Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

für die richtige Auffassung Börne's auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist.

Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt' ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei

für die richtige Auffassung Börne’s auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist.

Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt’ ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0015" n="IX"/>
für die richtige Auffassung Börne&#x2019;s auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist.</p>
        <p>Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt&#x2019; ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IX/0015] für die richtige Auffassung Börne’s auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist. Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt’ ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/15
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/15>, abgerufen am 23.11.2024.