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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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De variis hominum Statibus.
das gantze menschliche Geschlecht von 7. Personen herkömmt; anfänglich
die Geschwister haben müssen einander heyrathen. Sind nun 3. Schwe-
stern da gewesen, Maria, Catharina, Sophia, einem hat die Sophia
besser angestanden, als die andern beyden, so haben ihn die andern ge-
neidet. Dann mit der Sophia will ich mich conjungere arctissime, das
verdrießt die andern. Es sind auch offt differente Gesichter: Denn
nichts in der Welt ist einander gleich, und hat Leibniz gewiesen, daß
so gar kein Blat auf einem Baum dem andern gleich. Weil also die
Menschen different sind, so ist eine invidia entstanden. Im Arbeiten
war auch ein grosser Unterscheid; einer ist faul, der andere fleißig; sie
haben weiter geheyrathet, dadurch haben sie sich segregirt, und sind im-
mer neue Familien entstanden, neue patres, filii, &c. Eo ipso aber, cum
segreges agere incipiebant,
haben sie dominia etabliret. So ist das
dominium in die Welt kommen. Denn wer sein eigen Feuer und Herd
hat, sein eigen Feld und Vieh, der will dominus seyn. Darinnen aber
bestehet das dominium, ut caeteros excludam. Wie es nun bey denen
ersten Familien gegangen ist, so ist es auch mit denen andern beschaffen
gewesen: Denn unsere Affecten continuiren immer. Meum & tuum pa-
rit omne bellum.
Es könte aber einer sagen, da ein jeder was eigenes
gehabt, dum segregarunt sese, wie es müglich gewesen, daß sie nicht ru-
hig können leben. Resp. Die segregatio familiarum ist zwar geschehen,
und dadurch ist die Welt erfüllet worden. Nun ist die Welt zwar groß,
aber wir gehen nicht gerne aus einander. Es muß einer eine grosse re-
solution
fassen, wenn er will weit weggehen; die meisten aber bleiben
gerne in der Nähe. Daher ob sie sich gantz segregiret, so ist hernach,
da die Familien vermehret worden, wieder eine vicinitas entstanden,
wenn aber eine vicinitas da ist, so zancken sie, und wenn einer ruhig, so
sind doch viele andere da, welche unruhig sind. Der eine hat etwa ein
besser Land, bessere Früchte, so neidet ihn der andere, und will es gerne
haben, dazu ist das otium gekommen, daß viele Menschen nicht gerne
etwas thun wollen, welche hernach denen andern dasjenige was sie er-
worben, weggenommen. Wenn aber die Menschen einander delogiren
wollen, so dencken sie auf Gewalt, force. Denn so ist die Natur des
Menschen beschaffen, und hat Spinoza nicht unrecht, wenn er sagt, das
sey des Menschen Natur. Darinnen aber irret er sich, wenn er meynet,
das sey das Jus Nat. Der Mensch agirt nach seinem instinctu, als wie
ein Kind, welches nicht verstehet, was meum und tuum, sondern alles
haben will. Wenn ich aber force brauchen will, so siehet ein jeder
Mensch, daß was ich nicht alleine kan thun, suche ich durch andere Men-

schen
E 2

De variis hominum Statibus.
das gantze menſchliche Geſchlecht von 7. Perſonen herkoͤmmt; anfaͤnglich
die Geſchwiſter haben muͤſſen einander heyrathen. Sind nun 3. Schwe-
ſtern da geweſen, Maria, Catharina, Sophia, einem hat die Sophia
beſſer angeſtanden, als die andern beyden, ſo haben ihn die andern ge-
neidet. Dann mit der Sophia will ich mich conjungere arctiſſime, das
verdrießt die andern. Es ſind auch offt differente Geſichter: Denn
nichts in der Welt iſt einander gleich, und hat Leibniz gewieſen, daß
ſo gar kein Blat auf einem Baum dem andern gleich. Weil alſo die
Menſchen different ſind, ſo iſt eine invidia entſtanden. Im Arbeiten
war auch ein groſſer Unterſcheid; einer iſt faul, der andere fleißig; ſie
haben weiter geheyrathet, dadurch haben ſie ſich ſegregirt, und ſind im-
mer neue Familien entſtanden, neue patres, filii, &c. Eo ipſo aber, cum
ſegreges agere incipiebant,
haben ſie dominia etabliret. So iſt das
dominium in die Welt kommen. Denn wer ſein eigen Feuer und Herd
hat, ſein eigen Feld und Vieh, der will dominus ſeyn. Darinnen aber
beſtehet das dominium, ut cæteros excludam. Wie es nun bey denen
erſten Familien gegangen iſt, ſo iſt es auch mit denen andern beſchaffen
geweſen: Denn unſere Affecten continuiren immer. Meum & tuum pa-
rit omne bellum.
Es koͤnte aber einer ſagen, da ein jeder was eigenes
gehabt, dum ſegregarunt ſeſe, wie es muͤglich geweſen, daß ſie nicht ru-
hig koͤnnen leben. Reſp. Die ſegregatio familiarum iſt zwar geſchehen,
und dadurch iſt die Welt erfuͤllet worden. Nun iſt die Welt zwar groß,
aber wir gehen nicht gerne aus einander. Es muß einer eine groſſe re-
ſolution
faſſen, wenn er will weit weggehen; die meiſten aber bleiben
gerne in der Naͤhe. Daher ob ſie ſich gantz ſegregiret, ſo iſt hernach,
da die Familien vermehret worden, wieder eine vicinitas entſtanden,
wenn aber eine vicinitas da iſt, ſo zancken ſie, und wenn einer ruhig, ſo
ſind doch viele andere da, welche unruhig ſind. Der eine hat etwa ein
beſſer Land, beſſere Fruͤchte, ſo neidet ihn der andere, und will es gerne
haben, dazu iſt das otium gekommen, daß viele Menſchen nicht gerne
etwas thun wollen, welche hernach denen andern dasjenige was ſie er-
worben, weggenommen. Wenn aber die Menſchen einander delogiren
wollen, ſo dencken ſie auf Gewalt, force. Denn ſo iſt die Natur des
Menſchen beſchaffen, und hat Spinoza nicht unrecht, wenn er ſagt, das
ſey des Menſchen Natur. Darinnen aber irret er ſich, wenn er meynet,
das ſey das Jus Nat. Der Menſch agirt nach ſeinem inſtinctu, als wie
ein Kind, welches nicht verſtehet, was meum und tuum, ſondern alles
haben will. Wenn ich aber force brauchen will, ſo ſiehet ein jeder
Menſch, daß was ich nicht alleine kan thun, ſuche ich durch andere Men-

ſchen
E 2
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[35/0055] De variis hominum Statibus. das gantze menſchliche Geſchlecht von 7. Perſonen herkoͤmmt; anfaͤnglich die Geſchwiſter haben muͤſſen einander heyrathen. Sind nun 3. Schwe- ſtern da geweſen, Maria, Catharina, Sophia, einem hat die Sophia beſſer angeſtanden, als die andern beyden, ſo haben ihn die andern ge- neidet. Dann mit der Sophia will ich mich conjungere arctiſſime, das verdrießt die andern. Es ſind auch offt differente Geſichter: Denn nichts in der Welt iſt einander gleich, und hat Leibniz gewieſen, daß ſo gar kein Blat auf einem Baum dem andern gleich. Weil alſo die Menſchen different ſind, ſo iſt eine invidia entſtanden. Im Arbeiten war auch ein groſſer Unterſcheid; einer iſt faul, der andere fleißig; ſie haben weiter geheyrathet, dadurch haben ſie ſich ſegregirt, und ſind im- mer neue Familien entſtanden, neue patres, filii, &c. Eo ipſo aber, cum ſegreges agere incipiebant, haben ſie dominia etabliret. So iſt das dominium in die Welt kommen. Denn wer ſein eigen Feuer und Herd hat, ſein eigen Feld und Vieh, der will dominus ſeyn. Darinnen aber beſtehet das dominium, ut cæteros excludam. Wie es nun bey denen erſten Familien gegangen iſt, ſo iſt es auch mit denen andern beſchaffen geweſen: Denn unſere Affecten continuiren immer. Meum & tuum pa- rit omne bellum. Es koͤnte aber einer ſagen, da ein jeder was eigenes gehabt, dum ſegregarunt ſeſe, wie es muͤglich geweſen, daß ſie nicht ru- hig koͤnnen leben. Reſp. Die ſegregatio familiarum iſt zwar geſchehen, und dadurch iſt die Welt erfuͤllet worden. Nun iſt die Welt zwar groß, aber wir gehen nicht gerne aus einander. Es muß einer eine groſſe re- ſolution faſſen, wenn er will weit weggehen; die meiſten aber bleiben gerne in der Naͤhe. Daher ob ſie ſich gantz ſegregiret, ſo iſt hernach, da die Familien vermehret worden, wieder eine vicinitas entſtanden, wenn aber eine vicinitas da iſt, ſo zancken ſie, und wenn einer ruhig, ſo ſind doch viele andere da, welche unruhig ſind. Der eine hat etwa ein beſſer Land, beſſere Fruͤchte, ſo neidet ihn der andere, und will es gerne haben, dazu iſt das otium gekommen, daß viele Menſchen nicht gerne etwas thun wollen, welche hernach denen andern dasjenige was ſie er- worben, weggenommen. Wenn aber die Menſchen einander delogiren wollen, ſo dencken ſie auf Gewalt, force. Denn ſo iſt die Natur des Menſchen beſchaffen, und hat Spinoza nicht unrecht, wenn er ſagt, das ſey des Menſchen Natur. Darinnen aber irret er ſich, wenn er meynet, das ſey das Jus Nat. Der Menſch agirt nach ſeinem inſtinctu, als wie ein Kind, welches nicht verſtehet, was meum und tuum, ſondern alles haben will. Wenn ich aber force brauchen will, ſo ſiehet ein jeder Menſch, daß was ich nicht alleine kan thun, ſuche ich durch andere Men- ſchen E 2

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/55>, abgerufen am 24.11.2024.