Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. halten, so kan sie ihm injuriarum belangen. Es giebt auch Leute, wel-che Schertz machen, und die Bibel mißbrauchen, welches auch nicht ge- schehen soll, sonderlich wenn man es bey objectis illicitis thut. Kein Mensch hat einen guten Concept von einem solchen, der das thut. Deß- wegen kan man nicht sagen, daß ein solcher ein Atheist, sondern es kommt davon her, weil er es von Jugend auf sich so angewöhnet. Die disci- plina Christiana kommt überein mit der disciplina rationali, sie saget eben, was die Vernunfft saget. Hier wird die Theoria gezeiget und die praxis. In Theoria aber aus der revelation lernen wir, wie wir es sollen ausü- ben, was wir vor media ergreiffen sollen. Man kan auch aus der Bi- bel zeigen daß die Alt-Väter selbst geschertzet; aber alles hat seine Zeit, man muß es temperiren, ein Weiser lächelt ein wenig, ein Narr aber überlaut. Man muß sich auch im Reden angewöhnen, daß man nicht so geschwinde redet. Das gehet gar wohl an. Demosthenes hatte eine schwere Rede, hat aber dieselbe doch geändert. Unsere Teutsche Spra- che schickt sich gut langsam zu reden, wie auch die Lateinische, aber die Frantzösische wird geschwinde gesprochen, und läst es sehr affectiret, wenn man dieselbe will langsam sprechen, und hat Campejus Vitringa angemercket, daß ihr Clima so beschaffen; da hergegen es wunderlich würde lassen, wenn die Spanische Sprache geschwind gesprochen würde. stand in Ge- berden und im Gange. §. 13. Es kan ein Mensch nicht beständig stehen, auch nicht ste- seyn
Cap. V. halten, ſo kan ſie ihm injuriarum belangen. Es giebt auch Leute, wel-che Schertz machen, und die Bibel mißbrauchen, welches auch nicht ge- ſchehen ſoll, ſonderlich wenn man es bey objectis illicitis thut. Kein Menſch hat einen guten Concept von einem ſolchen, der das thut. Deß- wegen kan man nicht ſagen, daß ein ſolcher ein Atheiſt, ſondern es kommt davon her, weil er es von Jugend auf ſich ſo angewoͤhnet. Die diſci- plina Chriſtiana kommt uͤberein mit der diſciplina rationali, ſie ſaget eben, was die Vernunfft ſaget. Hier wird die Theoria gezeiget und die praxis. In Theoria aber aus der revelation lernen wir, wie wir es ſollen ausuͤ- ben, was wir vor media ergreiffen ſollen. Man kan auch aus der Bi- bel zeigen daß die Alt-Vaͤter ſelbſt geſchertzet; aber alles hat ſeine Zeit, man muß es temperiren, ein Weiſer laͤchelt ein wenig, ein Narr aber uͤberlaut. Man muß ſich auch im Reden angewoͤhnen, daß man nicht ſo geſchwinde redet. Das gehet gar wohl an. Demoſthenes hatte eine ſchwere Rede, hat aber dieſelbe doch geaͤndert. Unſere Teutſche Spra- che ſchickt ſich gut langſam zu reden, wie auch die Lateiniſche, aber die Frantzoͤſiſche wird geſchwinde geſprochen, und laͤſt es ſehr affectiret, wenn man dieſelbe will langſam ſprechen, und hat Campejus Vitringa angemercket, daß ihr Clima ſo beſchaffen; da hergegen es wunderlich wuͤrde laſſen, wenn die Spaniſche Sprache geſchwind geſprochen wuͤrde. ſtand in Ge- berden und im Gange. §. 13. Es kan ein Menſch nicht beſtaͤndig ſtehen, auch nicht ſte- ſeyn
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Cap. V.
halten, ſo kan ſie ihm injuriarum belangen. Es giebt auch Leute, wel-
che Schertz machen, und die Bibel mißbrauchen, welches auch nicht ge-
ſchehen ſoll, ſonderlich wenn man es bey objectis illicitis thut. Kein
Menſch hat einen guten Concept von einem ſolchen, der das thut. Deß-
wegen kan man nicht ſagen, daß ein ſolcher ein Atheiſt, ſondern es kommt
davon her, weil er es von Jugend auf ſich ſo angewoͤhnet. Die diſci-
plina Chriſtiana kommt uͤberein mit der diſciplina rationali, ſie ſaget eben,
was die Vernunfft ſaget. Hier wird die Theoria gezeiget und die praxis.
In Theoria aber aus der revelation lernen wir, wie wir es ſollen ausuͤ-
ben, was wir vor media ergreiffen ſollen. Man kan auch aus der Bi-
bel zeigen daß die Alt-Vaͤter ſelbſt geſchertzet; aber alles hat ſeine Zeit,
man muß es temperiren, ein Weiſer laͤchelt ein wenig, ein Narr aber
uͤberlaut. Man muß ſich auch im Reden angewoͤhnen, daß man nicht
ſo geſchwinde redet. Das gehet gar wohl an. Demoſthenes hatte eine
ſchwere Rede, hat aber dieſelbe doch geaͤndert. Unſere Teutſche Spra-
che ſchickt ſich gut langſam zu reden, wie auch die Lateiniſche, aber die
Frantzoͤſiſche wird geſchwinde geſprochen, und laͤſt es ſehr affectiret,
wenn man dieſelbe will langſam ſprechen, und hat Campejus Vitringa
angemercket, daß ihr Clima ſo beſchaffen; da hergegen es wunderlich
wuͤrde laſſen, wenn die Spaniſche Sprache geſchwind geſprochen
wuͤrde.
§. 13. Es kan ein Menſch nicht beſtaͤndig ſtehen, auch nicht ſte-
hen wie eine Statue oder Saxum immobile. Sein Leib iſt ſo gemacht,
und alle Gliedmaſſen ſind ſo eingerichtet, daß ſie ſich bewegen, und
wenn die Bewegungen des Leibes mit denen ideis, ſo wir in unſerer See-
le haben, correſpondiren, ſo nennet man ſolches geſtus. Man kan alſo
nicht prætendiren, daß man gar keine Bewegung des Leibes ſoll vorneh-
men in compagnie. Wir koͤnnen vielmehr offt mit denen geſtibus eben
das exprimiren, was man ſonſt mit verbis thun kan. Die Roͤmer hat-
ten auch eloquentiam geſticulariam. Hortenſius war ſo beredet geſtibus,
wie Cicero verbis. Man kan ja durch die Augen mit einander reden,
welches die Verliebten am beſten verſtehen. Alſo kan man nicht leug-
nen, daß wir unſern Willen durch reverence und per obſequium an den
Tag legen. Da muß ich ſehen, was an dem Orte façon iſt. Ein
grenadier ziehet die Muͤtze nicht ab, ſondern greifft nur daran, wollte
das ein anderer nachmachen, ſo waͤre es ein indecens, und das indecens
wuͤrde ihn ridicule machen. Es wird eine groſſe Kunſt erfordert, ſich
in geſtibus recht aufzufuͤhren, e. g. Wenn einer einen reverence machet,
daß er nicht hinten hinaus ſchlaͤgt, ſondern machet, wie es ordentlich
ſeyn
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