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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Armand Carrel.
ungegeben, es ist mehr ein historischer Enthusiasmus,
der sie verkündet, ein Andenken, berauscht von dem
großen Revolutionsprozesse früherer Tage, berauscht von
den erhabenen Phrasen, welche damals noch unter dem
Beile gesprochen wurden, berauscht von der Kunst des
Todes, welche seit den christlichen Märtyrern nicht so
meisterhaft gelehrt wurde wie damals. Die Tribüne
fängt keine Grillen über die Zukunft, sie ist nichts,
als eine Reaktion des Jakobinismus; sie spielt mit den
alten Kokarden, Mützen, mit den Tages- und Monats¬
bezeichnungen, mit den Dekadi, und ähnlichen Neben¬
sachen, welche bei ihr die Stelle dessen vertreten, was
der Zukunft anheim liegt und ihr noch keine Sorge
macht.

Der National beruht auf einem andern Calcül.
Er hält die Zeit der Republik, wie sie in Frankreich
schon gewesen ist, nur für einen transitorischen Zu¬
stand; die damalige Republik war nichts als Revolu¬
tion; sie stand unter der Tyrannei des Augenblicks;
ihre Gesetze starben wie in werdenden Zeiten immer
schnell ab, sie hatte noch keine, sie war noch keine Re¬
publik. Das Todesbeil und die Proskription, für die
Tribüne so nothwendig, weil sie die Republik mit der
Revolution verwechselt, sind für das System des Na¬

Armand Carrel.
ungegeben, es iſt mehr ein hiſtoriſcher Enthuſiasmus,
der ſie verkuͤndet, ein Andenken, berauſcht von dem
großen Revolutionsprozeſſe fruͤherer Tage, berauſcht von
den erhabenen Phraſen, welche damals noch unter dem
Beile geſprochen wurden, berauſcht von der Kunſt des
Todes, welche ſeit den chriſtlichen Maͤrtyrern nicht ſo
meiſterhaft gelehrt wurde wie damals. Die Tribuͤne
faͤngt keine Grillen uͤber die Zukunft, ſie iſt nichts,
als eine Reaktion des Jakobinismus; ſie ſpielt mit den
alten Kokarden, Muͤtzen, mit den Tages- und Monats¬
bezeichnungen, mit den Dekadi, und aͤhnlichen Neben¬
ſachen, welche bei ihr die Stelle deſſen vertreten, was
der Zukunft anheim liegt und ihr noch keine Sorge
macht.

Der National beruht auf einem andern Calcuͤl.
Er haͤlt die Zeit der Republik, wie ſie in Frankreich
ſchon geweſen iſt, nur fuͤr einen tranſitoriſchen Zu¬
ſtand; die damalige Republik war nichts als Revolu¬
tion; ſie ſtand unter der Tyrannei des Augenblicks;
ihre Geſetze ſtarben wie in werdenden Zeiten immer
ſchnell ab, ſie hatte noch keine, ſie war noch keine Re¬
publik. Das Todesbeil und die Proſkription, fuͤr die
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[232/0250] Armand Carrel. ungegeben, es iſt mehr ein hiſtoriſcher Enthuſiasmus, der ſie verkuͤndet, ein Andenken, berauſcht von dem großen Revolutionsprozeſſe fruͤherer Tage, berauſcht von den erhabenen Phraſen, welche damals noch unter dem Beile geſprochen wurden, berauſcht von der Kunſt des Todes, welche ſeit den chriſtlichen Maͤrtyrern nicht ſo meiſterhaft gelehrt wurde wie damals. Die Tribuͤne faͤngt keine Grillen uͤber die Zukunft, ſie iſt nichts, als eine Reaktion des Jakobinismus; ſie ſpielt mit den alten Kokarden, Muͤtzen, mit den Tages- und Monats¬ bezeichnungen, mit den Dekadi, und aͤhnlichen Neben¬ ſachen, welche bei ihr die Stelle deſſen vertreten, was der Zukunft anheim liegt und ihr noch keine Sorge macht. Der National beruht auf einem andern Calcuͤl. Er haͤlt die Zeit der Republik, wie ſie in Frankreich ſchon geweſen iſt, nur fuͤr einen tranſitoriſchen Zu¬ ſtand; die damalige Republik war nichts als Revolu¬ tion; ſie ſtand unter der Tyrannei des Augenblicks; ihre Geſetze ſtarben wie in werdenden Zeiten immer ſchnell ab, ſie hatte noch keine, ſie war noch keine Re¬ publik. Das Todesbeil und die Proſkription, fuͤr die Tribuͤne ſo nothwendig, weil ſie die Republik mit der Revolution verwechſelt, ſind fuͤr das Syſtem des Na¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/250>, abgerufen am 24.11.2024.