Wenn man die letzten Trümmer des Hauses Na¬ poleon in eine Gesammtansicht bringen will, so findet man zwar, daß sie sich unter einander begatten; doch lassen sich zwei Strömungen, selbst mit verschiedenen Kennzeichen, und verschiedenartig gegen ihre Umgebun¬ gen abstechend, herausscheiden -- die männliche und die weibliche Verwandtschaft Napoleons. Rechnet man zu dieser letztern noch seine Heirathen und Adoptionen, so ist sie diejenige Linie, welche sich noch in der leb¬ haftesten Korrespondenz mit der Legitimität befindet: es scheint, als wenn das weibliche Blut der Fürstenhäu¬ ser weit schwieriger zu deprinzipelisiren ist, als das männliche. Citirt Klüber darüber nichts?
Die männliche Verwandtschaft des Kaisers hat sich mehr versteckt und zurückgezogen, ja sie ist sogar der Monarchie zum Theil untreu geworden und bemüht sich, das Gedächtniß ihres großen Bruders und Oheims all¬ mählich wieder mit der Demokratie zu versöhnen, und seinen Ruhm in die Herzen des Bürgerthums zu ver¬ schließen.
Die weibliche Linie ist an einigen Höfen gern gesehen, weil sie sich glücklich fühlt, eine untergeordnete Rolle zu spielen, und das zu sein, was einst in Argos Kas¬ sandra, die geraubte Tochter des Priamus, war. Nur
Die Napoleoniden.
Wenn man die letzten Truͤmmer des Hauſes Na¬ poleon in eine Geſammtanſicht bringen will, ſo findet man zwar, daß ſie ſich unter einander begatten; doch laſſen ſich zwei Stroͤmungen, ſelbſt mit verſchiedenen Kennzeichen, und verſchiedenartig gegen ihre Umgebun¬ gen abſtechend, herausſcheiden — die maͤnnliche und die weibliche Verwandtſchaft Napoleons. Rechnet man zu dieſer letztern noch ſeine Heirathen und Adoptionen, ſo iſt ſie diejenige Linie, welche ſich noch in der leb¬ hafteſten Korreſpondenz mit der Legitimitaͤt befindet: es ſcheint, als wenn das weibliche Blut der Fuͤrſtenhaͤu¬ ſer weit ſchwieriger zu deprinzipeliſiren iſt, als das maͤnnliche. Citirt Kluͤber daruͤber nichts?
Die maͤnnliche Verwandtſchaft des Kaiſers hat ſich mehr verſteckt und zuruͤckgezogen, ja ſie iſt ſogar der Monarchie zum Theil untreu geworden und bemuͤht ſich, das Gedaͤchtniß ihres großen Bruders und Oheims all¬ maͤhlich wieder mit der Demokratie zu verſoͤhnen, und ſeinen Ruhm in die Herzen des Buͤrgerthums zu ver¬ ſchließen.
Die weibliche Linie iſt an einigen Hoͤfen gern geſehen, weil ſie ſich gluͤcklich fuͤhlt, eine untergeordnete Rolle zu ſpielen, und das zu ſein, was einſt in Argos Kaſ¬ ſandra, die geraubte Tochter des Priamus, war. Nur
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Die Napoleoniden.
Wenn man die letzten Truͤmmer des Hauſes Na¬
poleon in eine Geſammtanſicht bringen will, ſo findet
man zwar, daß ſie ſich unter einander begatten; doch
laſſen ſich zwei Stroͤmungen, ſelbſt mit verſchiedenen
Kennzeichen, und verſchiedenartig gegen ihre Umgebun¬
gen abſtechend, herausſcheiden — die maͤnnliche und
die weibliche Verwandtſchaft Napoleons. Rechnet man
zu dieſer letztern noch ſeine Heirathen und Adoptionen,
ſo iſt ſie diejenige Linie, welche ſich noch in der leb¬
hafteſten Korreſpondenz mit der Legitimitaͤt befindet: es
ſcheint, als wenn das weibliche Blut der Fuͤrſtenhaͤu¬
ſer weit ſchwieriger zu deprinzipeliſiren iſt, als das
maͤnnliche. Citirt Kluͤber daruͤber nichts?
Die maͤnnliche Verwandtſchaft des Kaiſers hat ſich
mehr verſteckt und zuruͤckgezogen, ja ſie iſt ſogar der
Monarchie zum Theil untreu geworden und bemuͤht ſich,
das Gedaͤchtniß ihres großen Bruders und Oheims all¬
maͤhlich wieder mit der Demokratie zu verſoͤhnen, und
ſeinen Ruhm in die Herzen des Buͤrgerthums zu ver¬
ſchließen.
Die weibliche Linie iſt an einigen Hoͤfen gern geſehen,
weil ſie ſich gluͤcklich fuͤhlt, eine untergeordnete Rolle
zu ſpielen, und das zu ſein, was einſt in Argos Kaſ¬
ſandra, die geraubte Tochter des Priamus, war. Nur
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/144>, abgerufen am 16.02.2025.
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