Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

Bild:
<< vorherige Seite

PROLEGOMENA.
bestehen, es müssen parvae civitates & societates da seyn; welche
aber alle harmoniren müssen mit der grossen societaet. Deßwe-
gen sagt auch Hieronymus Osorius in einer oration an die Kö-
nigin Elisabeth in Engeland: Es sey zu verwundern, daß sie so
weißlich regieret, und alles so in guter Ordnung erhalten. Weil
er aber Catholisch war, und ein Pfaffe, so sagte er, es fehlte ihr nichts
mehr, als daß sie Catholisch würde.

Was der ha-
zard
thue?

Es könnte aber einer sagen: mundus regitur opinionibus,
es sey parva sapientia genug, und brauche man keine Politic.
Das ist wohl wahr, denn es kan einer hincken, und doch wohl fort
kommen; er kan dabey noch essen und trincken. Einer, der einen
Buckel hat, kan sich noch kleiden, man machet das Kleid so, daß es
etwas verdeckt wird, aber er machet doch keine sonderliche figure.
Wir sehen auch, daß unordentliche Leute noch können forthutschen,
kommt aber ein Wind, so fallen sie übern Hauffen, wie ein Charten-
Häußgen. Man siehet also, daß es nur eine Zeitlang dauret.
Wenn einer etwas in die Welt jucket, so wird er finden, daß Leute,
welche vor 20. Jahren in gutem Stande gewesen, nachgehends in
desordres
kommen, sind abgesetzt, und invaliden worden. Wenn
man aber einen andern fragt, was er von einem solchen Kerl halte?
so antwortet er: Es ist ein Tummrian, kein politicus, non con-
servat statum suum,
er hat seinen Posten nicht können mainteni-
ren. Wie wunderlich läst es nicht, wenn ein König seinen Posten
nicht kan mainteniren, er wird ins Gefängniß gesetzet wie Charles
Sot
in Franckreich. Das kommt alles von ihren Unverstand.
Wenn mir also gleich einer was saget vom hazard, so antworte
ich: Er dauret nicht. Und wenn gleich sich ein Exempel finden sol-
te, daß er eine Zeitlang gedauret, da etwan der Mensch bald ge-
storben; so sind es doch nur exceptiones. Wer will sein Leben
nach denen exceptionibus einrichten, und alles auf einen hazard
ankommen lassen? Wir sind ja nicht in die Welt gesetzt, daß wir
sollen leben par hazard? Wenn einer gleich felix ist, deßwegen ist
er noch nicht prudens. Bisweilen können Umstände kommen,
daß sich einer par hazard conserviret, deswegen hält aber nie-

mand

PROLEGOMENA.
beſtehen, es muͤſſen parvæ civitates & ſocietates da ſeyn; welche
aber alle harmoniren muͤſſen mit der groſſen ſocietæt. Deßwe-
gen ſagt auch Hieronymus Oſorius in einer oration an die Koͤ-
nigin Eliſabeth in Engeland: Es ſey zu verwundern, daß ſie ſo
weißlich regieret, und alles ſo in guter Ordnung erhalten. Weil
er aber Catholiſch war, und ein Pfaffe, ſo ſagte er, es fehlte ihr nichts
mehr, als daß ſie Catholiſch wuͤrde.

Was der ha-
zard
thue?

Es koͤnnte aber einer ſagen: mundus regitur opinionibus,
es ſey parva ſapientia genug, und brauche man keine Politic.
Das iſt wohl wahr, denn es kan einer hincken, und doch wohl fort
kommen; er kan dabey noch eſſen und trincken. Einer, der einen
Buckel hat, kan ſich noch kleiden, man machet das Kleid ſo, daß es
etwas verdeckt wird, aber er machet doch keine ſonderliche figure.
Wir ſehen auch, daß unordentliche Leute noch koͤnnen forthutſchen,
kommt aber ein Wind, ſo fallen ſie uͤbern Hauffen, wie ein Charten-
Haͤußgen. Man ſiehet alſo, daß es nur eine Zeitlang dauret.
Wenn einer etwas in die Welt jucket, ſo wird er finden, daß Leute,
welche vor 20. Jahren in gutem Stande geweſen, nachgehends in
desordres
kommen, ſind abgeſetzt, und invaliden worden. Wenn
man aber einen andern fragt, was er von einem ſolchen Kerl halte?
ſo antwortet er: Es iſt ein Tummrian, kein politicus, non con-
ſervat ſtatum ſuum,
er hat ſeinen Poſten nicht koͤnnen mainteni-
ren. Wie wunderlich laͤſt es nicht, wenn ein Koͤnig ſeinen Poſten
nicht kan mainteniren, er wird ins Gefaͤngniß geſetzet wie Charles
Sot
in Franckreich. Das kommt alles von ihren Unverſtand.
Wenn mir alſo gleich einer was ſaget vom hazard, ſo antworte
ich: Er dauret nicht. Und wenn gleich ſich ein Exempel finden ſol-
te, daß er eine Zeitlang gedauret, da etwan der Menſch bald ge-
ſtorben; ſo ſind es doch nur exceptiones. Wer will ſein Leben
nach denen exceptionibus einrichten, und alles auf einen hazard
ankommen laſſen? Wir ſind ja nicht in die Welt geſetzt, daß wir
ſollen leben par hazard? Wenn einer gleich felix iſt, deßwegen iſt
er noch nicht prudens. Bisweilen koͤnnen Umſtaͤnde kommen,
daß ſich einer par hazard conſerviret, deswegen haͤlt aber nie-

mand
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">PROLEGOMENA.</hi></hi></fw><lb/>
be&#x017F;tehen, es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">parvæ civitates &amp; &#x017F;ocietates</hi> da &#x017F;eyn; welche<lb/>
aber alle <hi rendition="#aq">harmoni</hi>ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en mit der gro&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">&#x017F;ocietæt.</hi> Deßwe-<lb/>
gen &#x017F;agt auch <hi rendition="#aq">Hieronymus O&#x017F;orius</hi> in einer <hi rendition="#aq">oration</hi> an die Ko&#x0364;-<lb/>
nigin Eli&#x017F;abeth in Engeland: Es &#x017F;ey zu verwundern, daß &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
weißlich regieret, und alles &#x017F;o in guter Ordnung erhalten. Weil<lb/>
er aber Catholi&#x017F;ch war, und ein Pfaffe, &#x017F;o &#x017F;agte er, es fehlte ihr nichts<lb/>
mehr, als daß &#x017F;ie Catholi&#x017F;ch wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <note place="left">Was der <hi rendition="#aq">ha-<lb/>
zard</hi> thue?</note>
        <p>Es ko&#x0364;nnte aber einer &#x017F;agen: <hi rendition="#aq">mundus regitur opinionibus,</hi><lb/>
es &#x017F;ey <hi rendition="#aq">parva &#x017F;apientia</hi> genug, und brauche man keine <hi rendition="#aq">Politic.</hi><lb/>
Das i&#x017F;t wohl wahr, denn es kan einer hincken, und doch wohl fort<lb/>
kommen; er kan dabey noch e&#x017F;&#x017F;en und trincken. Einer, der einen<lb/>
Buckel hat, kan &#x017F;ich noch kleiden, man machet das Kleid &#x017F;o, daß es<lb/>
etwas verdeckt wird, aber er machet doch keine &#x017F;onderliche <hi rendition="#aq">figure.</hi><lb/>
Wir &#x017F;ehen auch, daß unordentliche Leute noch ko&#x0364;nnen forthut&#x017F;chen,<lb/>
kommt aber ein Wind, &#x017F;o fallen &#x017F;ie u&#x0364;bern Hauffen, wie ein Charten-<lb/>
Ha&#x0364;ußgen. Man &#x017F;iehet al&#x017F;o, daß es nur eine Zeitlang dauret.<lb/>
Wenn einer etwas in die Welt jucket, &#x017F;o wird er finden, daß Leute,<lb/>
welche vor 20. Jahren in gutem Stande gewe&#x017F;en, nachgehends <hi rendition="#aq">in<lb/>
desordres</hi> kommen, &#x017F;ind abge&#x017F;etzt, und <hi rendition="#aq">invali</hi>den worden. Wenn<lb/>
man aber einen andern fragt, was er von einem &#x017F;olchen Kerl halte?<lb/>
&#x017F;o antwortet er: Es i&#x017F;t ein Tummrian, kein <hi rendition="#aq">politicus, non con-<lb/>
&#x017F;ervat &#x017F;tatum &#x017F;uum,</hi> er hat &#x017F;einen Po&#x017F;ten nicht ko&#x0364;nnen <hi rendition="#aq">mainteni-</hi><lb/>
ren. Wie wunderlich la&#x0364;&#x017F;t es nicht, wenn ein Ko&#x0364;nig &#x017F;einen Po&#x017F;ten<lb/>
nicht kan <hi rendition="#aq">mainteni</hi>ren, er wird ins Gefa&#x0364;ngniß ge&#x017F;etzet wie <hi rendition="#aq">Charles<lb/>
Sot</hi> in Franckreich. Das kommt alles von ihren Unver&#x017F;tand.<lb/>
Wenn mir al&#x017F;o gleich einer was &#x017F;aget vom <hi rendition="#aq">hazard,</hi> &#x017F;o antworte<lb/>
ich: Er dauret nicht. Und wenn gleich &#x017F;ich ein Exempel finden &#x017F;ol-<lb/>
te, daß er eine Zeitlang gedauret, da etwan der Men&#x017F;ch bald ge-<lb/>
&#x017F;torben; &#x017F;o &#x017F;ind es doch nur <hi rendition="#aq">exceptiones.</hi> Wer will &#x017F;ein Leben<lb/>
nach denen <hi rendition="#aq">exceptionibus</hi> einrichten, und alles auf einen <hi rendition="#aq">hazard</hi><lb/>
ankommen la&#x017F;&#x017F;en? Wir &#x017F;ind ja nicht in die Welt ge&#x017F;etzt, daß wir<lb/>
&#x017F;ollen leben <hi rendition="#aq">par hazard?</hi> Wenn einer gleich <hi rendition="#aq">felix</hi> i&#x017F;t, deßwegen i&#x017F;t<lb/>
er noch nicht <hi rendition="#aq">prudens.</hi> Bisweilen ko&#x0364;nnen Um&#x017F;ta&#x0364;nde kommen,<lb/>
daß &#x017F;ich einer <hi rendition="#aq">par hazard con&#x017F;ervi</hi>ret, deswegen ha&#x0364;lt aber nie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mand</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[6/0026] PROLEGOMENA. beſtehen, es muͤſſen parvæ civitates & ſocietates da ſeyn; welche aber alle harmoniren muͤſſen mit der groſſen ſocietæt. Deßwe- gen ſagt auch Hieronymus Oſorius in einer oration an die Koͤ- nigin Eliſabeth in Engeland: Es ſey zu verwundern, daß ſie ſo weißlich regieret, und alles ſo in guter Ordnung erhalten. Weil er aber Catholiſch war, und ein Pfaffe, ſo ſagte er, es fehlte ihr nichts mehr, als daß ſie Catholiſch wuͤrde. Es koͤnnte aber einer ſagen: mundus regitur opinionibus, es ſey parva ſapientia genug, und brauche man keine Politic. Das iſt wohl wahr, denn es kan einer hincken, und doch wohl fort kommen; er kan dabey noch eſſen und trincken. Einer, der einen Buckel hat, kan ſich noch kleiden, man machet das Kleid ſo, daß es etwas verdeckt wird, aber er machet doch keine ſonderliche figure. Wir ſehen auch, daß unordentliche Leute noch koͤnnen forthutſchen, kommt aber ein Wind, ſo fallen ſie uͤbern Hauffen, wie ein Charten- Haͤußgen. Man ſiehet alſo, daß es nur eine Zeitlang dauret. Wenn einer etwas in die Welt jucket, ſo wird er finden, daß Leute, welche vor 20. Jahren in gutem Stande geweſen, nachgehends in desordres kommen, ſind abgeſetzt, und invaliden worden. Wenn man aber einen andern fragt, was er von einem ſolchen Kerl halte? ſo antwortet er: Es iſt ein Tummrian, kein politicus, non con- ſervat ſtatum ſuum, er hat ſeinen Poſten nicht koͤnnen mainteni- ren. Wie wunderlich laͤſt es nicht, wenn ein Koͤnig ſeinen Poſten nicht kan mainteniren, er wird ins Gefaͤngniß geſetzet wie Charles Sot in Franckreich. Das kommt alles von ihren Unverſtand. Wenn mir alſo gleich einer was ſaget vom hazard, ſo antworte ich: Er dauret nicht. Und wenn gleich ſich ein Exempel finden ſol- te, daß er eine Zeitlang gedauret, da etwan der Menſch bald ge- ſtorben; ſo ſind es doch nur exceptiones. Wer will ſein Leben nach denen exceptionibus einrichten, und alles auf einen hazard ankommen laſſen? Wir ſind ja nicht in die Welt geſetzt, daß wir ſollen leben par hazard? Wenn einer gleich felix iſt, deßwegen iſt er noch nicht prudens. Bisweilen koͤnnen Umſtaͤnde kommen, daß ſich einer par hazard conſerviret, deswegen haͤlt aber nie- mand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/26
Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/26>, abgerufen am 28.04.2024.