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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Armand Carrel.
gehalten, und von den Siegen, die fremdes Blut ge¬
kostet hatten, für sich Vortheile zogen.

Man muß sagen, der National war eine Zeitlang
von dieser Wendung der Dinge überrascht; er hielt sich
noch immer für den Schöpfer der Ereignisse, als sie
schon ein fremdartiges Gepräge trugen, und erwachte
von seiner Täuschung erst da, als die Zügel seiner
Hand entfallen waren.

Er verbiß seinen Schmerz, erholte sich von seinem
Aerger, sich überlistet zu sehen, schlug Präfektur und
Julidekoration aus, versagte dem neuen Königthum den
Eid, und begann gegen den 7. August und den 13.
März einen Kampf, den schon mancher glänzende
Sieg gekrönt hat.

Die Zukunft Frankreichs, die Republik, trägt bei
ihren verschiednen Propheten nicht dieselbe Physiognomie.

Die Republik der Tribüne ist keine Perspektive der
Combination, sondern eine Tradition, eine blutige Er¬
innerung, eine ambulante Guillotine, welche mitten in
das Gewirr des Tages hineinfährt. Es sind die al¬
ten Carmagnolen und Wohlfahrtsausschüsse, vielleicht
ohne Blutgier, vielleicht nur Formen, die den Mangel
neuer Begriffe ersetzen sollen. Die Republik der Tri¬
büne ist noch nicht constituirt, ihre Gesetze sind noch

Armand Carrel.
gehalten, und von den Siegen, die fremdes Blut ge¬
koſtet hatten, fuͤr ſich Vortheile zogen.

Man muß ſagen, der National war eine Zeitlang
von dieſer Wendung der Dinge uͤberraſcht; er hielt ſich
noch immer fuͤr den Schoͤpfer der Ereigniſſe, als ſie
ſchon ein fremdartiges Gepraͤge trugen, und erwachte
von ſeiner Taͤuſchung erſt da, als die Zuͤgel ſeiner
Hand entfallen waren.

Er verbiß ſeinen Schmerz, erholte ſich von ſeinem
Aerger, ſich uͤberliſtet zu ſehen, ſchlug Praͤfektur und
Julidekoration aus, verſagte dem neuen Koͤnigthum den
Eid, und begann gegen den 7. Auguſt und den 13.
Maͤrz einen Kampf, den ſchon mancher glaͤnzende
Sieg gekroͤnt hat.

Die Zukunft Frankreichs, die Republik, traͤgt bei
ihren verſchiednen Propheten nicht dieſelbe Phyſiognomie.

Die Republik der Tribuͤne iſt keine Perſpektive der
Combination, ſondern eine Tradition, eine blutige Er¬
innerung, eine ambulante Guillotine, welche mitten in
das Gewirr des Tages hineinfaͤhrt. Es ſind die al¬
ten Carmagnolen und Wohlfahrtsausſchuͤſſe, vielleicht
ohne Blutgier, vielleicht nur Formen, die den Mangel
neuer Begriffe erſetzen ſollen. Die Republik der Tri¬
buͤne iſt noch nicht conſtituirt, ihre Geſetze ſind noch

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[231/0249] Armand Carrel. gehalten, und von den Siegen, die fremdes Blut ge¬ koſtet hatten, fuͤr ſich Vortheile zogen. Man muß ſagen, der National war eine Zeitlang von dieſer Wendung der Dinge uͤberraſcht; er hielt ſich noch immer fuͤr den Schoͤpfer der Ereigniſſe, als ſie ſchon ein fremdartiges Gepraͤge trugen, und erwachte von ſeiner Taͤuſchung erſt da, als die Zuͤgel ſeiner Hand entfallen waren. Er verbiß ſeinen Schmerz, erholte ſich von ſeinem Aerger, ſich uͤberliſtet zu ſehen, ſchlug Praͤfektur und Julidekoration aus, verſagte dem neuen Koͤnigthum den Eid, und begann gegen den 7. Auguſt und den 13. Maͤrz einen Kampf, den ſchon mancher glaͤnzende Sieg gekroͤnt hat. Die Zukunft Frankreichs, die Republik, traͤgt bei ihren verſchiednen Propheten nicht dieſelbe Phyſiognomie. Die Republik der Tribuͤne iſt keine Perſpektive der Combination, ſondern eine Tradition, eine blutige Er¬ innerung, eine ambulante Guillotine, welche mitten in das Gewirr des Tages hineinfaͤhrt. Es ſind die al¬ ten Carmagnolen und Wohlfahrtsausſchuͤſſe, vielleicht ohne Blutgier, vielleicht nur Formen, die den Mangel neuer Begriffe erſetzen ſollen. Die Republik der Tri¬ buͤne iſt noch nicht conſtituirt, ihre Geſetze ſind noch

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/249>, abgerufen am 16.05.2024.