Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.Himmel, ist das eine solche Kleinigkeit, in einer Zeit, wo alles käuflich ist, Seele und Leib, Feder und Gedanke? Hier solltest du nicht stehn bleiben, solltest nicht weiter forschen und deinen Charakter nicht von innen heraus zu erfassen suchen? Gervinus wirft dieses Zugeständniß so hin und vergißt, daß es die meisten seiner pedantischen Ansichten über Börne schon an und für sich verdächtig macht. Das Verdächtigste aber ist, daß Gervinus hiedurch beweist, wie wenig er Sinn für Individualität, für Charakter hat. Dieser Literarhistoriker scheint in der That völlig unfähig, selbstständige Erscheinungen unter der Beleuchtung ihrer selbst aufzufassen. Von Börne springt er z. B. gleich auf Byron. Sie haben gewiß manches gemein, und doch wie ist jeder so ganz ein Anderer! Das kümmert diesen Kritiker nicht. Er macht den Einen für den Andern verantwortlich, macht sie beide zu zwei Stationen derselben Richtung, nimmt, um eine Thatsache zu beweisen, die Arme von Byron, die Füße von Börne, den Kopf von Victor Hugo, den Rumpf von Chateaubriand, gleichsam als hätte hier eine Verabredung stattgefunden. Freilich, wenn man aus einem Menschen immer gleich ganze Richtungen herleiten, aus einem Uebelthäter gleich ganze Verbrechercolonien machen will, Himmel, ist das eine solche Kleinigkeit, in einer Zeit, wo alles käuflich ist, Seele und Leib, Feder und Gedanke? Hier solltest du nicht stehn bleiben, solltest nicht weiter forschen und deinen Charakter nicht von innen heraus zu erfassen suchen? Gervinus wirft dieses Zugeständniß so hin und vergißt, daß es die meisten seiner pedantischen Ansichten über Börne schon an und für sich verdächtig macht. Das Verdächtigste aber ist, daß Gervinus hiedurch beweist, wie wenig er Sinn für Individualität, für Charakter hat. Dieser Literarhistoriker scheint in der That völlig unfähig, selbstständige Erscheinungen unter der Beleuchtung ihrer selbst aufzufassen. Von Börne springt er z. B. gleich auf Byron. Sie haben gewiß manches gemein, und doch wie ist jeder so ganz ein Anderer! Das kümmert diesen Kritiker nicht. Er macht den Einen für den Andern verantwortlich, macht sie beide zu zwei Stationen derselben Richtung, nimmt, um eine Thatsache zu beweisen, die Arme von Byron, die Füße von Börne, den Kopf von Victor Hugo, den Rumpf von Chateaubriand, gleichsam als hätte hier eine Verabredung stattgefunden. Freilich, wenn man aus einem Menschen immer gleich ganze Richtungen herleiten, aus einem Uebelthäter gleich ganze Verbrechercolonien machen will, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0268" n="226"/> Himmel, ist das eine solche Kleinigkeit, in einer Zeit, wo alles käuflich ist, Seele und Leib, Feder und Gedanke? Hier solltest du nicht stehn bleiben, solltest nicht weiter forschen und deinen Charakter nicht von innen heraus zu erfassen suchen? Gervinus wirft dieses Zugeständniß so hin und vergißt, daß es die meisten seiner pedantischen Ansichten über Börne schon an und für sich verdächtig macht. Das Verdächtigste aber ist, daß Gervinus hiedurch beweist, wie wenig er Sinn für Individualität, für Charakter hat. Dieser Literarhistoriker scheint in der That völlig unfähig, selbstständige Erscheinungen unter der Beleuchtung ihrer selbst aufzufassen. Von Börne springt er z. B. gleich auf Byron. Sie haben gewiß manches gemein, und doch wie ist jeder so ganz ein Anderer! Das kümmert diesen Kritiker nicht. Er macht den Einen für den Andern verantwortlich, macht sie beide zu zwei Stationen derselben Richtung, nimmt, um <hi rendition="#g">eine</hi> Thatsache zu beweisen, die Arme von Byron, die Füße von Börne, den Kopf von Victor Hugo, den Rumpf von Chateaubriand, gleichsam als hätte hier eine Verabredung stattgefunden. Freilich, wenn man aus <hi rendition="#g">einem</hi> Menschen immer gleich ganze Richtungen herleiten, aus <hi rendition="#g">einem</hi> Uebelthäter gleich ganze Verbrechercolonien machen will, </p> </div> </body> </text> </TEI> [226/0268]
Himmel, ist das eine solche Kleinigkeit, in einer Zeit, wo alles käuflich ist, Seele und Leib, Feder und Gedanke? Hier solltest du nicht stehn bleiben, solltest nicht weiter forschen und deinen Charakter nicht von innen heraus zu erfassen suchen? Gervinus wirft dieses Zugeständniß so hin und vergißt, daß es die meisten seiner pedantischen Ansichten über Börne schon an und für sich verdächtig macht. Das Verdächtigste aber ist, daß Gervinus hiedurch beweist, wie wenig er Sinn für Individualität, für Charakter hat. Dieser Literarhistoriker scheint in der That völlig unfähig, selbstständige Erscheinungen unter der Beleuchtung ihrer selbst aufzufassen. Von Börne springt er z. B. gleich auf Byron. Sie haben gewiß manches gemein, und doch wie ist jeder so ganz ein Anderer! Das kümmert diesen Kritiker nicht. Er macht den Einen für den Andern verantwortlich, macht sie beide zu zwei Stationen derselben Richtung, nimmt, um eine Thatsache zu beweisen, die Arme von Byron, die Füße von Börne, den Kopf von Victor Hugo, den Rumpf von Chateaubriand, gleichsam als hätte hier eine Verabredung stattgefunden. Freilich, wenn man aus einem Menschen immer gleich ganze Richtungen herleiten, aus einem Uebelthäter gleich ganze Verbrechercolonien machen will,
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