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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Doktor Francia.
gen den König der Fluren, den ritterlichen und kühnen
Artigas, bis zu dem Augenblick, welcher für die Unab¬
hängigkeit der rechte schien, verwickelten sich die Inter¬
essen unauflöslich.

Die Vicekönige lösten sich ab, während die alten
Befehlshaber sich kaum befestigt hatten; und die nach¬
folgenden kamen ohne Vollmachten, da sich der Zustand
der Parteien fortwährend veränderte. Der Franzose
Liniers vertheidigte eine Zeit lang die Ansprüche Euro¬
pa's, und während man glauben mußte, daß er die
Kolonie für die Usurpation seiner Landsleute retten
wollte, stellte sich weiter heraus, daß er Bourbonist
war, und an den alten spanischen Thron dachte, ja
sogar an Brasilien, von wo aus die intrigante und
leidenschaftliche Mutter der beiden feindlichen Brüder
von Oporto ihre Minen springen ließ.

So wirrte sich Alles in einen labyrinthischen Knäul
zusammen, aus welchem die Staatsklugheit keinen Aus¬
weg mehr fand, nur die Freiheit, welche die Rücksich¬
ten durchhieb, da sie nur der Zukunft und sich selbst
verantwortlich war.

Zu gleicher Zeit, am Schluß des ersten Decenni¬
ums unsers stürmischen Jahrhunderts, traten in Cara¬
cas, in la Paz, Quito, Bogota und in Chile Regie¬

Doktor Francia.
gen den Koͤnig der Fluren, den ritterlichen und kuͤhnen
Artigas, bis zu dem Augenblick, welcher fuͤr die Unab¬
haͤngigkeit der rechte ſchien, verwickelten ſich die Inter¬
eſſen unaufloͤslich.

Die Vicekoͤnige loͤſten ſich ab, waͤhrend die alten
Befehlshaber ſich kaum befeſtigt hatten; und die nach¬
folgenden kamen ohne Vollmachten, da ſich der Zuſtand
der Parteien fortwaͤhrend veraͤnderte. Der Franzoſe
Liniers vertheidigte eine Zeit lang die Anſpruͤche Euro¬
pa's, und waͤhrend man glauben mußte, daß er die
Kolonie fuͤr die Uſurpation ſeiner Landsleute retten
wollte, ſtellte ſich weiter heraus, daß er Bourboniſt
war, und an den alten ſpaniſchen Thron dachte, ja
ſogar an Braſilien, von wo aus die intrigante und
leidenſchaftliche Mutter der beiden feindlichen Bruͤder
von Oporto ihre Minen ſpringen ließ.

So wirrte ſich Alles in einen labyrinthiſchen Knaͤul
zuſammen, aus welchem die Staatsklugheit keinen Aus¬
weg mehr fand, nur die Freiheit, welche die Ruͤckſich¬
ten durchhieb, da ſie nur der Zukunft und ſich ſelbſt
verantwortlich war.

Zu gleicher Zeit, am Schluß des erſten Decenni¬
ums unſers ſtuͤrmiſchen Jahrhunderts, traten in Cara¬
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[201/0219] Doktor Francia. gen den Koͤnig der Fluren, den ritterlichen und kuͤhnen Artigas, bis zu dem Augenblick, welcher fuͤr die Unab¬ haͤngigkeit der rechte ſchien, verwickelten ſich die Inter¬ eſſen unaufloͤslich. Die Vicekoͤnige loͤſten ſich ab, waͤhrend die alten Befehlshaber ſich kaum befeſtigt hatten; und die nach¬ folgenden kamen ohne Vollmachten, da ſich der Zuſtand der Parteien fortwaͤhrend veraͤnderte. Der Franzoſe Liniers vertheidigte eine Zeit lang die Anſpruͤche Euro¬ pa's, und waͤhrend man glauben mußte, daß er die Kolonie fuͤr die Uſurpation ſeiner Landsleute retten wollte, ſtellte ſich weiter heraus, daß er Bourboniſt war, und an den alten ſpaniſchen Thron dachte, ja ſogar an Braſilien, von wo aus die intrigante und leidenſchaftliche Mutter der beiden feindlichen Bruͤder von Oporto ihre Minen ſpringen ließ. So wirrte ſich Alles in einen labyrinthiſchen Knaͤul zuſammen, aus welchem die Staatsklugheit keinen Aus¬ weg mehr fand, nur die Freiheit, welche die Ruͤckſich¬ ten durchhieb, da ſie nur der Zukunft und ſich ſelbſt verantwortlich war. Zu gleicher Zeit, am Schluß des erſten Decenni¬ ums unſers ſtuͤrmiſchen Jahrhunderts, traten in Cara¬ cas, in la Paz, Quito, Bogota und in Chile Regie¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/219>, abgerufen am 21.11.2024.