Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.abkömmt und sich in diese Welt verfliegt, und irrend umherflattert, nicht wissend, wo er ein Thor finden soll, um in seine Heimath wieder zurückzukehren. Menschlich leben heißt nicht, wachen am Tage oder träumen in der Nacht, sondern: träumen am Tage, wachen in der Nacht; und vor allen Dingen heißt menschlich leben unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft von dem Echo der Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hineinrufen, betrogen von dem Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde und noch mehr sogar belächelt und bemitleidet werden vom Freunde, der uns nicht versteht. Seht, so zwängt sich der Eine mit zusammengedrückten Schultern, gebognem Rücken und gesenktem Kopf durch alles das hindurch, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und nettem Ertrage uns darbietet; der Andre sucht grade die Widersprüche unsres Daseins auf, will sie versöhnen und gerätht zwischen die Räder einer Bewegung, die er zum Wohl des Ganzen hemmen wollte. Er sucht die ungebahnten Straßen, die versteckten Winkel des Lebens auf, bis in welche der Lärm abkömmt und sich in diese Welt verfliegt, und irrend umherflattert, nicht wissend, wo er ein Thor finden soll, um in seine Heimath wieder zurückzukehren. Menschlich leben heißt nicht, wachen am Tage oder träumen in der Nacht, sondern: träumen am Tage, wachen in der Nacht; und vor allen Dingen heißt menschlich leben unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft von dem Echo der Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hineinrufen, betrogen von dem Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde und noch mehr sogar belächelt und bemitleidet werden vom Freunde, der uns nicht versteht. Seht, so zwängt sich der Eine mit zusammengedrückten Schultern, gebognem Rücken und gesenktem Kopf durch alles das hindurch, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und nettem Ertrage uns darbietet; der Andre sucht grade die Widersprüche unsres Daseins auf, will sie versöhnen und gerätht zwischen die Räder einer Bewegung, die er zum Wohl des Ganzen hemmen wollte. Er sucht die ungebahnten Straßen, die versteckten Winkel des Lebens auf, bis in welche der Lärm <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0047" n="5"/> abkömmt und sich in diese Welt verfliegt, und irrend umherflattert, nicht wissend, wo er ein Thor finden soll, um in seine Heimath wieder zurückzukehren. Menschlich leben heißt nicht, wachen am Tage oder träumen in der Nacht, sondern: träumen am Tage, wachen in der Nacht; und vor allen Dingen heißt menschlich leben unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft von dem Echo der Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hineinrufen, betrogen von dem Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde und noch mehr sogar belächelt und bemitleidet werden vom Freunde, der uns nicht versteht. Seht, so zwängt sich der Eine mit zusammengedrückten Schultern, gebognem Rücken und gesenktem Kopf durch alles das hindurch, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und nettem Ertrage uns darbietet; der Andre sucht grade die Widersprüche unsres Daseins auf, will sie versöhnen und gerätht zwischen die Räder einer Bewegung, die er zum Wohl des Ganzen hemmen wollte. Er sucht die ungebahnten Straßen, die versteckten Winkel des Lebens auf, bis in welche der Lärm </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0047]
abkömmt und sich in diese Welt verfliegt, und irrend umherflattert, nicht wissend, wo er ein Thor finden soll, um in seine Heimath wieder zurückzukehren. Menschlich leben heißt nicht, wachen am Tage oder träumen in der Nacht, sondern: träumen am Tage, wachen in der Nacht; und vor allen Dingen heißt menschlich leben unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft von dem Echo der Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hineinrufen, betrogen von dem Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde und noch mehr sogar belächelt und bemitleidet werden vom Freunde, der uns nicht versteht. Seht, so zwängt sich der Eine mit zusammengedrückten Schultern, gebognem Rücken und gesenktem Kopf durch alles das hindurch, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und nettem Ertrage uns darbietet; der Andre sucht grade die Widersprüche unsres Daseins auf, will sie versöhnen und gerätht zwischen die Räder einer Bewegung, die er zum Wohl des Ganzen hemmen wollte. Er sucht die ungebahnten Straßen, die versteckten Winkel des Lebens auf, bis in welche der Lärm
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-03T11:49:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-07-03T11:49:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |