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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Die Napoleoniden.
Styl, der immer wie um die Ecke hervorschießt, über¬
rascht zu werden.

Der Graf St. Leu lebt zu Florenz mit dem
Stolze seiner ehemals bewiesenen Herrschertugenden.
Er glaubt aus den Stürmen seiner Zeit das süße Be¬
wußtsein gerettet zu haben, daß ihn die Holländer lie¬
ben. Die Holländer!

Er gibt sich selbst das Zeugniß, daß er für einen
Privatmann keinen bessern König habe abgeben kön¬
nen, und spricht nicht ohne Rührung von den schönen
Tagen in Utrecht und Harlem. Noch hört er die
fürchterliche Explosion des Harlemer Pulverschiffes und
schildert gern, was er für Menschenliebe bei dieser Ge¬
legenheit entwickelt, wie er selbst Hand angelegt habe
um zu retten, und wie viel Gulden er für ein erhal¬
tenes Leben geboten. Dann erzählt er von jenem jun¬
gen Prediger, der in seiner Gegenwart an den Him¬
mel republikanische Gebete gerichtet hätte. Seine Mi¬
nister wollten, er sollte den Frevler bestrafen; nein,
sagte er stolz, er wolle ihn nur belehren, und ließ ihn
zu sich kommen und setzte ihm den Lauf der Dinge,
die Weltgeschichte und die holländische auseinander.

Man kann dem Grafen nicht widersprechen, wenn
er Napoleons Grausamkeit anklagt, der ihn für solche

Die Napoleoniden.
Styl, der immer wie um die Ecke hervorſchießt, uͤber¬
raſcht zu werden.

Der Graf St. Leu lebt zu Florenz mit dem
Stolze ſeiner ehemals bewieſenen Herrſchertugenden.
Er glaubt aus den Stuͤrmen ſeiner Zeit das ſuͤße Be¬
wußtſein gerettet zu haben, daß ihn die Hollaͤnder lie¬
ben. Die Hollaͤnder!

Er gibt ſich ſelbſt das Zeugniß, daß er fuͤr einen
Privatmann keinen beſſern Koͤnig habe abgeben koͤn¬
nen, und ſpricht nicht ohne Ruͤhrung von den ſchoͤnen
Tagen in Utrecht und Harlem. Noch hoͤrt er die
fuͤrchterliche Exploſion des Harlemer Pulverſchiffes und
ſchildert gern, was er fuͤr Menſchenliebe bei dieſer Ge¬
legenheit entwickelt, wie er ſelbſt Hand angelegt habe
um zu retten, und wie viel Gulden er fuͤr ein erhal¬
tenes Leben geboten. Dann erzaͤhlt er von jenem jun¬
gen Prediger, der in ſeiner Gegenwart an den Him¬
mel republikaniſche Gebete gerichtet haͤtte. Seine Mi¬
niſter wollten, er ſollte den Frevler beſtrafen; nein,
ſagte er ſtolz, er wolle ihn nur belehren, und ließ ihn
zu ſich kommen und ſetzte ihm den Lauf der Dinge,
die Weltgeſchichte und die hollaͤndiſche auseinander.

Man kann dem Grafen nicht widerſprechen, wenn
er Napoleons Grauſamkeit anklagt, der ihn fuͤr ſolche

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[132/0150] Die Napoleoniden. Styl, der immer wie um die Ecke hervorſchießt, uͤber¬ raſcht zu werden. Der Graf St. Leu lebt zu Florenz mit dem Stolze ſeiner ehemals bewieſenen Herrſchertugenden. Er glaubt aus den Stuͤrmen ſeiner Zeit das ſuͤße Be¬ wußtſein gerettet zu haben, daß ihn die Hollaͤnder lie¬ ben. Die Hollaͤnder! Er gibt ſich ſelbſt das Zeugniß, daß er fuͤr einen Privatmann keinen beſſern Koͤnig habe abgeben koͤn¬ nen, und ſpricht nicht ohne Ruͤhrung von den ſchoͤnen Tagen in Utrecht und Harlem. Noch hoͤrt er die fuͤrchterliche Exploſion des Harlemer Pulverſchiffes und ſchildert gern, was er fuͤr Menſchenliebe bei dieſer Ge¬ legenheit entwickelt, wie er ſelbſt Hand angelegt habe um zu retten, und wie viel Gulden er fuͤr ein erhal¬ tenes Leben geboten. Dann erzaͤhlt er von jenem jun¬ gen Prediger, der in ſeiner Gegenwart an den Him¬ mel republikaniſche Gebete gerichtet haͤtte. Seine Mi¬ niſter wollten, er ſollte den Frevler beſtrafen; nein, ſagte er ſtolz, er wolle ihn nur belehren, und ließ ihn zu ſich kommen und ſetzte ihm den Lauf der Dinge, die Weltgeſchichte und die hollaͤndiſche auseinander. Man kann dem Grafen nicht widerſprechen, wenn er Napoleons Grauſamkeit anklagt, der ihn fuͤr ſolche

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/150>, abgerufen am 21.11.2024.