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Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

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geißelte die aristokratische Ruhe dieses Ueberglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaaßend, dasjenige, was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen. Börne trat auch nicht wie Menzel im Interesse andrer Richtungen, z. B. der Romantik auf, welcher die Goethen abgerissene Pracht und Herrlichkeit angeflickt werden sollte, sondern es war ein ursprüngliches, rein menschliches Gefühl, welches er durch Goethes Stellung in Deutschland an sich verletzt sahe. Er verlor sich nicht so wie Menzel in die frühsten Anfänge des Dichters, zergliederte nicht Goetz, Werther und Egmont schon in dem Geiste von 1819, sondern eben weil er diese Größe Goethen lassen mußte, war es ihm um so schmerzlicher, ihn nicht lieben zu können. Erst in der heftigen Aufregung, in die ihn die gehässige Aufnahme seiner ersten Pariser Briefe versetzte, ließ er sich gegen Goethe zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen. Die Kritik der Goethischen Tag- und Jahreshefte im dritten Band der Pariser Briefe ist nicht frei davon. Sie verwandelt das, was man an Goethe bemitleiden muß, in offenbar Hassenswürdiges; sie macht aus dem, was

geißelte die aristokratische Ruhe dieses Ueberglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaaßend, dasjenige, was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen. Börne trat auch nicht wie Menzel im Interesse andrer Richtungen, z. B. der Romantik auf, welcher die Goethen abgerissene Pracht und Herrlichkeit angeflickt werden sollte, sondern es war ein ursprüngliches, rein menschliches Gefühl, welches er durch Goethes Stellung in Deutschland an sich verletzt sahe. Er verlor sich nicht so wie Menzel in die frühsten Anfänge des Dichters, zergliederte nicht Goetz, Werther und Egmont schon in dem Geiste von 1819, sondern eben weil er diese Größe Goethen lassen mußte, war es ihm um so schmerzlicher, ihn nicht lieben zu können. Erst in der heftigen Aufregung, in die ihn die gehässige Aufnahme seiner ersten Pariser Briefe versetzte, ließ er sich gegen Goethe zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen. Die Kritik der Goethischen Tag- und Jahreshefte im dritten Band der Pariser Briefe ist nicht frei davon. Sie verwandelt das, was man an Goethe bemitleiden muß, in offenbar Hassenswürdiges; sie macht aus dem, was

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[109/0151] geißelte die aristokratische Ruhe dieses Ueberglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaaßend, dasjenige, was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen. Börne trat auch nicht wie Menzel im Interesse andrer Richtungen, z. B. der Romantik auf, welcher die Goethen abgerissene Pracht und Herrlichkeit angeflickt werden sollte, sondern es war ein ursprüngliches, rein menschliches Gefühl, welches er durch Goethes Stellung in Deutschland an sich verletzt sahe. Er verlor sich nicht so wie Menzel in die frühsten Anfänge des Dichters, zergliederte nicht Goetz, Werther und Egmont schon in dem Geiste von 1819, sondern eben weil er diese Größe Goethen lassen mußte, war es ihm um so schmerzlicher, ihn nicht lieben zu können. Erst in der heftigen Aufregung, in die ihn die gehässige Aufnahme seiner ersten Pariser Briefe versetzte, ließ er sich gegen Goethe zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen. Die Kritik der Goethischen Tag- und Jahreshefte im dritten Band der Pariser Briefe ist nicht frei davon. Sie verwandelt das, was man an Goethe bemitleiden muß, in offenbar Hassenswürdiges; sie macht aus dem, was

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/151>, abgerufen am 18.05.2024.