Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.lieber, einen Sperling in der Hand, als Hundert auf dem Dache zu haben. Doch auch von dieser mehr äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das Volk könne durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden - mochte seinem Gemüth eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell wieder etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung zum Theil wohl mit großem Unrecht als unsittlich erschien, wie seine Feuilletons im Reformateur und der Balance beweisen. Obgleich an diesem Mißverständniße selbst betheiligt, werd' ich jene religiöse Verklärung Börne's, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen den "kleinen Simson," der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte. Schon die Pariser Briefe verrathen eine für Börne's innerste Seelenstimmung sehr merkwürdige Stufenfolge. In den ersten Bänden der wilde Freiheitsjubel, der Uebermuth eines Genesenden, der sich zum ersten Male wieder einen Trunk Weins gestattet; lieber, einen Sperling in der Hand, als Hundert auf dem Dache zu haben. Doch auch von dieser mehr äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das Volk könne durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden – mochte seinem Gemüth eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell wieder etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung zum Theil wohl mit großem Unrecht als unsittlich erschien, wie seine Feuilletons im Reformateur und der Balance beweisen. Obgleich an diesem Mißverständniße selbst betheiligt, werd’ ich jene religiöse Verklärung Börne’s, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen den „kleinen Simson,“ der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte. Schon die Pariser Briefe verrathen eine für Börne’s innerste Seelenstimmung sehr merkwürdige Stufenfolge. In den ersten Bänden der wilde Freiheitsjubel, der Uebermuth eines Genesenden, der sich zum ersten Male wieder einen Trunk Weins gestattet; <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0301" n="259"/> lieber, einen Sperling in der Hand, als Hundert auf dem Dache zu haben. Doch auch von dieser mehr äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das <hi rendition="#g">Volk</hi> könne durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden – mochte seinem Gemüth eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell wieder etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung zum Theil wohl mit <hi rendition="#g">großem Unrecht</hi> als unsittlich erschien, wie seine Feuilletons im Reformateur und der Balance beweisen. Obgleich an diesem Mißverständniße selbst betheiligt, werd’ ich jene religiöse Verklärung Börne’s, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen den „kleinen Simson,“ der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte. Schon die Pariser Briefe verrathen eine für Börne’s innerste Seelenstimmung sehr merkwürdige Stufenfolge. In den ersten Bänden der wilde Freiheitsjubel, der Uebermuth eines Genesenden, der sich zum ersten Male wieder einen Trunk Weins gestattet; </p> </div> </body> </text> </TEI> [259/0301]
lieber, einen Sperling in der Hand, als Hundert auf dem Dache zu haben. Doch auch von dieser mehr äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das Volk könne durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden – mochte seinem Gemüth eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell wieder etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung zum Theil wohl mit großem Unrecht als unsittlich erschien, wie seine Feuilletons im Reformateur und der Balance beweisen. Obgleich an diesem Mißverständniße selbst betheiligt, werd’ ich jene religiöse Verklärung Börne’s, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen den „kleinen Simson,“ der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte. Schon die Pariser Briefe verrathen eine für Börne’s innerste Seelenstimmung sehr merkwürdige Stufenfolge. In den ersten Bänden der wilde Freiheitsjubel, der Uebermuth eines Genesenden, der sich zum ersten Male wieder einen Trunk Weins gestattet;
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