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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. III. De Incommodis,
2.) in dem Sta-
tu adventitio,

und insonder-
heit zwischen
Ehe-Leuten.

§. 4. 5. Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sey, welches wir
nicht allein in der Bibel finden, sondern es kan auch ein jeder gar leicht
solches mit seiner Vernunfft assequiren. Daher sagt der Autor, da der
Mensch siehet, daß vita Solitaria sich nicht vor ihm schicke; so soll er in
Societate
leben cum aliis. Und wenn ich den Menschen ansehe, als tu-
gendhafft, so nutzt es ihm freylich nicht so viel, si solus sit, sondern es
wird sein Leben versüsset, si plures sint, quibus una esse possit. Es wür-
de auch das menschliche Geschlecht gar nicht bestehen können, wenn ein
jeder wollte vor sich leben. Weil nun die societas eine neue obligation
wircket gegen andere, ohne welche ich wenigstens nicht commode seyn
kan; so entstehet daher eine obligatio composita, die eine obligatio gehet
auf mich, ut caste, sobrie, temperanter vivam; die andere aber gehet ge-
gen andere Menschen. Da aber die Menschen von der obligatione ab-
gehen, und andere Menschen nicht so respiciren, als sich selbsten; so
negligiren sie aequitatem. Dadurch ist es geschehen, daß man denen
Menschen wollen per Societates ein remedium schaffen, besser zu leben,
und daß auch gloria Dei eher soll promoviret werden, so sind ihnen die
Societates zur Lust worden. Daher hat Pere Lamy in seiner Theologia
Morali
* gesagt: Hobesius wäre sonst ein Mann, welcher paradoxe prin-
cipia
habe; aber hier habe er gantz recht, wenn er meyne, der Mensch
habe eine natürliche inclination ad Societates, und würde nicht froh seyn,
wenn er alleine wäre, und von Engeln bedienet würde. Auch die Laster-
hafften Menschen incliniren ad Societates. Ein homo avarus will gerne
andere Menschen um sich haben: Denn er will gerne schachern, und an-
dere betriegen. Einen Wollüstigen ist es der Tod, wenn er soll alleine
seyn. In abstracto hat es also gar wohl seine Richtigkeit, daß die Men-
*

schen
* Sie ist Frantzösisch per Dialogos geschrieben. Es ist Schade, daß es nicht ein
recht Systema; aber er hat es mit Fleiß gethan, um sich nicht in der Reli-
gion verdächtig zu machen. Dieser Bernhard Lamy war ein Pater Oratorii
in Franckreich, und muß man ihm unterscheiden von dem Francisco Lamy,
einen Benedictiner Mönch. Er war ein Moralist, ein Theologus, Chrono-
logus.
Dieser hat auch l'art de parler geschrieben.
* er recht hätte studirt, so aber war er nur ein Soldat; durch sein böses Maul
aber hat er verursachet, daß er aus Franckreich heraus müssen gehen. Denn
er hat den König in Franckreich und den Mazarin satyrisiret in seinem Buch,
welches er von dem Pyraenaeischen Frieden geschrieben Sub tit. la paix ridule.
Sie haben ihn auch in Franckreich nicht wollen pardoniren, daher ist er nur
herum vagirt, und bald in Holland, bald in Engeland gewesen. Auf die
letzte hat ihm König William in Engeland eine pension gegeben, daß er die
Enten vor seinen Palais gefüttert, er ist über 90. Jahr alt worden
Cap. III. De Incommodis,
2.) in dem Sta-
tu adventitio,

und inſonder-
heit zwiſchen
Ehe-Leuten.

§. 4. 5. Es iſt nicht gut, daß der Menſch alleine ſey, welches wir
nicht allein in der Bibel finden, ſondern es kan auch ein jeder gar leicht
ſolches mit ſeiner Vernunfft aſſequiren. Daher ſagt der Autor, da der
Menſch ſiehet, daß vita Solitaria ſich nicht vor ihm ſchicke; ſo ſoll er in
Societate
leben cum aliis. Und wenn ich den Menſchen anſehe, als tu-
gendhafft, ſo nutzt es ihm freylich nicht ſo viel, ſi ſolus ſit, ſondern es
wird ſein Leben verſuͤſſet, ſi plures ſint, quibus una eſſe poſſit. Es wuͤr-
de auch das menſchliche Geſchlecht gar nicht beſtehen koͤnnen, wenn ein
jeder wollte vor ſich leben. Weil nun die ſocietas eine neue obligation
wircket gegen andere, ohne welche ich wenigſtens nicht commode ſeyn
kan; ſo entſtehet daher eine obligatio compoſita, die eine obligatio gehet
auf mich, ut caſte, ſobrie, temperanter vivam; die andere aber gehet ge-
gen andere Menſchen. Da aber die Menſchen von der obligatione ab-
gehen, und andere Menſchen nicht ſo reſpiciren, als ſich ſelbſten; ſo
negligiren ſie æquitatem. Dadurch iſt es geſchehen, daß man denen
Menſchen wollen per Societates ein remedium ſchaffen, beſſer zu leben,
und daß auch gloria Dei eher ſoll promoviret werden, ſo ſind ihnen die
Societates zur Luſt worden. Daher hat Pere Lamy in ſeiner Theologia
Morali
* geſagt: Hobeſius waͤre ſonſt ein Mann, welcher paradoxe prin-
cipia
habe; aber hier habe er gantz recht, wenn er meyne, der Menſch
habe eine natuͤrliche inclination ad Societates, und wuͤrde nicht froh ſeyn,
wenn er alleine waͤre, und von Engeln bedienet wuͤrde. Auch die Laſter-
hafften Menſchen incliniren ad Societates. Ein homo avarus will gerne
andere Menſchen um ſich haben: Denn er will gerne ſchachern, und an-
dere betriegen. Einen Wolluͤſtigen iſt es der Tod, wenn er ſoll alleine
ſeyn. In abſtracto hat es alſo gar wohl ſeine Richtigkeit, daß die Men-
*

ſchen
* Sie iſt Frantzoͤſiſch per Dialogos geſchrieben. Es iſt Schade, daß es nicht ein
recht Syſtema; aber er hat es mit Fleiß gethan, um ſich nicht in der Reli-
gion verdaͤchtig zu machen. Dieſer Bernhard Lamy war ein Pater Oratorii
in Franckreich, und muß man ihm unterſcheiden von dem Franciſco Lamy,
einen Benedictiner Moͤnch. Er war ein Moraliſt, ein Theologus, Chrono-
logus.
Dieſer hat auch l’art de parler geſchrieben.
* er recht haͤtte ſtudirt, ſo aber war er nur ein Soldat; durch ſein boͤſes Maul
aber hat er verurſachet, daß er aus Franckreich heraus muͤſſen gehen. Denn
er hat den Koͤnig in Franckreich und den Mazarin ſatyriſiret in ſeinem Buch,
welches er von dem Pyrænæiſchen Frieden geſchrieben Sub tit. la paix ridule.
Sie haben ihn auch in Franckreich nicht wollen pardoniren, daher iſt er nur
herum vagirt, und bald in Holland, bald in Engeland geweſen. Auf die
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[62/0082] Cap. III. De Incommodis, §. 4. 5. Es iſt nicht gut, daß der Menſch alleine ſey, welches wir nicht allein in der Bibel finden, ſondern es kan auch ein jeder gar leicht ſolches mit ſeiner Vernunfft aſſequiren. Daher ſagt der Autor, da der Menſch ſiehet, daß vita Solitaria ſich nicht vor ihm ſchicke; ſo ſoll er in Societate leben cum aliis. Und wenn ich den Menſchen anſehe, als tu- gendhafft, ſo nutzt es ihm freylich nicht ſo viel, ſi ſolus ſit, ſondern es wird ſein Leben verſuͤſſet, ſi plures ſint, quibus una eſſe poſſit. Es wuͤr- de auch das menſchliche Geſchlecht gar nicht beſtehen koͤnnen, wenn ein jeder wollte vor ſich leben. Weil nun die ſocietas eine neue obligation wircket gegen andere, ohne welche ich wenigſtens nicht commode ſeyn kan; ſo entſtehet daher eine obligatio compoſita, die eine obligatio gehet auf mich, ut caſte, ſobrie, temperanter vivam; die andere aber gehet ge- gen andere Menſchen. Da aber die Menſchen von der obligatione ab- gehen, und andere Menſchen nicht ſo reſpiciren, als ſich ſelbſten; ſo negligiren ſie æquitatem. Dadurch iſt es geſchehen, daß man denen Menſchen wollen per Societates ein remedium ſchaffen, beſſer zu leben, und daß auch gloria Dei eher ſoll promoviret werden, ſo ſind ihnen die Societates zur Luſt worden. Daher hat Pere Lamy in ſeiner Theologia Morali * geſagt: Hobeſius waͤre ſonſt ein Mann, welcher paradoxe prin- cipia habe; aber hier habe er gantz recht, wenn er meyne, der Menſch habe eine natuͤrliche inclination ad Societates, und wuͤrde nicht froh ſeyn, wenn er alleine waͤre, und von Engeln bedienet wuͤrde. Auch die Laſter- hafften Menſchen incliniren ad Societates. Ein homo avarus will gerne andere Menſchen um ſich haben: Denn er will gerne ſchachern, und an- dere betriegen. Einen Wolluͤſtigen iſt es der Tod, wenn er ſoll alleine ſeyn. In abſtracto hat es alſo gar wohl ſeine Richtigkeit, daß die Men- ſchen * * Sie iſt Frantzoͤſiſch per Dialogos geſchrieben. Es iſt Schade, daß es nicht ein recht Syſtema; aber er hat es mit Fleiß gethan, um ſich nicht in der Reli- gion verdaͤchtig zu machen. Dieſer Bernhard Lamy war ein Pater Oratorii in Franckreich, und muß man ihm unterſcheiden von dem Franciſco Lamy, einen Benedictiner Moͤnch. Er war ein Moraliſt, ein Theologus, Chrono- logus. Dieſer hat auch l’art de parler geſchrieben. * er recht haͤtte ſtudirt, ſo aber war er nur ein Soldat; durch ſein boͤſes Maul aber hat er verurſachet, daß er aus Franckreich heraus muͤſſen gehen. Denn er hat den Koͤnig in Franckreich und den Mazarin ſatyriſiret in ſeinem Buch, welches er von dem Pyrænæiſchen Frieden geſchrieben Sub tit. la paix ridule. Sie haben ihn auch in Franckreich nicht wollen pardoniren, daher iſt er nur herum vagirt, und bald in Holland, bald in Engeland geweſen. Auf die letzte hat ihm Koͤnig William in Engeland eine penſion gegeben, daß er die Enten vor ſeinen Palais gefuͤttert, er iſt uͤber 90. Jahr alt worden

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/82>, abgerufen am 27.11.2024.