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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Ancillon.
dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬
teratur hatte noch ein imponirendes Ansehen, einen
Reiz der Neuheit, eine Herrschaft über die öffentliche
Meinung, welche die politische Autorität verführte, sich
mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hörte, da der Zu¬
sammensturz des Ganzen immer näher kam, auf die
Vorschläge des Privatmannes; ein geistreiches Memoire,
das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten
und vornehm zurückweisen würde, fand Theilnahme
und beschäftigte die Aufmerksamkeit der höchsten Per¬
sonen.

Als die Schlacht bei Jena das Schicksal des Staa¬
tes entschieden hatte, steigerte sich diese Achtung vor
der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer hätte damals,
als die schwatzhafte preußische Literatur von 1806 auf¬
kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder gestan¬
den, die Dinge eine bessere Wendung genommen hät¬
ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬
ner, Schauspieler und Glashändler Heinrich von Bü¬
low ein großer Feldherr gewesen wäre, und beklagte es,
ihn im Gefängniß von Riga haben stecken zu lassen.
Jetzt wurde sogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬
ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moräste von
Wusterhausen unter Wasser setzen sollte. Man suchte

Ancillon.
dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬
teratur hatte noch ein imponirendes Anſehen, einen
Reiz der Neuheit, eine Herrſchaft uͤber die oͤffentliche
Meinung, welche die politiſche Autoritaͤt verfuͤhrte, ſich
mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hoͤrte, da der Zu¬
ſammenſturz des Ganzen immer naͤher kam, auf die
Vorſchlaͤge des Privatmannes; ein geiſtreiches Memoire,
das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten
und vornehm zuruͤckweiſen wuͤrde, fand Theilnahme
und beſchaͤftigte die Aufmerkſamkeit der hoͤchſten Per¬
ſonen.

Als die Schlacht bei Jena das Schickſal des Staa¬
tes entſchieden hatte, ſteigerte ſich dieſe Achtung vor
der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer haͤtte damals,
als die ſchwatzhafte preußiſche Literatur von 1806 auf¬
kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder geſtan¬
den, die Dinge eine beſſere Wendung genommen haͤt¬
ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬
ner, Schauſpieler und Glashaͤndler Heinrich von Buͤ¬
low ein großer Feldherr geweſen waͤre, und beklagte es,
ihn im Gefaͤngniß von Riga haben ſtecken zu laſſen.
Jetzt wurde ſogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬
ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moraͤſte von
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[247/0265] Ancillon. dem Talent und der Vaterlandsliebe zu Hilfe; die Li¬ teratur hatte noch ein imponirendes Anſehen, einen Reiz der Neuheit, eine Herrſchaft uͤber die oͤffentliche Meinung, welche die politiſche Autoritaͤt verfuͤhrte, ſich mit ihrem Glanze zu bekleiden; man hoͤrte, da der Zu¬ ſammenſturz des Ganzen immer naͤher kam, auf die Vorſchlaͤge des Privatmannes; ein geiſtreiches Memoire, das man heute wie aus der Luft gegriffen betrachten und vornehm zuruͤckweiſen wuͤrde, fand Theilnahme und beſchaͤftigte die Aufmerkſamkeit der hoͤchſten Per¬ ſonen. Als die Schlacht bei Jena das Schickſal des Staa¬ tes entſchieden hatte, ſteigerte ſich dieſe Achtung vor der Oeffentlichkeit immer mehr; denn wer haͤtte damals, als die ſchwatzhafte preußiſche Literatur von 1806 auf¬ kam, nicht behauptet, daß wenn er am Ruder geſtan¬ den, die Dinge eine beſſere Wendung genommen haͤt¬ ten? Jetzt glaubte man, daß der Lieutenant, Jakobi¬ ner, Schauſpieler und Glashaͤndler Heinrich von Buͤ¬ low ein großer Feldherr geweſen waͤre, und beklagte es, ihn im Gefaͤngniß von Riga haben ſtecken zu laſſen. Jetzt wurde ſogar Julius von Voß aufgefordert, Preu¬ ßen zu retten, indem er Berlin durch die Moraͤſte von Wuſterhauſen unter Waſſer ſetzen ſollte. Man ſuchte

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/265>, abgerufen am 24.11.2024.