Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Die Napoleoniden. Bruder, er verließ Frankreich, und führte nicht ohneKoketterie seinen Widerspruch so hartnäckig aus, daß er das Interesse der Engländer verkannte, und statt in ihren Schutz in ihre Gefangenschaft gerieth. Die Er¬ eignisse von 1814 führten ihn noch einmal nach Frank¬ reich zurück, wo er im Augenblick der Gefahr die Sache seines Bruders mit Eifer betrieb, und deshalb nicht so schnöde abgewiesen werden konnte, wie die übrigen Brü¬ der, welche sich jetzt ängstlich um Napoleon drängten, und ihre eigne Verlegenheit mit dem Scheine zärtlicher Theilnahme bemänteln wollten. Lucians Anordnungen waren vortrefflich, hätte Marie Louise die Aufopferung gehabt, sich zwischen das Geschick ihres Mannes und die Triumphe der Alliirten zu werfen. Lucian wurde in Italien von Oestreich aufgehoben; doch gab ihn die Einsicht in sein bisheriges Leben frei: man wußte, daß er seines Bruders eifrigster Antagonist gewesen war, und seinen Ehrgeiz wenn auch nicht widerlegt, doch ihm das Gleichgewicht gehalten hatte. Der Prinz von Canino liebt die Künste die Wis¬ Die Napoleoniden. Bruder, er verließ Frankreich, und fuͤhrte nicht ohneKoketterie ſeinen Widerſpruch ſo hartnaͤckig aus, daß er das Intereſſe der Englaͤnder verkannte, und ſtatt in ihren Schutz in ihre Gefangenſchaft gerieth. Die Er¬ eigniſſe von 1814 fuͤhrten ihn noch einmal nach Frank¬ reich zuruͤck, wo er im Augenblick der Gefahr die Sache ſeines Bruders mit Eifer betrieb, und deshalb nicht ſo ſchnoͤde abgewieſen werden konnte, wie die uͤbrigen Bruͤ¬ der, welche ſich jetzt aͤngſtlich um Napoleon draͤngten, und ihre eigne Verlegenheit mit dem Scheine zaͤrtlicher Theilnahme bemaͤnteln wollten. Lucians Anordnungen waren vortrefflich, haͤtte Marie Louiſe die Aufopferung gehabt, ſich zwiſchen das Geſchick ihres Mannes und die Triumphe der Alliirten zu werfen. Lucian wurde in Italien von Oeſtreich aufgehoben; doch gab ihn die Einſicht in ſein bisheriges Leben frei: man wußte, daß er ſeines Bruders eifrigſter Antagoniſt geweſen war, und ſeinen Ehrgeiz wenn auch nicht widerlegt, doch ihm das Gleichgewicht gehalten hatte. Der Prinz von Canino liebt die Kuͤnſte die Wiſ¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="130"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Napoleoniden</hi>.<lb/></fw>Bruder, er verließ Frankreich, und fuͤhrte nicht ohne<lb/> Koketterie ſeinen Widerſpruch ſo hartnaͤckig aus, daß<lb/> er das Intereſſe der Englaͤnder verkannte, und ſtatt<lb/> in ihren Schutz in ihre Gefangenſchaft gerieth. Die Er¬<lb/> eigniſſe von 1814 fuͤhrten ihn noch einmal nach Frank¬<lb/> reich zuruͤck, wo er im Augenblick der Gefahr die Sache<lb/> ſeines Bruders mit Eifer betrieb, und deshalb nicht ſo<lb/> ſchnoͤde abgewieſen werden konnte, wie die uͤbrigen Bruͤ¬<lb/> der, welche ſich jetzt aͤngſtlich um Napoleon draͤngten,<lb/> und ihre eigne Verlegenheit mit dem Scheine zaͤrtlicher<lb/> Theilnahme bemaͤnteln wollten. Lucians Anordnungen<lb/> waren vortrefflich, haͤtte Marie Louiſe die Aufopferung<lb/> gehabt, ſich zwiſchen das Geſchick ihres Mannes und<lb/> die Triumphe der Alliirten zu werfen. Lucian wurde<lb/> in Italien von Oeſtreich aufgehoben; doch gab ihn die<lb/> Einſicht in ſein bisheriges Leben frei: man wußte, daß<lb/> er ſeines Bruders eifrigſter Antagoniſt geweſen war,<lb/> und ſeinen Ehrgeiz wenn auch nicht widerlegt, doch ihm<lb/> das Gleichgewicht gehalten hatte.</p><lb/> <p>Der Prinz von Canino liebt die Kuͤnſte die Wiſ¬<lb/> ſenſchaften und Handelsſpekulationen. Die ungluͤckli¬<lb/> chen Reſultate der letztern haben den Schutz der erſtern<lb/> ſehr einſchraͤnken muͤſſen. Die große Muße, welche ihm<lb/> das Schickſal ließ, benutzt er, um ſeine Verſe zu ſei¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0148]
Die Napoleoniden.
Bruder, er verließ Frankreich, und fuͤhrte nicht ohne
Koketterie ſeinen Widerſpruch ſo hartnaͤckig aus, daß
er das Intereſſe der Englaͤnder verkannte, und ſtatt
in ihren Schutz in ihre Gefangenſchaft gerieth. Die Er¬
eigniſſe von 1814 fuͤhrten ihn noch einmal nach Frank¬
reich zuruͤck, wo er im Augenblick der Gefahr die Sache
ſeines Bruders mit Eifer betrieb, und deshalb nicht ſo
ſchnoͤde abgewieſen werden konnte, wie die uͤbrigen Bruͤ¬
der, welche ſich jetzt aͤngſtlich um Napoleon draͤngten,
und ihre eigne Verlegenheit mit dem Scheine zaͤrtlicher
Theilnahme bemaͤnteln wollten. Lucians Anordnungen
waren vortrefflich, haͤtte Marie Louiſe die Aufopferung
gehabt, ſich zwiſchen das Geſchick ihres Mannes und
die Triumphe der Alliirten zu werfen. Lucian wurde
in Italien von Oeſtreich aufgehoben; doch gab ihn die
Einſicht in ſein bisheriges Leben frei: man wußte, daß
er ſeines Bruders eifrigſter Antagoniſt geweſen war,
und ſeinen Ehrgeiz wenn auch nicht widerlegt, doch ihm
das Gleichgewicht gehalten hatte.
Der Prinz von Canino liebt die Kuͤnſte die Wiſ¬
ſenſchaften und Handelsſpekulationen. Die ungluͤckli¬
chen Reſultate der letztern haben den Schutz der erſtern
ſehr einſchraͤnken muͤſſen. Die große Muße, welche ihm
das Schickſal ließ, benutzt er, um ſeine Verſe zu ſei¬
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