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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. II.
die Geistlichen auf die verfluchte rationem Status schmälen. Man-
che nehmen bisweilen das Wort ratio Status so, daß sie darunter verste-
hen böse Künste, artes Macchiavellisticas, oder wie es Aristoteles genen-
net, vitia dominationis. Weil man eine Pseudo-Politicam hat, so hat
man auch eine Pseudo-rationem Status. (de quibus pluribus infra agen-
dum.)
Es ist bekannt, daß Gabriel Naudaeus * einen Tractat geschrieben,
les Coups d'Etat, ** darinnen er gewiesen, wie bisweilen extraordina-
ria ratione
eine Republic müsse erhalten werden, und also auch extraordi-
naria media
müssen gebrauchet werden. Diese extraordinaria media
frappi
ren die sensus, und machen eine ausserordentliche impression: denn
sie sind rariora. Man wird leicht begreiffen, daß man auch ausseror-
dentliche Mittel nehmen könne; aber ordinarium praesumitur, ordinarium
quaeritur, rarum vero non praesumitur.
Diese extraordinaria media nen-
nen auch einige Raisons d' Etat, und meynen, es wäre eine Pseudo-Poli-
tica,
wie Feller eine solche Politicam sceleratam edirt. Diese Staats-
Streiche aber oder extraordinaria media gehören keinesweges ad Politi-
cam sceleratam.
Ein Exempel zu geben, wie man diese Staats-Streiche
anbringen könne, so ist zu mercken, wenn einer wegen eines criminis an-
geklaget wird, so formirt man einen rechten proceß, und läßt alles or-
dentlich zugehen, ehe er condemniret wird; nun ist die Frage, wenn
periculum in mora; der Princeps wäre in äusserster Gefahr, wenn er einen
ordentlichen proceß formiren wollte, ob er nicht ohne proceß extra ordi-
nem
bey einem Menschen, welcher ein crimen perduellionis begangen,
könne verfahren, welches wir finden, bey dem General VVallenstein, wel-
chen Ferdinandus II. zu Eger lassen umbringen. Diese extraordinaria re-
media
nennet aber Naudaeus Staats-Streiche, die Leute, so es nicht ver-
stehen, und nicht im Cabinet gewesen, halten das vor eine Gottlosigkeit,
und schmälen auf die Rationem Status, da man einen unverhörter Sa-
che liesse ums Leben bringen. Der König Johannes von Portugall brach-
te auf diese Weise auch des Emanuelis von Portugall Vater um. Osorius
sagt, wer das Ding siehet in vita Emanuelis, der denckt, es sey was böses
gewesen, aber es war recht. Hätte der Johannes länger gewartet, so

wä-
* Naudaeus war erst bey dem Cardinal Barberini in Rom Bibliothecarius, nachgehends
bey dem Cardinal Mazarini in Franckreich in gleicher Bedienung; Er war ein
gelehrter Mann, und wäre zu wünschen, daß man seine Schrifften liesse zu-
sammen drucken. Sein Tract. de re militari in Rom gedruckt, ist auch ein
vortrefflich Buch.
** In Leipzig ist er auch ins Teutsche übersetzet worden, aber sehr schlecht, der Ubersetzer
ist blind gewesen, und hat es sich lassen vorlesen, da kan es wohl seyn, daß ihm
vieles nicht recht vorgelesen worden.

Cap. II.
die Geiſtlichen auf die verfluchte rationem Status ſchmaͤlen. Man-
che nehmen bisweilen das Wort ratio Status ſo, daß ſie darunter verſte-
hen boͤſe Kuͤnſte, artes Macchiavelliſticas, oder wie es Ariſtoteles genen-
net, vitia dominationis. Weil man eine Pſeudo-Politicam hat, ſo hat
man auch eine Pſeudo-rationem Status. (de quibus pluribus infra agen-
dum.)
Es iſt bekannt, daß Gabriel Naudæus * einen Tractat geſchrieben,
les Coups d’Etat, ** darinnen er gewieſen, wie bisweilen extraordina-
ria ratione
eine Republic muͤſſe erhalten werden, und alſo auch extraordi-
naria media
muͤſſen gebrauchet werden. Dieſe extraordinaria media
frappi
ren die ſenſus, und machen eine auſſerordentliche impreſſion: denn
ſie ſind rariora. Man wird leicht begreiffen, daß man auch auſſeror-
dentliche Mittel nehmen koͤnne; aber ordinarium præſumitur, ordinarium
quæritur, rarum vero non præſumitur.
Dieſe extraordinaria media nen-
nen auch einige Raiſons d’ Etat, und meynen, es waͤre eine Pſeudo-Poli-
tica,
wie Feller eine ſolche Politicam ſceleratam edirt. Dieſe Staats-
Streiche aber oder extraordinaria media gehoͤren keinesweges ad Politi-
cam ſceleratam.
Ein Exempel zu geben, wie man dieſe Staats-Streiche
anbringen koͤnne, ſo iſt zu mercken, wenn einer wegen eines criminis an-
geklaget wird, ſo formirt man einen rechten proceß, und laͤßt alles or-
dentlich zugehen, ehe er condemniret wird; nun iſt die Frage, wenn
periculum in mora; der Princeps waͤre in aͤuſſerſter Gefahr, wenn er einen
ordentlichen proceß formiren wollte, ob er nicht ohne proceß extra ordi-
nem
bey einem Menſchen, welcher ein crimen perduellionis begangen,
koͤnne verfahren, welches wir finden, bey dem General VVallenſtein, wel-
chen Ferdinandus II. zu Eger laſſen umbringen. Dieſe extraordinaria re-
media
nennet aber Naudæus Staats-Streiche, die Leute, ſo es nicht ver-
ſtehen, und nicht im Cabinet geweſen, halten das vor eine Gottloſigkeit,
und ſchmaͤlen auf die Rationem Status, da man einen unverhoͤrter Sa-
che lieſſe ums Leben bringen. Der Koͤnig Johannes von Portugall brach-
te auf dieſe Weiſe auch des Emanuelis von Portugall Vater um. Oſorius
ſagt, wer das Ding ſiehet in vita Emanuelis, der denckt, es ſey was boͤſes
geweſen, aber es war recht. Haͤtte der Johannes laͤnger gewartet, ſo

waͤ-
* Naudæus war erſt bey dem Cardinal Barberini in Rom Bibliothecarius, nachgehends
bey dem Cardinal Mazarini in Franckreich in gleicher Bedienung; Er war ein
gelehrter Mann, und waͤre zu wuͤnſchen, daß man ſeine Schrifften lieſſe zu-
ſammen drucken. Sein Tract. de re militari in Rom gedruckt, iſt auch ein
vortrefflich Buch.
** In Leipzig iſt er auch ins Teutſche uͤberſetzet worden, aber ſehr ſchlecht, der Uberſetzer
iſt blind geweſen, und hat es ſich laſſen vorleſen, da kan es wohl ſeyn, daß ihm
vieles nicht recht vorgeleſen worden.
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[54/0074] Cap. II. die Geiſtlichen auf die verfluchte rationem Status ſchmaͤlen. Man- che nehmen bisweilen das Wort ratio Status ſo, daß ſie darunter verſte- hen boͤſe Kuͤnſte, artes Macchiavelliſticas, oder wie es Ariſtoteles genen- net, vitia dominationis. Weil man eine Pſeudo-Politicam hat, ſo hat man auch eine Pſeudo-rationem Status. (de quibus pluribus infra agen- dum.) Es iſt bekannt, daß Gabriel Naudæus * einen Tractat geſchrieben, les Coups d’Etat, ** darinnen er gewieſen, wie bisweilen extraordina- ria ratione eine Republic muͤſſe erhalten werden, und alſo auch extraordi- naria media muͤſſen gebrauchet werden. Dieſe extraordinaria media frappiren die ſenſus, und machen eine auſſerordentliche impreſſion: denn ſie ſind rariora. Man wird leicht begreiffen, daß man auch auſſeror- dentliche Mittel nehmen koͤnne; aber ordinarium præſumitur, ordinarium quæritur, rarum vero non præſumitur. Dieſe extraordinaria media nen- nen auch einige Raiſons d’ Etat, und meynen, es waͤre eine Pſeudo-Poli- tica, wie Feller eine ſolche Politicam ſceleratam edirt. Dieſe Staats- Streiche aber oder extraordinaria media gehoͤren keinesweges ad Politi- cam ſceleratam. Ein Exempel zu geben, wie man dieſe Staats-Streiche anbringen koͤnne, ſo iſt zu mercken, wenn einer wegen eines criminis an- geklaget wird, ſo formirt man einen rechten proceß, und laͤßt alles or- dentlich zugehen, ehe er condemniret wird; nun iſt die Frage, wenn periculum in mora; der Princeps waͤre in aͤuſſerſter Gefahr, wenn er einen ordentlichen proceß formiren wollte, ob er nicht ohne proceß extra ordi- nem bey einem Menſchen, welcher ein crimen perduellionis begangen, koͤnne verfahren, welches wir finden, bey dem General VVallenſtein, wel- chen Ferdinandus II. zu Eger laſſen umbringen. Dieſe extraordinaria re- media nennet aber Naudæus Staats-Streiche, die Leute, ſo es nicht ver- ſtehen, und nicht im Cabinet geweſen, halten das vor eine Gottloſigkeit, und ſchmaͤlen auf die Rationem Status, da man einen unverhoͤrter Sa- che lieſſe ums Leben bringen. Der Koͤnig Johannes von Portugall brach- te auf dieſe Weiſe auch des Emanuelis von Portugall Vater um. Oſorius ſagt, wer das Ding ſiehet in vita Emanuelis, der denckt, es ſey was boͤſes geweſen, aber es war recht. Haͤtte der Johannes laͤnger gewartet, ſo waͤ- * Naudæus war erſt bey dem Cardinal Barberini in Rom Bibliothecarius, nachgehends bey dem Cardinal Mazarini in Franckreich in gleicher Bedienung; Er war ein gelehrter Mann, und waͤre zu wuͤnſchen, daß man ſeine Schrifften lieſſe zu- ſammen drucken. Sein Tract. de re militari in Rom gedruckt, iſt auch ein vortrefflich Buch. ** In Leipzig iſt er auch ins Teutſche uͤberſetzet worden, aber ſehr ſchlecht, der Uberſetzer iſt blind geweſen, und hat es ſich laſſen vorleſen, da kan es wohl ſeyn, daß ihm vieles nicht recht vorgeleſen worden.

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/74>, abgerufen am 26.11.2024.