Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, - die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: - seht, das heißt menschlich leben! Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: "Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten." Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, – die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: – seht, das heißt menschlich leben! Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0048" n="6"/> eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, – die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: – seht, das heißt menschlich leben!</p> <p>Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber <hi rendition="#g">anerkannt</hi> zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung </p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0048]
eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, – die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: – seht, das heißt menschlich leben!
Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-03T11:49:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-07-03T11:49:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |