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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
vier Finger dicke. Es ist also klar, hodie non potest fieri, ja sagen sie,
wir supponiren daß wir die wahre Religion haben, da muß der princeps
alle hereses in herba supprimiten. Dieses ist auch des Autoris princi-
pium.
Wir halten die Catholiquen und Reformirten vor Ketzer. Die
Reformirten halten uns und die Papisten vor Ketzer. Die Socinianer
halten uns vor Idololatras; Ein Quacker sagt, wir hätten einen Hirn-
Glauben, und wenn er könte, so ließ er uns allen die Köpffe herunter
schmeissen, wie die Bärenheuter zu Münster gethan haben. Quid est
heresis?
Gesetzt, daß Carolus V. die Politic des Autoris gelesen, da Lu-
therus
kommen, so hätte er können sagen: Supprimatur in herba. Viele
culpiren auch Carolum V. daß er es nicht gemacht, wie Franciscus I.
der alle Reformirten supprimirt, das ist eben der spiritus persecutionis.
Laß es vielmehr warten bis zur Erndte-Zeit, es mögen mala oder bona
seyn. Wenn unser HErr GOtt wollte unam religionem haben, wird
er zwantzig Mittel finden können, solches zu bewerckstelligen. Wir se-
hen aber nicht, daß er solches braucht, wir sehen nicht, daß Christus
solches gethan. Aus der Vernunfft sehen wir auch kein argument, es ist
ein desiderium abstractivum, ut religio sit una, aber es ist sein Lebtage nicht
zu erwarten. Mit dem alten Testament komme mir nur nicht aufgezo-
gen, sonst will ich eben so viel wider dich vorbringen, wie die Spanio-
len gethan. Philippus II. wolte alle Ketzer in Europa ausrotten und hatte
schon Ketten und Banden fertig machen lassen, in welchen er die Elisabeth
dem Pabst liefern wolte. Ich wünsche nicht, daß so viel tausend Irr-
thümer in der Welt seyn solten, sage auch nicht, daß ein Herr alle Se-
cten soll herbey rufen, sondern es kommt nur darauf an, wie ein princeps
sich conduisiren, und ob er den spiritum persecutionis nehmen solle. Nego, die
andern wehren sich und haben auch ein grosses argumentum vor sich. Sie sa-
gen, es kommt in der Religion auf die Gedancken, nicht auf die obedientiam
an. In Holland sind allerhand Secten; wenn gesagt wird: summo principi pa-
rendum est, summo principi pendenda sunt tributa,
so sind alle d'accord. Aber
in credendis wollen sie eine Freyheit haben und vor diese Freyheit fechten sie.
Sie haben auch ein jus quaesitum diese Freyheit zu defendiren. Videatur ora-
tio mea de libertate religionis,
welche in Leipzig nachgedruckt worden,
it. Noodts Oratio de religione Jur. Gent. Libera. It. VVehrenfelsii diss. de
libertate conscientiarum,
welcher mit grosser Bescheidenheit alle dubia be-
antwortet. Da wir ohnedem zugeben, daß keine Religion kan bestoh-
len werden, so kan man auch hier den spiritum persecutionis nicht anneh-
men. Es heisset ja scrutamini und zwar cum cura, es kau leicht kommen,
daß einer auf Abwege geräth per interpretationes, wo eine Sache nicht

recht

Cap. V. De prudentia
vier Finger dicke. Es iſt alſo klar, hodie non poteſt fieri, ja ſagen ſie,
wir ſupponiren daß wir die wahre Religion haben, da muß der princeps
alle hereſes in herba ſupprimiten. Dieſes iſt auch des Autoris princi-
pium.
Wir halten die Catholiquen und Reformirten vor Ketzer. Die
Reformirten halten uns und die Papiſten vor Ketzer. Die Socinianer
halten uns vor Idololatras; Ein Quacker ſagt, wir haͤtten einen Hirn-
Glauben, und wenn er koͤnte, ſo ließ er uns allen die Koͤpffe herunter
ſchmeiſſen, wie die Baͤrenheuter zu Muͤnſter gethan haben. Quid eſt
hereſis?
Geſetzt, daß Carolus V. die Politic des Autoris geleſen, da Lu-
therus
kommen, ſo haͤtte er koͤnnen ſagen: Supprimatur in herba. Viele
culpiren auch Carolum V. daß er es nicht gemacht, wie Franciſcus I.
der alle Reformirten ſupprimirt, das iſt eben der ſpiritus perſecutionis.
Laß es vielmehr warten bis zur Erndte-Zeit, es moͤgen mala oder bona
ſeyn. Wenn unſer HErr GOtt wollte unam religionem haben, wird
er zwantzig Mittel finden koͤnnen, ſolches zu bewerckſtelligen. Wir ſe-
hen aber nicht, daß er ſolches braucht, wir ſehen nicht, daß Chriſtus
ſolches gethan. Aus der Vernunfft ſehen wir auch kein argument, es iſt
ein deſiderium abſtractivum, ut religio ſit una, aber es iſt ſein Lebtage nicht
zu erwarten. Mit dem alten Teſtament komme mir nur nicht aufgezo-
gen, ſonſt will ich eben ſo viel wider dich vorbringen, wie die Spanio-
len gethan. Philippus II. wolte alle Ketzer in Europa ausrotten und hatte
ſchon Ketten und Banden fertig machen laſſen, in welchen er die Eliſabeth
dem Pabſt liefern wolte. Ich wuͤnſche nicht, daß ſo viel tauſend Irr-
thuͤmer in der Welt ſeyn ſolten, ſage auch nicht, daß ein Herr alle Se-
cten ſoll herbey rufen, ſondern es kommt nur darauf an, wie ein princeps
ſich conduiſiren, und ob er den ſpiritum perſecutionis nehmen ſolle. Nego, die
andern wehren ſich und haben auch ein groſſes argumentum vor ſich. Sie ſa-
gen, es kommt in der Religion auf die Gedancken, nicht auf die obedientiam
an. In Holland ſind allerhand Secten; wenn geſagt wird: ſummo principi pa-
rendum eſt, ſummo principi pendenda ſunt tributa,
ſo ſind alle d’accord. Aber
in credendis wollen ſie eine Freyheit haben und vor dieſe Freyheit fechten ſie.
Sie haben auch ein jus quæſitum dieſe Freyheit zu defendiren. Videatur ora-
tio mea de libertate religionis,
welche in Leipzig nachgedruckt worden,
it. Noodts Oratio de religione Jur. Gent. Libera. It. VVehrenfelſii diſſ. de
libertate conſcientiarum,
welcher mit groſſer Beſcheidenheit alle dubia be-
antwortet. Da wir ohnedem zugeben, daß keine Religion kan beſtoh-
len werden, ſo kan man auch hier den ſpiritum perſecutionis nicht anneh-
men. Es heiſſet ja ſcrutamini und zwar cum cura, es kau leicht kommen,
daß einer auf Abwege geraͤth per interpretationes, wo eine Sache nicht

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[350/0370] Cap. V. De prudentia vier Finger dicke. Es iſt alſo klar, hodie non poteſt fieri, ja ſagen ſie, wir ſupponiren daß wir die wahre Religion haben, da muß der princeps alle hereſes in herba ſupprimiten. Dieſes iſt auch des Autoris princi- pium. Wir halten die Catholiquen und Reformirten vor Ketzer. Die Reformirten halten uns und die Papiſten vor Ketzer. Die Socinianer halten uns vor Idololatras; Ein Quacker ſagt, wir haͤtten einen Hirn- Glauben, und wenn er koͤnte, ſo ließ er uns allen die Koͤpffe herunter ſchmeiſſen, wie die Baͤrenheuter zu Muͤnſter gethan haben. Quid eſt hereſis? Geſetzt, daß Carolus V. die Politic des Autoris geleſen, da Lu- therus kommen, ſo haͤtte er koͤnnen ſagen: Supprimatur in herba. Viele culpiren auch Carolum V. daß er es nicht gemacht, wie Franciſcus I. der alle Reformirten ſupprimirt, das iſt eben der ſpiritus perſecutionis. Laß es vielmehr warten bis zur Erndte-Zeit, es moͤgen mala oder bona ſeyn. Wenn unſer HErr GOtt wollte unam religionem haben, wird er zwantzig Mittel finden koͤnnen, ſolches zu bewerckſtelligen. Wir ſe- hen aber nicht, daß er ſolches braucht, wir ſehen nicht, daß Chriſtus ſolches gethan. Aus der Vernunfft ſehen wir auch kein argument, es iſt ein deſiderium abſtractivum, ut religio ſit una, aber es iſt ſein Lebtage nicht zu erwarten. Mit dem alten Teſtament komme mir nur nicht aufgezo- gen, ſonſt will ich eben ſo viel wider dich vorbringen, wie die Spanio- len gethan. Philippus II. wolte alle Ketzer in Europa ausrotten und hatte ſchon Ketten und Banden fertig machen laſſen, in welchen er die Eliſabeth dem Pabſt liefern wolte. Ich wuͤnſche nicht, daß ſo viel tauſend Irr- thuͤmer in der Welt ſeyn ſolten, ſage auch nicht, daß ein Herr alle Se- cten ſoll herbey rufen, ſondern es kommt nur darauf an, wie ein princeps ſich conduiſiren, und ob er den ſpiritum perſecutionis nehmen ſolle. Nego, die andern wehren ſich und haben auch ein groſſes argumentum vor ſich. Sie ſa- gen, es kommt in der Religion auf die Gedancken, nicht auf die obedientiam an. In Holland ſind allerhand Secten; wenn geſagt wird: ſummo principi pa- rendum eſt, ſummo principi pendenda ſunt tributa, ſo ſind alle d’accord. Aber in credendis wollen ſie eine Freyheit haben und vor dieſe Freyheit fechten ſie. Sie haben auch ein jus quæſitum dieſe Freyheit zu defendiren. Videatur ora- tio mea de libertate religionis, welche in Leipzig nachgedruckt worden, it. Noodts Oratio de religione Jur. Gent. Libera. It. VVehrenfelſii diſſ. de libertate conſcientiarum, welcher mit groſſer Beſcheidenheit alle dubia be- antwortet. Da wir ohnedem zugeben, daß keine Religion kan beſtoh- len werden, ſo kan man auch hier den ſpiritum perſecutionis nicht anneh- men. Es heiſſet ja ſcrutamini und zwar cum cura, es kau leicht kommen, daß einer auf Abwege geraͤth per interpretationes, wo eine Sache nicht recht

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/370>, abgerufen am 24.11.2024.