischer Jndividualitäten weniger als persönliche, denn als solche ganzer Richtungen und Epochen dem Publikum zu heiterer Nachempfindung nahe zu bringen. Es liegt darum auch in dieser satirischen Abart keinerlei Kränkung, sondern eher eine feine, mit einem Körnchen gutmütiger Bosheit gemischte Huldigung, denn nur Werke von ausgesprochenem Charakter und deutlicher Physiognomie &#x2014; Dutzendwaare pflegt das nicht zu sein &#x2014; können parodiegerecht behandelt werden. Vom Vater Homer (Batrachomyomachia!) bis auf die &#x201E;Jüngstdeutschen&#x201C; weist die Litteraturgeschichte eine unendliche Reihe von Parodien nach, an denen sich oft die vornehmsten Geister (Graf Platen, Wilhelm Hauff u.a.) mit großem  Eifer beteiligt haben. Jn neuerer Zeit wurde das Gebiet der Parodie fast auf alle Zweige des Kunstschaffens ausgedehnt: Wagners Musikdramen so gut wie die öffentlichen Gemäldeausstellungen (&#x201E;Tannhäuser oder die Keilerei auf der Wartburg&#x201C; wurde s.Z. auf unzähligen Sommerbühnen mit größtem Erfolg gegeben, ebenso &#x201E;Lohengelb&#x201C;, &#x201E;Rheinblech&#x201C; u.s.w.) Jn jüngster Zeit haben sich die Berliner sogar ein eigenes &#x201E;Parodietheater&#x201C; gebaut, wo die ernstesten Werke der angesehensten<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[[2]/0002] Vorwort. Die Parodie, als feinerer Zweig der Satire, hat sich zu allen Zeiten unter den Leuten von Geist und Humor liebevoller Pflege erfreut. Jhr Hauptkunststück besteht darin, ernste Werke, sei es der Dichtung, der Musik oder der bildenden Künste, unter deutlich erkennbarer Beibehaltung der Formung und Tonung, ins Komische zu ziehen, die Schwächen einzelner künstlerischer Jndividualitäten weniger als persönliche, denn als solche ganzer Richtungen und Epochen dem Publikum zu heiterer Nachempfindung nahe zu bringen. Es liegt darum auch in dieser satirischen Abart keinerlei Kränkung, sondern eher eine feine, mit einem Körnchen gutmütiger Bosheit gemischte Huldigung, denn nur Werke von ausgesprochenem Charakter und deutlicher Physiognomie — Dutzendwaare pflegt das nicht zu sein — können parodiegerecht behandelt werden. Vom Vater Homer (Batrachomyomachia!) bis auf die „Jüngstdeutschen“ weist die Litteraturgeschichte eine unendliche Reihe von Parodien nach, an denen sich oft die vornehmsten Geister (Graf Platen, Wilhelm Hauff u.a.) mit großem Eifer beteiligt haben. Jn neuerer Zeit wurde das Gebiet der Parodie fast auf alle Zweige des Kunstschaffens ausgedehnt: Wagners Musikdramen so gut wie die öffentlichen Gemäldeausstellungen („Tannhäuser oder die Keilerei auf der Wartburg“ wurde s.Z. auf unzähligen Sommerbühnen mit größtem Erfolg gegeben, ebenso „Lohengelb“, „Rheinblech“ u.s.w.) Jn jüngster Zeit haben sich die Berliner sogar ein eigenes „Parodietheater“ gebaut, wo die ernstesten Werke der angesehensten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-05T14:03:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-05T14:03:19Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891/2
Zitationshilfe: Gumppenberg, Hanns von: Deutsche Lyrik von gestern. München, 1891 (= Münchener Flugschriften, Bd. 3), S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gumppenberg_lyrik_1891/2>, abgerufen am 21.11.2024.