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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V.
Seite, als welcher eben haben will, daß wir arbeiten sollen, daß wir
andern Menschen dienen. Die meisten Menschen meynen, es bestehe
die Liebe gegen GOtt darinne, wenn man beständig zu Hause bleibe,
und den gantzen Tag singe; welches aber ein otium, und in diesen otio
ist ein Enthusiasmus. Vor GOtt muß man freylich reverentiam haben:
denn er ist summus, maximus, omnipotens, er kan mir helffen, und auch
schaden; aber er will doch auch haben, daß man seinen Nächsten dienen
soll. Es ist kein Mensch in der Welt, welcher nicht Feinde hat, welche
einen suchen zu verhindern; daher muß man suchen die impedimenta aus
dem Wege zu räumen, damit man seinen scopum erhalte, oder den Po-
sten, so man hat, maintenire. Unsere impedimenta, welche von Men-
schen geschehen, können auch von andern Menschen removiret werden;
Denn wir haben Freunde und Feinde unter denen Menschen. Weil
wir nun aber sollen Menschen durch Menschen überwinden, so ist zu mer-
cken, daß dreyerley Sorten sind, 1) etliche sind so beschaffen, qui nec
possunt, nec volunt, 2) qui volunt, sed non possunt, 3) qui possunt,
sed non volunt
; Der ersten Sorten muß man nicht trauen, und weil
solches manche nicht in acht nehmen, so leiden sie an ihrem Glücke Schiff-
bruch. An solche, die einem nicht können, und nicht wollen helffen, muß
man sich nicht addressiren. Man siehet, daß diejenigen, welche sich an
solche addressiren, kein jugement haben, und nicht urtheilen können, von
wem diese oder jene charge dependire. Bisweilen kan einer auch durch
einen avanciren, der nicht groß ist, aber doch potens, und muß man kei-
nen verachten, aber doch sehen, ob er mir will helffen? Es giebt viele
Leute, so einem gerne wollten helffen, sie können aber nicht, die muß man
caressiren, loben, ihnen Danck sagen vor die affection, und bitten, sol-
che ferner zu continuiren, aber der würde wunderlich handeln, welcher
sich auf sie verlassen wollte. Auf diejenigen kommt es also hauptsäch-
lich an, qui possunt, sed nolunt. Was muß man da thun? Respond.
Ein Enthusiast wird sagen, man solle sich nur passive verhalten, und
fleißig bethen, daß ihn GOtt regieren möchte, mich darzu zu nehmen.
Gesetzt nun, er hat kein gut Hertz, ist ein homo scelestus, da meynen sie,
könne man seine fortune nicht machen; allein es gehet gar wohl an,
wenn man sich nur nicht als ein instrumentum luxuriae gebrauchen läßt.
Derjenige ist klug, der seine fortune machen kan, es mag der Fürst be-
schaffen seyn, wie er will, siehet einer, daß er nicht avanciren kan, so muß
er es lassen. Indessen ist einem nicht zu verdencken, daß er alle machi-
nas
und labores braucht, so erlaubet sind, e. g. Es ist kein Mensch in
der Welt, der nicht ein interesse und gewisse passiones hat, da muß ich

mich

Cap. V.
Seite, als welcher eben haben will, daß wir arbeiten ſollen, daß wir
andern Menſchen dienen. Die meiſten Menſchen meynen, es beſtehe
die Liebe gegen GOtt darinne, wenn man beſtaͤndig zu Hauſe bleibe,
und den gantzen Tag ſinge; welches aber ein otium, und in dieſen otio
iſt ein Enthuſiaſmus. Vor GOtt muß man freylich reverentiam haben:
denn er iſt ſummus, maximus, omnipotens, er kan mir helffen, und auch
ſchaden; aber er will doch auch haben, daß man ſeinen Naͤchſten dienen
ſoll. Es iſt kein Menſch in der Welt, welcher nicht Feinde hat, welche
einen ſuchen zu verhindern; daher muß man ſuchen die impedimenta aus
dem Wege zu raͤumen, damit man ſeinen ſcopum erhalte, oder den Po-
ſten, ſo man hat, maintenire. Unſere impedimenta, welche von Men-
ſchen geſchehen, koͤnnen auch von andern Menſchen removiret werden;
Denn wir haben Freunde und Feinde unter denen Menſchen. Weil
wir nun aber ſollen Menſchen durch Menſchen uͤberwinden, ſo iſt zu mer-
cken, daß dreyerley Sorten ſind, 1) etliche ſind ſo beſchaffen, qui nec
poſſunt, nec volunt, 2) qui volunt, ſed non poſſunt, 3) qui poſſunt,
ſed non volunt
; Der erſten Sorten muß man nicht trauen, und weil
ſolches manche nicht in acht nehmen, ſo leiden ſie an ihrem Gluͤcke Schiff-
bruch. An ſolche, die einem nicht koͤnnen, und nicht wollen helffen, muß
man ſich nicht addreſſiren. Man ſiehet, daß diejenigen, welche ſich an
ſolche addreſſiren, kein jugement haben, und nicht urtheilen koͤnnen, von
wem dieſe oder jene charge dependire. Bisweilen kan einer auch durch
einen avanciren, der nicht groß iſt, aber doch potens, und muß man kei-
nen verachten, aber doch ſehen, ob er mir will helffen? Es giebt viele
Leute, ſo einem gerne wollten helffen, ſie koͤnnen aber nicht, die muß man
careſſiren, loben, ihnen Danck ſagen vor die affection, und bitten, ſol-
che ferner zu continuiren, aber der wuͤrde wunderlich handeln, welcher
ſich auf ſie verlaſſen wollte. Auf diejenigen kommt es alſo hauptſaͤch-
lich an, qui poſſunt, ſed nolunt. Was muß man da thun? Reſpond.
Ein Enthuſiaſt wird ſagen, man ſolle ſich nur paſſive verhalten, und
fleißig bethen, daß ihn GOtt regieren moͤchte, mich darzu zu nehmen.
Geſetzt nun, er hat kein gut Hertz, iſt ein homo ſceleſtus, da meynen ſie,
koͤnne man ſeine fortune nicht machen; allein es gehet gar wohl an,
wenn man ſich nur nicht als ein inſtrumentum luxuriæ gebrauchen laͤßt.
Derjenige iſt klug, der ſeine fortune machen kan, es mag der Fuͤrſt be-
ſchaffen ſeyn, wie er will, ſiehet einer, daß er nicht avanciren kan, ſo muß
er es laſſen. Indeſſen iſt einem nicht zu verdencken, daß er alle machi-
nas
und labores braucht, ſo erlaubet ſind, e. g. Es iſt kein Menſch in
der Welt, der nicht ein intereſſe und gewiſſe paſſiones hat, da muß ich

mich
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[144/0164] Cap. V. Seite, als welcher eben haben will, daß wir arbeiten ſollen, daß wir andern Menſchen dienen. Die meiſten Menſchen meynen, es beſtehe die Liebe gegen GOtt darinne, wenn man beſtaͤndig zu Hauſe bleibe, und den gantzen Tag ſinge; welches aber ein otium, und in dieſen otio iſt ein Enthuſiaſmus. Vor GOtt muß man freylich reverentiam haben: denn er iſt ſummus, maximus, omnipotens, er kan mir helffen, und auch ſchaden; aber er will doch auch haben, daß man ſeinen Naͤchſten dienen ſoll. Es iſt kein Menſch in der Welt, welcher nicht Feinde hat, welche einen ſuchen zu verhindern; daher muß man ſuchen die impedimenta aus dem Wege zu raͤumen, damit man ſeinen ſcopum erhalte, oder den Po- ſten, ſo man hat, maintenire. Unſere impedimenta, welche von Men- ſchen geſchehen, koͤnnen auch von andern Menſchen removiret werden; Denn wir haben Freunde und Feinde unter denen Menſchen. Weil wir nun aber ſollen Menſchen durch Menſchen uͤberwinden, ſo iſt zu mer- cken, daß dreyerley Sorten ſind, 1) etliche ſind ſo beſchaffen, qui nec poſſunt, nec volunt, 2) qui volunt, ſed non poſſunt, 3) qui poſſunt, ſed non volunt; Der erſten Sorten muß man nicht trauen, und weil ſolches manche nicht in acht nehmen, ſo leiden ſie an ihrem Gluͤcke Schiff- bruch. An ſolche, die einem nicht koͤnnen, und nicht wollen helffen, muß man ſich nicht addreſſiren. Man ſiehet, daß diejenigen, welche ſich an ſolche addreſſiren, kein jugement haben, und nicht urtheilen koͤnnen, von wem dieſe oder jene charge dependire. Bisweilen kan einer auch durch einen avanciren, der nicht groß iſt, aber doch potens, und muß man kei- nen verachten, aber doch ſehen, ob er mir will helffen? Es giebt viele Leute, ſo einem gerne wollten helffen, ſie koͤnnen aber nicht, die muß man careſſiren, loben, ihnen Danck ſagen vor die affection, und bitten, ſol- che ferner zu continuiren, aber der wuͤrde wunderlich handeln, welcher ſich auf ſie verlaſſen wollte. Auf diejenigen kommt es alſo hauptſaͤch- lich an, qui poſſunt, ſed nolunt. Was muß man da thun? Reſpond. Ein Enthuſiaſt wird ſagen, man ſolle ſich nur paſſive verhalten, und fleißig bethen, daß ihn GOtt regieren moͤchte, mich darzu zu nehmen. Geſetzt nun, er hat kein gut Hertz, iſt ein homo ſceleſtus, da meynen ſie, koͤnne man ſeine fortune nicht machen; allein es gehet gar wohl an, wenn man ſich nur nicht als ein inſtrumentum luxuriæ gebrauchen laͤßt. Derjenige iſt klug, der ſeine fortune machen kan, es mag der Fuͤrſt be- ſchaffen ſeyn, wie er will, ſiehet einer, daß er nicht avanciren kan, ſo muß er es laſſen. Indeſſen iſt einem nicht zu verdencken, daß er alle machi- nas und labores braucht, ſo erlaubet ſind, e. g. Es iſt kein Menſch in der Welt, der nicht ein intereſſe und gewiſſe paſſiones hat, da muß ich mich

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/164>, abgerufen am 23.11.2024.