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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
alsdenn viel Sporteln würden abgehen. Leute aber, die Verstand ha-
ben, fragen nichts darnach, wenn gleich nicht viel acten kommen, weil
sie doch noch anderswo zu thun finden. Es sind viel grosse Herren und
auch andere Leute, welche ihnen sonst können zu thun geben. Die trans-
missio actorum
ist auch ein grosser Mißbrauch. Man sagt zwar: Es
geschehe solches wegen Partheylichkeit der Richter, aber wenn man rechte
Richter setzte, so würde keine Partheylichkeit zu vermuthen seyn. Es werden
auch nur die processe ausgehalten, wenn die acten verschickt werden. Der ju-
dex
muß also suchen das factum zu developpiren, und da gehöret hodie eine
peritia dazu. Vor dem muste man auch wohl peritiam haben, und die leges
patrias & consuetudines
wohl verstehen, es wurde auch derjenige hochge-
halten, welcher eine experientiam hatte, und die leges patrum wohl ver-
standen. Die alten Richter haben auch die Teutschen Gesetze gut ver-
standen, und darff man deßwegen die Spiegler nicht verachten, wenn
sie wie Roß und Mäuler von dem Jure Rom. raisonniren, denn dieses
haben sie nicht verstanden, aber ihre leges wusten sie gut. Carolus M.
hat in seinen capitularibus (ehe man noch von dem Jure Rom. etwas ge-
wust,) Lib. V. Cap. 62. verordnet, daß alle, die im Gerichte wären, soll-
ten Leute seyn, qui didicissent leges a sapientibus populi; sie sollten die
leges und consuetudines in promtu haben, das kam nicht auf einen na-
türlichen Verstand an. Wir sehen ja jetzo noch, daß nicht alle casus
in Iure Rom
. und Legibus patriis enthalten, sondern vieles muß man
noch nach der Vernunfft, und aus dem Zusammenhang ex hypothesi
decidi
ren, und wenn gar nichts da ist, so decidirt man ex aequitate. Man
hat vordem über dreyßig viertzig leges nicht gehabt, welches man bey
denen Speyerischen Gesetzen sehen kan. Jetzo aber haben wir das Ius
Rom. Can. Feudale,
und statuta patria, da hier und dar was weggenom-
men. Also ist kein Zweiffel, daß ein judex viel wissen muß; Daher ent-
stehen eben Klagen, daß man junge Leute in die judicia setzet, welche nichts
verstehen. Man erschrickt zu weilen, wenn man siehet, was die Leute
vor resolutiones und Urtheil geben, aberant a via juris, und wissen den
statum controversiae nicht zu formiren. Wer Theoriam eines jeden
Titels weiß, der thut wohl, daß er sich läßt acten geben, und refe-
ri
ret, damit er siehet ob er speciem facti recht kan vorstellig machen, und
wie es könne decidirt werden. Ist es eine geistliche Sache, so hat man
vornemlich auf das Ius Can. zu sehen, ist es aber eine weltliche Sache,
so gehet man auf das Ius civile. Man machet die praxin so schwer, wie
die Theologi das Predigen, und gleichwie derjenige absurd handelt, wel-
cher gleich anfängt zu predigen, also ist auch der absurd, so sich auf pra-

xin

Cap. V. De prudentia
alsdenn viel Sporteln wuͤrden abgehen. Leute aber, die Verſtand ha-
ben, fragen nichts darnach, wenn gleich nicht viel acten kommen, weil
ſie doch noch anderswo zu thun finden. Es ſind viel groſſe Herren und
auch andere Leute, welche ihnen ſonſt koͤnnen zu thun geben. Die trans-
misſio actorum
iſt auch ein groſſer Mißbrauch. Man ſagt zwar: Es
geſchehe ſolches wegen Partheylichkeit der Richter, aber wenn man rechte
Richter ſetzte, ſo wuͤrde keine Partheylichkeit zu vermuthen ſeyn. Es werden
auch nur die proceſſe auſgehalten, wenn die acten verſchickt werden. Der ju-
dex
muß alſo ſuchen das factum zu developpiren, und da gehoͤret hodie eine
peritia dazu. Vor dem muſte man auch wohl peritiam haben, und die leges
patrias & conſuetudines
wohl verſtehen, es wurde auch derjenige hochge-
halten, welcher eine experientiam hatte, und die leges patrum wohl ver-
ſtanden. Die alten Richter haben auch die Teutſchen Geſetze gut ver-
ſtanden, und darff man deßwegen die Spiegler nicht verachten, wenn
ſie wie Roß und Maͤuler von dem Jure Rom. raiſonniren, denn dieſes
haben ſie nicht verſtanden, aber ihre leges wuſten ſie gut. Carolus M.
hat in ſeinen capitularibus (ehe man noch von dem Jure Rom. etwas ge-
wuſt,) Lib. V. Cap. 62. verordnet, daß alle, die im Gerichte waͤren, ſoll-
ten Leute ſeyn, qui didiciſſent leges a ſapientibus populi; ſie ſollten die
leges und conſuetudines in promtu haben, das kam nicht auf einen na-
tuͤrlichen Verſtand an. Wir ſehen ja jetzo noch, daß nicht alle caſus
in Iure Rom
. und Legibus patriis enthalten, ſondern vieles muß man
noch nach der Vernunfft, und aus dem Zuſammenhang ex hypotheſi
decidi
ren, und wenn gar nichts da iſt, ſo decidirt man ex æquitate. Man
hat vordem uͤber dreyßig viertzig leges nicht gehabt, welches man bey
denen Speyeriſchen Geſetzen ſehen kan. Jetzo aber haben wir das Ius
Rom. Can. Feudale,
und ſtatuta patria, da hier und dar was weggenom-
men. Alſo iſt kein Zweiffel, daß ein judex viel wiſſen muß; Daher ent-
ſtehen eben Klagen, daß man junge Leute in die judicia ſetzet, welche nichts
verſtehen. Man erſchrickt zu weilen, wenn man ſiehet, was die Leute
vor reſolutiones und Urtheil geben, aberant a via juris, und wiſſen den
ſtatum controverſiæ nicht zu formiren. Wer Theoriam eines jeden
Titels weiß, der thut wohl, daß er ſich laͤßt acten geben, und refe-
ri
ret, damit er ſiehet ob er ſpeciem facti recht kan vorſtellig machen, und
wie es koͤnne decidirt werden. Iſt es eine geiſtliche Sache, ſo hat man
vornemlich auf das Ius Can. zu ſehen, iſt es aber eine weltliche Sache,
ſo gehet man auf das Ius civile. Man machet die praxin ſo ſchwer, wie
die Theologi das Predigen, und gleichwie derjenige abſurd handelt, wel-
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[194/0214] Cap. V. De prudentia alsdenn viel Sporteln wuͤrden abgehen. Leute aber, die Verſtand ha- ben, fragen nichts darnach, wenn gleich nicht viel acten kommen, weil ſie doch noch anderswo zu thun finden. Es ſind viel groſſe Herren und auch andere Leute, welche ihnen ſonſt koͤnnen zu thun geben. Die trans- misſio actorum iſt auch ein groſſer Mißbrauch. Man ſagt zwar: Es geſchehe ſolches wegen Partheylichkeit der Richter, aber wenn man rechte Richter ſetzte, ſo wuͤrde keine Partheylichkeit zu vermuthen ſeyn. Es werden auch nur die proceſſe auſgehalten, wenn die acten verſchickt werden. Der ju- dex muß alſo ſuchen das factum zu developpiren, und da gehoͤret hodie eine peritia dazu. Vor dem muſte man auch wohl peritiam haben, und die leges patrias & conſuetudines wohl verſtehen, es wurde auch derjenige hochge- halten, welcher eine experientiam hatte, und die leges patrum wohl ver- ſtanden. Die alten Richter haben auch die Teutſchen Geſetze gut ver- ſtanden, und darff man deßwegen die Spiegler nicht verachten, wenn ſie wie Roß und Maͤuler von dem Jure Rom. raiſonniren, denn dieſes haben ſie nicht verſtanden, aber ihre leges wuſten ſie gut. Carolus M. hat in ſeinen capitularibus (ehe man noch von dem Jure Rom. etwas ge- wuſt,) Lib. V. Cap. 62. verordnet, daß alle, die im Gerichte waͤren, ſoll- ten Leute ſeyn, qui didiciſſent leges a ſapientibus populi; ſie ſollten die leges und conſuetudines in promtu haben, das kam nicht auf einen na- tuͤrlichen Verſtand an. Wir ſehen ja jetzo noch, daß nicht alle caſus in Iure Rom. und Legibus patriis enthalten, ſondern vieles muß man noch nach der Vernunfft, und aus dem Zuſammenhang ex hypotheſi decidiren, und wenn gar nichts da iſt, ſo decidirt man ex æquitate. Man hat vordem uͤber dreyßig viertzig leges nicht gehabt, welches man bey denen Speyeriſchen Geſetzen ſehen kan. Jetzo aber haben wir das Ius Rom. Can. Feudale, und ſtatuta patria, da hier und dar was weggenom- men. Alſo iſt kein Zweiffel, daß ein judex viel wiſſen muß; Daher ent- ſtehen eben Klagen, daß man junge Leute in die judicia ſetzet, welche nichts verſtehen. Man erſchrickt zu weilen, wenn man ſiehet, was die Leute vor reſolutiones und Urtheil geben, aberant a via juris, und wiſſen den ſtatum controverſiæ nicht zu formiren. Wer Theoriam eines jeden Titels weiß, der thut wohl, daß er ſich laͤßt acten geben, und refe- riret, damit er ſiehet ob er ſpeciem facti recht kan vorſtellig machen, und wie es koͤnne decidirt werden. Iſt es eine geiſtliche Sache, ſo hat man vornemlich auf das Ius Can. zu ſehen, iſt es aber eine weltliche Sache, ſo gehet man auf das Ius civile. Man machet die praxin ſo ſchwer, wie die Theologi das Predigen, und gleichwie derjenige abſurd handelt, wel- cher gleich anfaͤngt zu predigen, alſo iſt auch der abſurd, ſo ſich auf pra- xin

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/214>, abgerufen am 25.11.2024.