dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬ teratur hatte noch ein imponirendes Ansehen, einen Reiz der Neuheit, eine Herrschaft über die öffentliche Meinung, welche die politische Autorität verführte, sich mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hörte, da der Zu¬ sammensturz des Ganzen immer näher kam, auf die Vorschläge des Privatmannes; ein geistreiches Memoire, das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten und vornehm zurückweisen würde, fand Theilnahme und beschäftigte die Aufmerksamkeit der höchsten Per¬ sonen.
Als die Schlacht bei Jena das Schicksal des Staa¬ tes entschieden hatte, steigerte sich diese Achtung vor der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer hätte damals, als die schwatzhafte preußische Literatur von 1806 auf¬ kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder gestan¬ den, die Dinge eine bessere Wendung genommen hät¬ ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬ ner, Schauspieler und Glashändler Heinrich von Bü¬ low ein großer Feldherr gewesen wäre, und beklagte es, ihn im Gefängniß von Riga haben stecken zu lassen. Jetzt wurde sogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬ ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moräste von Wusterhausen unter Wasser setzen sollte. Man suchte
Ancillon.
dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬ teratur hatte noch ein imponirendes Anſehen, einen Reiz der Neuheit, eine Herrſchaft uͤber die oͤffentliche Meinung, welche die politiſche Autoritaͤt verfuͤhrte, ſich mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hoͤrte, da der Zu¬ ſammenſturz des Ganzen immer naͤher kam, auf die Vorſchlaͤge des Privatmannes; ein geiſtreiches Memoire, das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten und vornehm zuruͤckweiſen wuͤrde, fand Theilnahme und beſchaͤftigte die Aufmerkſamkeit der hoͤchſten Per¬ ſonen.
Als die Schlacht bei Jena das Schickſal des Staa¬ tes entſchieden hatte, ſteigerte ſich dieſe Achtung vor der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer haͤtte damals, als die ſchwatzhafte preußiſche Literatur von 1806 auf¬ kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder geſtan¬ den, die Dinge eine beſſere Wendung genommen haͤt¬ ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬ ner, Schauſpieler und Glashaͤndler Heinrich von Buͤ¬ low ein großer Feldherr geweſen waͤre, und beklagte es, ihn im Gefaͤngniß von Riga haben ſtecken zu laſſen. Jetzt wurde ſogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬ ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moraͤſte von Wuſterhauſen unter Waſſer ſetzen ſollte. Man ſuchte
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Ancillon.
dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬
teratur hatte noch ein imponirendes Anſehen, einen
Reiz der Neuheit, eine Herrſchaft uͤber die oͤffentliche
Meinung, welche die politiſche Autoritaͤt verfuͤhrte, ſich
mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hoͤrte, da der Zu¬
ſammenſturz des Ganzen immer naͤher kam, auf die
Vorſchlaͤge des Privatmannes; ein geiſtreiches Memoire,
das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten
und vornehm zuruͤckweiſen wuͤrde, fand Theilnahme
und beſchaͤftigte die Aufmerkſamkeit der hoͤchſten Per¬
ſonen.
Als die Schlacht bei Jena das Schickſal des Staa¬
tes entſchieden hatte, ſteigerte ſich dieſe Achtung vor
der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer haͤtte damals,
als die ſchwatzhafte preußiſche Literatur von 1806 auf¬
kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder geſtan¬
den, die Dinge eine beſſere Wendung genommen haͤt¬
ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬
ner, Schauſpieler und Glashaͤndler Heinrich von Buͤ¬
low ein großer Feldherr geweſen waͤre, und beklagte es,
ihn im Gefaͤngniß von Riga haben ſtecken zu laſſen.
Jetzt wurde ſogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬
ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moraͤſte von
Wuſterhauſen unter Waſſer ſetzen ſollte. Man ſuchte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/265>, abgerufen am 29.07.2024.
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