Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Napoleoniden.
len, über die Schönheiten Virgils zu träumen, und
die Verkleinerer der Alten zu widerlegen. Eine seiner
interessantesten Schriften ist eine in frühester Zeit ver¬
faßte Geschichte des englischen Parlaments, zu welcher
Napoleon in bessern Tagen Anmerkungen geschrieben
hatte. Diese Notizen verrathen, wie viel Napoleon
der Geschichte verdankt. Er hatte sie mit einem be¬
stimmten Zwecke studirt, und abstrahirte ihre Re¬
geln um so glücklicher, als er seine Zeit zum Maa߬
stabe der Vergangenheit nahm. Er spricht von Crom¬
well wie von einem Usurpator des neunzehnten
Jahrhunderts, und gibt ihm Regeln, als hätte er
sie von ihm borgen sollen. Er spricht von den al¬
ten Helden im vertraulichsten Tone und mißt ihren
Werth immer nach dem Maaßstabe, was sie eigent¬
lich wollten, oder auch nach dem, was sie unter
ihren Umständen wollen durften. Anziehend ist zu¬
letzt in diesen Anmerkungen Napoleons Eifersucht
auf seines Bruders Styl; man sieht, wie schwer es
ihm ankömmt, die Trefflichkeit desselben zuweilen ein¬
zugestehen, ein Lob, das er sogleich wieder minderte,
indem er an St. Jean d'Angely erinnerte, den er
in der darstellenden Kunst für unübertrefflich hielt.
Napoleon liebte es, durch kurze Sätze, durch einen

9 *

Die Napoleoniden.
len, uͤber die Schoͤnheiten Virgils zu traͤumen, und
die Verkleinerer der Alten zu widerlegen. Eine ſeiner
intereſſanteſten Schriften iſt eine in fruͤheſter Zeit ver¬
faßte Geſchichte des engliſchen Parlaments, zu welcher
Napoleon in beſſern Tagen Anmerkungen geſchrieben
hatte. Dieſe Notizen verrathen, wie viel Napoleon
der Geſchichte verdankt. Er hatte ſie mit einem be¬
ſtimmten Zwecke ſtudirt, und abſtrahirte ihre Re¬
geln um ſo gluͤcklicher, als er ſeine Zeit zum Maa߬
ſtabe der Vergangenheit nahm. Er ſpricht von Crom¬
well wie von einem Uſurpator des neunzehnten
Jahrhunderts, und gibt ihm Regeln, als haͤtte er
ſie von ihm borgen ſollen. Er ſpricht von den al¬
ten Helden im vertraulichſten Tone und mißt ihren
Werth immer nach dem Maaßſtabe, was ſie eigent¬
lich wollten, oder auch nach dem, was ſie unter
ihren Umſtaͤnden wollen durften. Anziehend iſt zu¬
letzt in dieſen Anmerkungen Napoleons Eiferſucht
auf ſeines Bruders Styl; man ſieht, wie ſchwer es
ihm ankoͤmmt, die Trefflichkeit deſſelben zuweilen ein¬
zugeſtehen, ein Lob, das er ſogleich wieder minderte,
indem er an St. Jean d'Angely erinnerte, den er
in der darſtellenden Kunſt fuͤr unuͤbertrefflich hielt.
Napoleon liebte es, durch kurze Saͤtze, durch einen

9 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="131"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Napoleoniden</hi>.<lb/></fw>len, u&#x0364;ber die Scho&#x0364;nheiten Virgils zu tra&#x0364;umen, und<lb/>
die Verkleinerer der Alten zu widerlegen. Eine &#x017F;einer<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;ten Schriften i&#x017F;t eine in fru&#x0364;he&#x017F;ter Zeit ver¬<lb/>
faßte Ge&#x017F;chichte des engli&#x017F;chen Parlaments, zu welcher<lb/>
Napoleon in be&#x017F;&#x017F;ern Tagen Anmerkungen ge&#x017F;chrieben<lb/>
hatte. Die&#x017F;e Notizen verrathen, wie viel Napoleon<lb/>
der Ge&#x017F;chichte verdankt. Er hatte &#x017F;ie mit einem be¬<lb/>
&#x017F;timmten Zwecke &#x017F;tudirt, und ab&#x017F;trahirte ihre Re¬<lb/>
geln um &#x017F;o glu&#x0364;cklicher, als er &#x017F;eine Zeit zum Maa߬<lb/>
&#x017F;tabe der Vergangenheit nahm. Er &#x017F;pricht von Crom¬<lb/>
well wie von einem U&#x017F;urpator des neunzehnten<lb/>
Jahrhunderts, und gibt ihm Regeln, als ha&#x0364;tte er<lb/>
&#x017F;ie von ihm borgen &#x017F;ollen. Er &#x017F;pricht von den al¬<lb/>
ten Helden im vertraulich&#x017F;ten Tone und mißt ihren<lb/>
Werth immer nach dem Maaß&#x017F;tabe, was &#x017F;ie eigent¬<lb/>
lich wollten, oder auch nach dem, was &#x017F;ie unter<lb/>
ihren Um&#x017F;ta&#x0364;nden wollen durften. Anziehend i&#x017F;t zu¬<lb/>
letzt in die&#x017F;en Anmerkungen Napoleons Eifer&#x017F;ucht<lb/>
auf &#x017F;eines Bruders Styl; man &#x017F;ieht, wie &#x017F;chwer es<lb/>
ihm anko&#x0364;mmt, die Trefflichkeit de&#x017F;&#x017F;elben zuweilen ein¬<lb/>
zuge&#x017F;tehen, ein Lob, das er &#x017F;ogleich wieder minderte,<lb/>
indem er an St. Jean d'Angely erinnerte, den er<lb/>
in der dar&#x017F;tellenden Kun&#x017F;t fu&#x0364;r unu&#x0364;bertrefflich hielt.<lb/>
Napoleon liebte es, durch kurze Sa&#x0364;tze, durch einen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0149] Die Napoleoniden. len, uͤber die Schoͤnheiten Virgils zu traͤumen, und die Verkleinerer der Alten zu widerlegen. Eine ſeiner intereſſanteſten Schriften iſt eine in fruͤheſter Zeit ver¬ faßte Geſchichte des engliſchen Parlaments, zu welcher Napoleon in beſſern Tagen Anmerkungen geſchrieben hatte. Dieſe Notizen verrathen, wie viel Napoleon der Geſchichte verdankt. Er hatte ſie mit einem be¬ ſtimmten Zwecke ſtudirt, und abſtrahirte ihre Re¬ geln um ſo gluͤcklicher, als er ſeine Zeit zum Maa߬ ſtabe der Vergangenheit nahm. Er ſpricht von Crom¬ well wie von einem Uſurpator des neunzehnten Jahrhunderts, und gibt ihm Regeln, als haͤtte er ſie von ihm borgen ſollen. Er ſpricht von den al¬ ten Helden im vertraulichſten Tone und mißt ihren Werth immer nach dem Maaßſtabe, was ſie eigent¬ lich wollten, oder auch nach dem, was ſie unter ihren Umſtaͤnden wollen durften. Anziehend iſt zu¬ letzt in dieſen Anmerkungen Napoleons Eiferſucht auf ſeines Bruders Styl; man ſieht, wie ſchwer es ihm ankoͤmmt, die Trefflichkeit deſſelben zuweilen ein¬ zugeſtehen, ein Lob, das er ſogleich wieder minderte, indem er an St. Jean d'Angely erinnerte, den er in der darſtellenden Kunſt fuͤr unuͤbertrefflich hielt. Napoleon liebte es, durch kurze Saͤtze, durch einen 9 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/149
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/149>, abgerufen am 24.11.2024.