Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.
De Mediis statum conservandi. der Meynung. Die weisen Leute, so in der Welt sind, werden dir nichtsthun; aber man findet nicht allemahl weise Leute, wir haben homines nequam in der Welt, die thun uns den meisten Schaden: Denn diese werden von raffinirten Leuten angehetzt; vergehet man sich nun, alsdenn drücken einen die raffinirten Leute unter. Vor stultis muß man sich wohl in acht nehmen, und auch vor raffinirten Leuten, weil diese keine Weiß- heit haben, und ebenfalls stulti sind. Dicis: Stultus und callidus ist ei- ne contradictio? Respond. Arglistigkeit ist keine Klugheit. Denn wer gescheuet ist, wird sich nicht auf List und Betrügereyen legen; thut er es aber, so fehlet er den rechten Weg, deßwegen ist er ein stultus. Wenn man nun fragt, wie man sich vor dergleichen Dingen hüten solle, so mey- nen einige, man thäte am besten, wenn man sich retirirte von der Welt. Allein wenn einer sich will von der Welt retiriren, da er noch in dem Stande ist, der Welt zu dienen, so thut er nicht wohl: Denn er ist nicht dazu in der Welt, daß er soll ein Eremit seyn. Die alten Teutschen haben solche Hagestoltzen genannt, welche so stoltz gewesen, daß sie nim- mer wollen in ihrer Hecken bleiben, und sich um niemanden bekümmern. Ein Mönch, ein Eremit braucht keine politic. Wer will aber wohl sa- gen, daß man sich vor der Welt separiren solle, das ist nur ein extraor- dinarium remedium; Daher, wenn ich mit einem Catholicken disputi- ren sollte, so wollte ich nicht gleich die dogmata refutiren, sondern nur sagen, was er wohl meynete, daß GOtt vor ein Dienst geschähe, wenn eine million Menschen, wie in Spanien, in Clöstern sitzen, welches alles homines otiosi, und damit sie nicht faul, und stinckend werden, so schreyen sie den gantzen Tag. Der Welt muß man sich freylich nicht gleich stel- len, aber auch nicht separiren. Man muß klug seyn, wie die Schlan- gen, und einfältig, wie die Tauben. Die providentiam divinam darff man nicht aus den Augen setzen: Denn generalis providentia ist bey allen. Ohne GOttes providenz kan kein Sperling vom Dach herunter fallen. Es ist auch nicht zu leugnen, daß GOtt einem manchmahl spe- cialiter hilfft, wie wir bey dem Mose, Aaron, Saul, David, und an- dern sehen, aber das sind exceptiones, wer will aber sein Leben nach de- nen exceptionibus einrichten? Derjenige, wer seine fortune machen will, wie Moses, Aaron, David, Samuel, Saul, ist eben so absurd, als la fausse Clelie, welche die Mad. Scudery beschrieben. Sie zeiget, daß vie- les Frauenzimmer auch auf extraordinaire Dinge falle, denn manche, wenn sie in der Bibel lesen, daß die Esther so hoch gestiegen, so meynen sie, es müste ihnen auch so gehen; Vielmehr muß ein jedweder Mittel brauchen, so seinem Stande gemäß, und sich dadurch zu wege bringen ut ne infimo gradu subsistat: Deßwegen setzet man GOtt nicht auf die Seite,
De Mediis ſtatum conſervandi. der Meynung. Die weiſen Leute, ſo in der Welt ſind, werden dir nichtsthun; aber man findet nicht allemahl weiſe Leute, wir haben homines nequam in der Welt, die thun uns den meiſten Schaden: Denn dieſe werden von raffinirten Leuten angehetzt; vergehet man ſich nun, alsdenn druͤcken einen die raffinirten Leute unter. Vor ſtultis muß man ſich wohl in acht nehmen, und auch vor raffinirten Leuten, weil dieſe keine Weiß- heit haben, und ebenfalls ſtulti ſind. Dicis: Stultus und callidus iſt ei- ne contradictio? Reſpond. Argliſtigkeit iſt keine Klugheit. Denn wer geſcheuet iſt, wird ſich nicht auf Liſt und Betruͤgereyen legen; thut er es aber, ſo fehlet er den rechten Weg, deßwegen iſt er ein ſtultus. Wenn man nun fragt, wie man ſich vor dergleichen Dingen huͤten ſolle, ſo mey- nen einige, man thaͤte am beſten, wenn man ſich retirirte von der Welt. Allein wenn einer ſich will von der Welt retiriren, da er noch in dem Stande iſt, der Welt zu dienen, ſo thut er nicht wohl: Denn er iſt nicht dazu in der Welt, daß er ſoll ein Eremit ſeyn. Die alten Teutſchen haben ſolche Hageſtoltzen genannt, welche ſo ſtoltz geweſen, daß ſie nim- mer wollen in ihrer Hecken bleiben, und ſich um niemanden bekuͤmmern. Ein Moͤnch, ein Eremit braucht keine politic. Wer will aber wohl ſa- gen, daß man ſich vor der Welt ſepariren ſolle, das iſt nur ein extraor- dinarium remedium; Daher, wenn ich mit einem Catholicken diſputi- ren ſollte, ſo wollte ich nicht gleich die dogmata refutiren, ſondern nur ſagen, was er wohl meynete, daß GOtt vor ein Dienſt geſchaͤhe, wenn eine million Menſchen, wie in Spanien, in Cloͤſtern ſitzen, welches alles homines otioſi, und damit ſie nicht faul, und ſtinckend werden, ſo ſchreyen ſie den gantzen Tag. Der Welt muß man ſich freylich nicht gleich ſtel- len, aber auch nicht ſepariren. Man muß klug ſeyn, wie die Schlan- gen, und einfaͤltig, wie die Tauben. Die providentiam divinam darff man nicht aus den Augen ſetzen: Denn generalis providentia iſt bey allen. Ohne GOttes providenz kan kein Sperling vom Dach herunter fallen. Es iſt auch nicht zu leugnen, daß GOtt einem manchmahl ſpe- cialiter hilfft, wie wir bey dem Moſe, Aaron, Saul, David, und an- dern ſehen, aber das ſind exceptiones, wer will aber ſein Leben nach de- nen exceptionibus einrichten? Derjenige, wer ſeine fortune machen will, wie Moſes, Aaron, David, Samuel, Saul, iſt eben ſo abſurd, als la fauſſe Clelie, welche die Mad. Scudery beſchrieben. Sie zeiget, daß vie- les Frauenzimmer auch auf extraordinaire Dinge falle, denn manche, wenn ſie in der Bibel leſen, daß die Eſther ſo hoch geſtiegen, ſo meynen ſie, es muͤſte ihnen auch ſo gehen; Vielmehr muß ein jedweder Mittel brauchen, ſo ſeinem Stande gemaͤß, und ſich dadurch zu wege bringen ut ne infimo gradu ſubſiſtat: Deßwegen ſetzet man GOtt nicht auf die Seite,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0163" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">De Mediis ſtatum conſervandi.</hi></fw><lb/> der Meynung. Die weiſen Leute, ſo in der Welt ſind, werden dir nichts<lb/> thun; aber man findet nicht allemahl weiſe Leute, wir haben <hi rendition="#aq">homines<lb/> nequam</hi> in der Welt, die thun uns den meiſten Schaden: Denn dieſe<lb/> werden von <hi rendition="#aq">raffini</hi>rten Leuten angehetzt; vergehet man ſich nun, alsdenn<lb/> druͤcken einen die <hi rendition="#aq">raffini</hi>rten Leute unter. Vor <hi rendition="#aq">ſtultis</hi> muß man ſich<lb/> wohl in acht nehmen, und auch vor <hi rendition="#aq">raffini</hi>rten Leuten, weil dieſe keine Weiß-<lb/> heit haben, und ebenfalls <hi rendition="#aq">ſtulti</hi> ſind. <hi rendition="#aq">Dicis<hi rendition="#i">:</hi> Stultus</hi> und <hi rendition="#aq">callidus</hi> iſt ei-<lb/> ne <hi rendition="#aq">contradictio? Reſpond.</hi> Argliſtigkeit iſt keine Klugheit. Denn wer<lb/> geſcheuet iſt, wird ſich nicht auf Liſt und Betruͤgereyen legen; thut er<lb/> es aber, ſo fehlet er den rechten Weg, deßwegen iſt er ein <hi rendition="#aq">ſtultus</hi>. Wenn<lb/> man nun fragt, wie man ſich vor dergleichen Dingen huͤten ſolle, ſo mey-<lb/> nen einige, man thaͤte am beſten, wenn man ſich <hi rendition="#aq">retiri</hi>rte von der Welt.<lb/> Allein wenn einer ſich will von der Welt <hi rendition="#aq">retiri</hi>ren, da er noch in dem<lb/> Stande iſt, der Welt zu dienen, ſo thut er nicht wohl: Denn er iſt nicht<lb/> dazu in der Welt, daß er ſoll ein <hi rendition="#aq">Eremit</hi> ſeyn. Die alten Teutſchen<lb/> haben ſolche Hageſtoltzen genannt, welche ſo ſtoltz geweſen, daß ſie nim-<lb/> mer wollen in ihrer Hecken bleiben, und ſich um niemanden bekuͤmmern.<lb/> Ein Moͤnch, ein <hi rendition="#aq">Eremit</hi> braucht keine <hi rendition="#aq">politic</hi>. Wer will aber wohl ſa-<lb/> gen, daß man ſich vor der Welt <hi rendition="#aq">ſepari</hi>ren ſolle, das iſt nur ein <hi rendition="#aq">extraor-<lb/> dinarium remedium</hi>; Daher, wenn ich mit einem Catholicken <hi rendition="#aq">diſputi-</hi><lb/> ren ſollte, ſo wollte ich nicht gleich die <hi rendition="#aq">dogmata refuti</hi>ren, ſondern nur<lb/> ſagen, was er wohl meynete, daß GOtt vor ein Dienſt geſchaͤhe, wenn<lb/> eine <hi rendition="#aq">million</hi> Menſchen, wie in Spanien, in Cloͤſtern ſitzen, welches alles<lb/><hi rendition="#aq">homines otioſi,</hi> und damit ſie nicht faul, und ſtinckend werden, ſo ſchreyen<lb/> ſie den gantzen Tag. Der Welt muß man ſich freylich nicht gleich ſtel-<lb/> len, aber auch nicht <hi rendition="#aq">ſepari</hi>ren. Man muß klug ſeyn, wie die Schlan-<lb/> gen, und einfaͤltig, wie die Tauben. Die <hi rendition="#aq">providentiam divinam</hi> darff<lb/> man nicht aus den Augen ſetzen: Denn <hi rendition="#aq">generalis providentia</hi> iſt bey<lb/> allen. Ohne GOttes <hi rendition="#aq">providenz</hi> kan kein Sperling vom Dach herunter<lb/> fallen. Es iſt auch nicht zu leugnen, daß GOtt einem manchmahl <hi rendition="#aq">ſpe-<lb/> cialiter</hi> hilfft, wie wir bey dem Moſe, Aaron, Saul, David, und an-<lb/> dern ſehen, aber das ſind <hi rendition="#aq">exceptiones,</hi> wer will aber ſein Leben nach de-<lb/> nen <hi rendition="#aq">exceptionibus</hi> einrichten? Derjenige, wer ſeine <hi rendition="#aq">fortune</hi> machen will,<lb/> wie Moſes, Aaron, David, Samuel, Saul, iſt eben ſo <hi rendition="#aq">abſurd,</hi> als <hi rendition="#aq">la<lb/> fauſſe Clelie,</hi> welche die <hi rendition="#aq">Mad. Scudery</hi> beſchrieben. Sie zeiget, daß vie-<lb/> les Frauenzimmer auch auf <hi rendition="#aq">extraordinaire</hi> Dinge falle, denn manche,<lb/> wenn ſie in der Bibel leſen, daß die Eſther ſo hoch geſtiegen, ſo meynen<lb/> ſie, es muͤſte ihnen auch ſo gehen; Vielmehr muß ein jedweder Mittel<lb/> brauchen, ſo ſeinem Stande gemaͤß, und ſich dadurch zu wege bringen<lb/><hi rendition="#aq">ut ne infimo gradu ſubſiſtat</hi>: Deßwegen ſetzet man GOtt nicht auf die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Seite,</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0163]
De Mediis ſtatum conſervandi.
der Meynung. Die weiſen Leute, ſo in der Welt ſind, werden dir nichts
thun; aber man findet nicht allemahl weiſe Leute, wir haben homines
nequam in der Welt, die thun uns den meiſten Schaden: Denn dieſe
werden von raffinirten Leuten angehetzt; vergehet man ſich nun, alsdenn
druͤcken einen die raffinirten Leute unter. Vor ſtultis muß man ſich
wohl in acht nehmen, und auch vor raffinirten Leuten, weil dieſe keine Weiß-
heit haben, und ebenfalls ſtulti ſind. Dicis: Stultus und callidus iſt ei-
ne contradictio? Reſpond. Argliſtigkeit iſt keine Klugheit. Denn wer
geſcheuet iſt, wird ſich nicht auf Liſt und Betruͤgereyen legen; thut er
es aber, ſo fehlet er den rechten Weg, deßwegen iſt er ein ſtultus. Wenn
man nun fragt, wie man ſich vor dergleichen Dingen huͤten ſolle, ſo mey-
nen einige, man thaͤte am beſten, wenn man ſich retirirte von der Welt.
Allein wenn einer ſich will von der Welt retiriren, da er noch in dem
Stande iſt, der Welt zu dienen, ſo thut er nicht wohl: Denn er iſt nicht
dazu in der Welt, daß er ſoll ein Eremit ſeyn. Die alten Teutſchen
haben ſolche Hageſtoltzen genannt, welche ſo ſtoltz geweſen, daß ſie nim-
mer wollen in ihrer Hecken bleiben, und ſich um niemanden bekuͤmmern.
Ein Moͤnch, ein Eremit braucht keine politic. Wer will aber wohl ſa-
gen, daß man ſich vor der Welt ſepariren ſolle, das iſt nur ein extraor-
dinarium remedium; Daher, wenn ich mit einem Catholicken diſputi-
ren ſollte, ſo wollte ich nicht gleich die dogmata refutiren, ſondern nur
ſagen, was er wohl meynete, daß GOtt vor ein Dienſt geſchaͤhe, wenn
eine million Menſchen, wie in Spanien, in Cloͤſtern ſitzen, welches alles
homines otioſi, und damit ſie nicht faul, und ſtinckend werden, ſo ſchreyen
ſie den gantzen Tag. Der Welt muß man ſich freylich nicht gleich ſtel-
len, aber auch nicht ſepariren. Man muß klug ſeyn, wie die Schlan-
gen, und einfaͤltig, wie die Tauben. Die providentiam divinam darff
man nicht aus den Augen ſetzen: Denn generalis providentia iſt bey
allen. Ohne GOttes providenz kan kein Sperling vom Dach herunter
fallen. Es iſt auch nicht zu leugnen, daß GOtt einem manchmahl ſpe-
cialiter hilfft, wie wir bey dem Moſe, Aaron, Saul, David, und an-
dern ſehen, aber das ſind exceptiones, wer will aber ſein Leben nach de-
nen exceptionibus einrichten? Derjenige, wer ſeine fortune machen will,
wie Moſes, Aaron, David, Samuel, Saul, iſt eben ſo abſurd, als la
fauſſe Clelie, welche die Mad. Scudery beſchrieben. Sie zeiget, daß vie-
les Frauenzimmer auch auf extraordinaire Dinge falle, denn manche,
wenn ſie in der Bibel leſen, daß die Eſther ſo hoch geſtiegen, ſo meynen
ſie, es muͤſte ihnen auch ſo gehen; Vielmehr muß ein jedweder Mittel
brauchen, ſo ſeinem Stande gemaͤß, und ſich dadurch zu wege bringen
ut ne infimo gradu ſubſiſtat: Deßwegen ſetzet man GOtt nicht auf die
Seite,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/163 |
| Zitationshilfe: | Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/163>, abgerufen am 23.11.2024. |
