ziehung, wobey sich jedes Kind leicht an ei- ne gewisse bestimmte Behandlung gewöhnt und jede andere sehr übel findet und aufnimmt; so ist das Spiel das vortrefflichste und sichtbar wirk- samste Mittel. Dieser Fehler weicht nicht der ver- nünftigen Vorstellung und Überredung, sondern bloss der Übung und Erfahrung; Knaben der Art müssen häufig aufgezogen, belacht, über ihre Empfindlichkeit besonders von ihres Gleichen ge- tadelt und geneckt werden, nicht vorsetzlich, aber wohl durch den natürlichen Anlass eines Spiels.
6. Um die Herzen der Kinder zu gewinnen, spiele man mit ihnen; der immer ernste, ermah- nende Ton kann wohl Hochachtung und Ehr- furcht erwecken, aber nicht so leicht das Herz für natürliche, unbefangene Freundschaft und Of- fenherzigkeit aufschliessen. Am offensten ist man immer nur gegen seines Gleichen; die eigen- thümliche Gesinnung der Aeltern und der höhern Classe machen uns zurückhaltender, darum ge- sellt sich Gleich so gern zu Gleichem. Durch Spiele nähert sich der Erzieher der Jugend, sie öffnet ihm ihr Herz um so mehr, je näher er kommt, sie handelt freyer, wenn sie in ihm den Gespielen erblickt, und er findet Gelegenheit zu Erinnerungen die beym Studiren nicht ver- anlasst werden würden. Überdem aber sind Er- innerungen um so fruchtbringender je gleicher
B 5
ziehung, wobey ſich jedes Kind leicht an ei- ne gewiſſe beſtimmte Behandlung gewöhnt und jede andere ſehr übel findet und aufnimmt; ſo iſt das Spiel das vortrefflichſte und ſichtbar wirk- ſamſte Mittel. Dieſer Fehler weicht nicht der ver- nünftigen Vorſtellung und Überredung, ſondern bloſs der Übung und Erfahrung; Knaben der Art müſſen häufig aufgezogen, belacht, über ihre Empfindlichkeit beſonders von ihres Gleichen ge- tadelt und geneckt werden, nicht vorſetzlich, aber wohl durch den natürlichen Anlaſs eines Spiels.
6. Um die Herzen der Kinder zu gewinnen, ſpiele man mit ihnen; der immer ernſte, ermah- nende Ton kann wohl Hochachtung und Ehr- furcht erwecken, aber nicht ſo leicht das Herz für natürliche, unbefangene Freundſchaft und Of- fenherzigkeit aufſchlieſsen. Am offenſten iſt man immer nur gegen ſeines Gleichen; die eigen- thümliche Geſinnung der Aeltern und der höhern Claſſe machen uns zurückhaltender, darum ge- ſellt ſich Gleich ſo gern zu Gleichem. Durch Spiele nähert ſich der Erzieher der Jugend, ſie öffnet ihm ihr Herz um ſo mehr, je näher er kommt, ſie handelt freyer, wenn ſie in ihm den Geſpielen erblickt, und er findet Gelegenheit zu Erinnerungen die beym Studiren nicht ver- anlaſst werden würden. Überdem aber ſind Er- innerungen um ſo fruchtbringender je gleicher
B 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0057"n="25"/>
ziehung, wobey ſich jedes Kind leicht an ei-<lb/>
ne gewiſſe beſtimmte Behandlung gewöhnt und<lb/>
jede andere ſehr übel findet und aufnimmt; ſo<lb/>
iſt das Spiel das vortrefflichſte und ſichtbar wirk-<lb/>ſamſte Mittel. Dieſer Fehler weicht nicht der ver-<lb/>
nünftigen Vorſtellung und Überredung, ſondern<lb/>
bloſs der Übung und Erfahrung; Knaben der Art<lb/>
müſſen häufig aufgezogen, belacht, über ihre<lb/>
Empfindlichkeit beſonders von <hirendition="#i">ihres Gleichen</hi> ge-<lb/>
tadelt und geneckt werden, nicht vorſetzlich, aber<lb/>
wohl durch den natürlichen Anlaſs eines Spiels.</p><lb/><p>6. Um die Herzen der Kinder zu gewinnen,<lb/>ſpiele man mit ihnen; der immer ernſte, ermah-<lb/>
nende Ton kann wohl Hochachtung und Ehr-<lb/>
furcht erwecken, aber nicht ſo leicht das Herz<lb/>
für natürliche, unbefangene Freundſchaft und Of-<lb/>
fenherzigkeit aufſchlieſsen. Am offenſten iſt man<lb/>
immer nur gegen ſeines Gleichen; die eigen-<lb/>
thümliche Geſinnung der Aeltern und der höhern<lb/>
Claſſe machen uns zurückhaltender, darum ge-<lb/>ſellt ſich Gleich ſo gern zu Gleichem. Durch<lb/>
Spiele <hirendition="#i">nähert</hi>ſich der Erzieher der Jugend, ſie<lb/>
öffnet ihm ihr Herz um ſo mehr, je näher er<lb/>
kommt, ſie handelt freyer, wenn ſie in ihm den<lb/>
Geſpielen erblickt, und er findet Gelegenheit<lb/>
zu Erinnerungen die beym Studiren nicht ver-<lb/>
anlaſst werden würden. Überdem aber ſind Er-<lb/>
innerungen um ſo fruchtbringender je gleicher<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 5</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0057]
ziehung, wobey ſich jedes Kind leicht an ei-
ne gewiſſe beſtimmte Behandlung gewöhnt und
jede andere ſehr übel findet und aufnimmt; ſo
iſt das Spiel das vortrefflichſte und ſichtbar wirk-
ſamſte Mittel. Dieſer Fehler weicht nicht der ver-
nünftigen Vorſtellung und Überredung, ſondern
bloſs der Übung und Erfahrung; Knaben der Art
müſſen häufig aufgezogen, belacht, über ihre
Empfindlichkeit beſonders von ihres Gleichen ge-
tadelt und geneckt werden, nicht vorſetzlich, aber
wohl durch den natürlichen Anlaſs eines Spiels.
6. Um die Herzen der Kinder zu gewinnen,
ſpiele man mit ihnen; der immer ernſte, ermah-
nende Ton kann wohl Hochachtung und Ehr-
furcht erwecken, aber nicht ſo leicht das Herz
für natürliche, unbefangene Freundſchaft und Of-
fenherzigkeit aufſchlieſsen. Am offenſten iſt man
immer nur gegen ſeines Gleichen; die eigen-
thümliche Geſinnung der Aeltern und der höhern
Claſſe machen uns zurückhaltender, darum ge-
ſellt ſich Gleich ſo gern zu Gleichem. Durch
Spiele nähert ſich der Erzieher der Jugend, ſie
öffnet ihm ihr Herz um ſo mehr, je näher er
kommt, ſie handelt freyer, wenn ſie in ihm den
Geſpielen erblickt, und er findet Gelegenheit
zu Erinnerungen die beym Studiren nicht ver-
anlaſst werden würden. Überdem aber ſind Er-
innerungen um ſo fruchtbringender je gleicher
B 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.