Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Doktor Francia
der Kohl, den man unter seinem Fenster wachsen, blü¬
hen und gedeihen sieht.

Francia haßt die Monarchie als Prinzip; er haßt
die Aristokratie; er ist ein Repräsentant jenes sonder¬
barsten aller Despotismen, der die Welt frei machen
will mit Gewalt und glücklich mit Zwang. Er wirkt
in seinem Lande Vortreffliches, Vorbereitungen für die
blaue Zukunft, er betreibt die Kultur des Landes und
der Geister, er will Menschen schaffen, welche der Frei¬
heit würdig sind. Francia experimentirt. Er hält mit
seinem Lande Schule.

Schon rückte es eine Klasse höher; denn der Han¬
del mit dem Auslande ist seit einigen Jahren freigege¬
ben: solche Konzessionen sind hier, wie Noten, welche
bei der jährlichen Prüfung dem Fleiße eines Schülers
gegeben werden. Francia wäre glücklich, wenn er
stürbe und könnte seine Schüler sich selbst überlassen;
aber so fühlt er, daß sie noch immer nicht reif genug
sind, und mußte sich entschließen, noch in seinen ho¬
hen Tagen, in seinem siebzigsten Jahre, ein junges
Mädchen zu freien, um einen Nachfolger erzielen zu
können.

Man denkt sich hier den alten Spanier, wie den
Doktor Bartolo, mit rothen Strümpfen, lockiger Pe¬

Doktor Francia
der Kohl, den man unter ſeinem Fenſter wachſen, bluͤ¬
hen und gedeihen ſieht.

Francia haßt die Monarchie als Prinzip; er haßt
die Ariſtokratie; er iſt ein Repraͤſentant jenes ſonder¬
barſten aller Despotismen, der die Welt frei machen
will mit Gewalt und gluͤcklich mit Zwang. Er wirkt
in ſeinem Lande Vortreffliches, Vorbereitungen fuͤr die
blaue Zukunft, er betreibt die Kultur des Landes und
der Geiſter, er will Menſchen ſchaffen, welche der Frei¬
heit wuͤrdig ſind. Francia experimentirt. Er haͤlt mit
ſeinem Lande Schule.

Schon ruͤckte es eine Klaſſe hoͤher; denn der Han¬
del mit dem Auslande iſt ſeit einigen Jahren freigege¬
ben: ſolche Konzeſſionen ſind hier, wie Noten, welche
bei der jaͤhrlichen Pruͤfung dem Fleiße eines Schuͤlers
gegeben werden. Francia waͤre gluͤcklich, wenn er
ſtuͤrbe und koͤnnte ſeine Schuͤler ſich ſelbſt uͤberlaſſen;
aber ſo fuͤhlt er, daß ſie noch immer nicht reif genug
ſind, und mußte ſich entſchließen, noch in ſeinen ho¬
hen Tagen, in ſeinem ſiebzigſten Jahre, ein junges
Maͤdchen zu freien, um einen Nachfolger erzielen zu
koͤnnen.

Man denkt ſich hier den alten Spanier, wie den
Doktor Bartolo, mit rothen Struͤmpfen, lockiger Pe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="213"/><fw place="top" type="header">Doktor Francia<lb/></fw> der Kohl, den man unter &#x017F;einem Fen&#x017F;ter wach&#x017F;en, blu&#x0364;¬<lb/>
hen und gedeihen &#x017F;ieht.</p><lb/>
        <p>Francia haßt die Monarchie als Prinzip; er haßt<lb/>
die Ari&#x017F;tokratie; er i&#x017F;t ein Repra&#x0364;&#x017F;entant jenes &#x017F;onder¬<lb/>
bar&#x017F;ten aller Despotismen, der die Welt frei machen<lb/>
will mit Gewalt und glu&#x0364;cklich mit Zwang. Er wirkt<lb/>
in &#x017F;einem Lande Vortreffliches, Vorbereitungen fu&#x0364;r die<lb/>
blaue Zukunft, er betreibt die Kultur des Landes und<lb/>
der Gei&#x017F;ter, er will Men&#x017F;chen &#x017F;chaffen, welche der Frei¬<lb/>
heit wu&#x0364;rdig &#x017F;ind. Francia experimentirt. Er ha&#x0364;lt mit<lb/>
&#x017F;einem Lande Schule.</p><lb/>
        <p>Schon ru&#x0364;ckte es eine Kla&#x017F;&#x017F;e ho&#x0364;her; denn der Han¬<lb/>
del mit dem Auslande i&#x017F;t &#x017F;eit einigen Jahren freigege¬<lb/>
ben: &#x017F;olche Konze&#x017F;&#x017F;ionen &#x017F;ind hier, wie Noten, welche<lb/>
bei der ja&#x0364;hrlichen Pru&#x0364;fung dem Fleiße eines Schu&#x0364;lers<lb/>
gegeben werden. Francia wa&#x0364;re glu&#x0364;cklich, wenn er<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rbe und ko&#x0364;nnte &#x017F;eine Schu&#x0364;ler &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
aber &#x017F;o fu&#x0364;hlt er, daß &#x017F;ie noch immer nicht reif genug<lb/>
&#x017F;ind, und mußte &#x017F;ich ent&#x017F;chließen, noch in &#x017F;einen ho¬<lb/>
hen Tagen, in &#x017F;einem &#x017F;iebzig&#x017F;ten Jahre, ein junges<lb/>
Ma&#x0364;dchen zu freien, um einen Nachfolger erzielen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Man denkt &#x017F;ich hier den alten Spanier, wie den<lb/>
Doktor Bartolo, mit rothen Stru&#x0364;mpfen, lockiger Pe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0231] Doktor Francia der Kohl, den man unter ſeinem Fenſter wachſen, bluͤ¬ hen und gedeihen ſieht. Francia haßt die Monarchie als Prinzip; er haßt die Ariſtokratie; er iſt ein Repraͤſentant jenes ſonder¬ barſten aller Despotismen, der die Welt frei machen will mit Gewalt und gluͤcklich mit Zwang. Er wirkt in ſeinem Lande Vortreffliches, Vorbereitungen fuͤr die blaue Zukunft, er betreibt die Kultur des Landes und der Geiſter, er will Menſchen ſchaffen, welche der Frei¬ heit wuͤrdig ſind. Francia experimentirt. Er haͤlt mit ſeinem Lande Schule. Schon ruͤckte es eine Klaſſe hoͤher; denn der Han¬ del mit dem Auslande iſt ſeit einigen Jahren freigege¬ ben: ſolche Konzeſſionen ſind hier, wie Noten, welche bei der jaͤhrlichen Pruͤfung dem Fleiße eines Schuͤlers gegeben werden. Francia waͤre gluͤcklich, wenn er ſtuͤrbe und koͤnnte ſeine Schuͤler ſich ſelbſt uͤberlaſſen; aber ſo fuͤhlt er, daß ſie noch immer nicht reif genug ſind, und mußte ſich entſchließen, noch in ſeinen ho¬ hen Tagen, in ſeinem ſiebzigſten Jahre, ein junges Maͤdchen zu freien, um einen Nachfolger erzielen zu koͤnnen. Man denkt ſich hier den alten Spanier, wie den Doktor Bartolo, mit rothen Struͤmpfen, lockiger Pe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/231
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/231>, abgerufen am 21.11.2024.