Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Wellington.
er den seit Menschengedenken tapfersten Kriegern Eu¬
ropa's entwand, diese glückliche Nebenbuhlerschaft mit
dem größten Manne des Jahrhunderts, wirkt nichts
auf ein vergeßliches Volk? Es tritt Präcedentien in
den Koth, welche damals, als sie neu waren, vergöt¬
tert wurden? Es legt den Maßstab einer blinden
Parteiung, die politische Krämerelle an ein Leben, das
mit so viel Ruhm und Unvergeßlichkeit ausgestattet
ist; es mißt mit seinen oft nur zu illusorischen Grillen
über Staatsverfassung, mit einer mehr ideellen Vor¬
aussicht auf Zeiten, die noch Vieles werden unerfüllt
lassen, den blutigen Ernst eines Schlachtfeldes und ei¬
ne gar fest und bestimmt in der Geschichte angeschrie¬
bene Periode? London war wegen des Sieges bei
Vittoria drei Nächte hintereinander beleuchtet. Die
Züge Wellington, Victory, Vittoria fanden sich tausend¬
fach verschlungen an allen Häusern. Wer vor dem
Pallaste des Siegers, den die damalige Marquisin,
seine Frau, bewohnte, vorbeikam, mußte, dis war der
despotische Befehl des jubelnden Volkes, den Hut ab¬
nehmen und die leeren Fenster grüßen, dieselben Fen¬
ster, welche nicht zwei Decennien später mit Brettern
vernagelt werden mußten, um die Wuth des steinwer¬
fenden Publikums zurückzuhalten. Ein so bald ver¬

Wellington.
er den ſeit Menſchengedenken tapferſten Kriegern Eu¬
ropa's entwand, dieſe gluͤckliche Nebenbuhlerſchaft mit
dem groͤßten Manne des Jahrhunderts, wirkt nichts
auf ein vergeßliches Volk? Es tritt Praͤcedentien in
den Koth, welche damals, als ſie neu waren, vergoͤt¬
tert wurden? Es legt den Maßſtab einer blinden
Parteiung, die politiſche Kraͤmerelle an ein Leben, das
mit ſo viel Ruhm und Unvergeßlichkeit ausgeſtattet
iſt; es mißt mit ſeinen oft nur zu illuſoriſchen Grillen
uͤber Staatsverfaſſung, mit einer mehr ideellen Vor¬
ausſicht auf Zeiten, die noch Vieles werden unerfuͤllt
laſſen, den blutigen Ernſt eines Schlachtfeldes und ei¬
ne gar feſt und beſtimmt in der Geſchichte angeſchrie¬
bene Periode? London war wegen des Sieges bei
Vittoria drei Naͤchte hintereinander beleuchtet. Die
Zuͤge Wellington, Victory, Vittoria fanden ſich tauſend¬
fach verſchlungen an allen Haͤuſern. Wer vor dem
Pallaſte des Siegers, den die damalige Marquiſin,
ſeine Frau, bewohnte, vorbeikam, mußte, dis war der
despotiſche Befehl des jubelnden Volkes, den Hut ab¬
nehmen und die leeren Fenſter gruͤßen, dieſelben Fen¬
ſter, welche nicht zwei Decennien ſpaͤter mit Brettern
vernagelt werden mußten, um die Wuth des ſteinwer¬
fenden Publikums zuruͤckzuhalten. Ein ſo bald ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="146"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Wellington</hi>.<lb/></fw>er den &#x017F;eit Men&#x017F;chengedenken tapfer&#x017F;ten Kriegern Eu¬<lb/>
ropa's entwand, die&#x017F;e glu&#x0364;ckliche Nebenbuhler&#x017F;chaft mit<lb/>
dem gro&#x0364;ßten Manne des Jahrhunderts, wirkt nichts<lb/>
auf ein vergeßliches Volk? Es tritt Pra&#x0364;cedentien in<lb/>
den Koth, welche damals, als &#x017F;ie neu waren, vergo&#x0364;<lb/>
tert wurden? Es legt den Maß&#x017F;tab einer blinden<lb/>
Parteiung, die politi&#x017F;che Kra&#x0364;merelle an ein Leben, das<lb/>
mit &#x017F;o viel Ruhm und Unvergeßlichkeit ausge&#x017F;tattet<lb/>
i&#x017F;t; es mißt mit &#x017F;einen oft nur zu illu&#x017F;ori&#x017F;chen Grillen<lb/>
u&#x0364;ber Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung, mit einer mehr ideellen Vor¬<lb/>
aus&#x017F;icht auf Zeiten, die noch Vieles werden unerfu&#x0364;llt<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, den blutigen Ern&#x017F;t eines Schlachtfeldes und ei¬<lb/>
ne gar fe&#x017F;t und be&#x017F;timmt in der Ge&#x017F;chichte ange&#x017F;chrie¬<lb/>
bene Periode? London war wegen des Sieges bei<lb/>
Vittoria drei Na&#x0364;chte hintereinander beleuchtet. Die<lb/>
Zu&#x0364;ge Wellington, Victory, Vittoria fanden &#x017F;ich tau&#x017F;end¬<lb/>
fach ver&#x017F;chlungen an allen Ha&#x0364;u&#x017F;ern. Wer vor dem<lb/>
Palla&#x017F;te des Siegers, den die damalige Marqui&#x017F;in,<lb/>
&#x017F;eine Frau, bewohnte, vorbeikam, mußte, dis war der<lb/>
despoti&#x017F;che Befehl des jubelnden Volkes, den Hut ab¬<lb/>
nehmen und die leeren Fen&#x017F;ter gru&#x0364;ßen, die&#x017F;elben Fen¬<lb/>
&#x017F;ter, welche nicht zwei Decennien &#x017F;pa&#x0364;ter mit Brettern<lb/>
vernagelt werden mußten, um die Wuth des &#x017F;teinwer¬<lb/>
fenden Publikums zuru&#x0364;ckzuhalten. Ein &#x017F;o bald ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0164] Wellington. er den ſeit Menſchengedenken tapferſten Kriegern Eu¬ ropa's entwand, dieſe gluͤckliche Nebenbuhlerſchaft mit dem groͤßten Manne des Jahrhunderts, wirkt nichts auf ein vergeßliches Volk? Es tritt Praͤcedentien in den Koth, welche damals, als ſie neu waren, vergoͤt¬ tert wurden? Es legt den Maßſtab einer blinden Parteiung, die politiſche Kraͤmerelle an ein Leben, das mit ſo viel Ruhm und Unvergeßlichkeit ausgeſtattet iſt; es mißt mit ſeinen oft nur zu illuſoriſchen Grillen uͤber Staatsverfaſſung, mit einer mehr ideellen Vor¬ ausſicht auf Zeiten, die noch Vieles werden unerfuͤllt laſſen, den blutigen Ernſt eines Schlachtfeldes und ei¬ ne gar feſt und beſtimmt in der Geſchichte angeſchrie¬ bene Periode? London war wegen des Sieges bei Vittoria drei Naͤchte hintereinander beleuchtet. Die Zuͤge Wellington, Victory, Vittoria fanden ſich tauſend¬ fach verſchlungen an allen Haͤuſern. Wer vor dem Pallaſte des Siegers, den die damalige Marquiſin, ſeine Frau, bewohnte, vorbeikam, mußte, dis war der despotiſche Befehl des jubelnden Volkes, den Hut ab¬ nehmen und die leeren Fenſter gruͤßen, dieſelben Fen¬ ſter, welche nicht zwei Decennien ſpaͤter mit Brettern vernagelt werden mußten, um die Wuth des ſteinwer¬ fenden Publikums zuruͤckzuhalten. Ein ſo bald ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/164
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/164>, abgerufen am 21.11.2024.