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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Die Napoleoniden.
mit einer hervorquellenden Anlage zum Fettwerden.
Diese unverkennbar gezeichneten Spätlinge verstehen
die Richtung der Lorgnetten wohl, richten sich dann
stolz auf, und legen die Arme über einander, um
uns vollends zu täuschen. Einige auch schlagen die
Augen nieder, und schämen sich, weil das Schicksal so
unbarmherzig mit ihnen Versteckens gespielt hat. Zu
der Oper hat aber das Parterre dann noch einmal so
viel Lust; denn man fühlt, daß ein Stück Weltge¬
schichte in der Nähe athmet.

Nur einem Seitenflügel des Hauses Napoleon
gelang es, sich vor dem Zusammensturz zu retten: der
Familie Leuchtenberg. Es war die edelste Emana¬
tion der Kaiserherrschaft.

Das Genie ist nicht immer glücklich; deshalb hei¬
rathete Napoleon sein Glück. Prinz Eugen wurde des
großen Mannes Augapfel, der Günstling einer fast an¬
tiken Liebe. Seine Sanftmuth schmeichelte sich in
Napoleons weiche Empfindung ein, seine Anstelligkeit
war eine vortreffliche Gewährleistung für die Gunstbe¬
zeugungen, welche der Kaiser über ihn häufte. Prinz
Eugen besaß dieselbe Humanität wie Louis Bonaparte,
aber ohne Phrase, ohne Affektation; ihr Organ war
nicht die Rede, sondern die Leutseligkeit. In einem

Die Napoleoniden.
mit einer hervorquellenden Anlage zum Fettwerden.
Dieſe unverkennbar gezeichneten Spaͤtlinge verſtehen
die Richtung der Lorgnetten wohl, richten ſich dann
ſtolz auf, und legen die Arme uͤber einander, um
uns vollends zu taͤuſchen. Einige auch ſchlagen die
Augen nieder, und ſchaͤmen ſich, weil das Schickſal ſo
unbarmherzig mit ihnen Verſteckens geſpielt hat. Zu
der Oper hat aber das Parterre dann noch einmal ſo
viel Luſt; denn man fuͤhlt, daß ein Stuͤck Weltge¬
ſchichte in der Naͤhe athmet.

Nur einem Seitenfluͤgel des Hauſes Napoleon
gelang es, ſich vor dem Zuſammenſturz zu retten: der
Familie Leuchtenberg. Es war die edelſte Emana¬
tion der Kaiſerherrſchaft.

Das Genie iſt nicht immer gluͤcklich; deshalb hei¬
rathete Napoleon ſein Gluͤck. Prinz Eugen wurde des
großen Mannes Augapfel, der Guͤnſtling einer faſt an¬
tiken Liebe. Seine Sanftmuth ſchmeichelte ſich in
Napoleons weiche Empfindung ein, ſeine Anſtelligkeit
war eine vortreffliche Gewaͤhrleiſtung fuͤr die Gunſtbe¬
zeugungen, welche der Kaiſer uͤber ihn haͤufte. Prinz
Eugen beſaß dieſelbe Humanitaͤt wie Louis Bonaparte,
aber ohne Phraſe, ohne Affektation; ihr Organ war
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[137/0155] Die Napoleoniden. mit einer hervorquellenden Anlage zum Fettwerden. Dieſe unverkennbar gezeichneten Spaͤtlinge verſtehen die Richtung der Lorgnetten wohl, richten ſich dann ſtolz auf, und legen die Arme uͤber einander, um uns vollends zu taͤuſchen. Einige auch ſchlagen die Augen nieder, und ſchaͤmen ſich, weil das Schickſal ſo unbarmherzig mit ihnen Verſteckens geſpielt hat. Zu der Oper hat aber das Parterre dann noch einmal ſo viel Luſt; denn man fuͤhlt, daß ein Stuͤck Weltge¬ ſchichte in der Naͤhe athmet. Nur einem Seitenfluͤgel des Hauſes Napoleon gelang es, ſich vor dem Zuſammenſturz zu retten: der Familie Leuchtenberg. Es war die edelſte Emana¬ tion der Kaiſerherrſchaft. Das Genie iſt nicht immer gluͤcklich; deshalb hei¬ rathete Napoleon ſein Gluͤck. Prinz Eugen wurde des großen Mannes Augapfel, der Guͤnſtling einer faſt an¬ tiken Liebe. Seine Sanftmuth ſchmeichelte ſich in Napoleons weiche Empfindung ein, ſeine Anſtelligkeit war eine vortreffliche Gewaͤhrleiſtung fuͤr die Gunſtbe¬ zeugungen, welche der Kaiſer uͤber ihn haͤufte. Prinz Eugen beſaß dieſelbe Humanitaͤt wie Louis Bonaparte, aber ohne Phraſe, ohne Affektation; ihr Organ war nicht die Rede, ſondern die Leutſeligkeit. In einem

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/155>, abgerufen am 21.11.2024.