Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Talleyrand. der Montmorency oder Levis? Bis dahin stieg dieLeidenschaft des geächteten Priesters nicht, obschon er sich selbst die Indulgenz der Ehe gestattete. Er hatte andere Sympathien; er liebte die gute Hausfrau, und es war nur zufällige Romantik, daß Frau Grandt aus Ostindien stammte. Zu der blendenden Schönheit die¬ ser Dame gesellte sich eine muntre, prononcirte Ein¬ falt: der arme Exbischof mußte seiner zärtlichen Nei¬ gung wegen viel leiden. Aber er setzte sich über den bösen Leumund hinweg und sehnte sich nicht nach dem Glücke, das inzwischen Herr v. Chateaubriand in den Urwäldern bei den Hasen- und Fuchs-Indianern em¬ pfand. Er war in Verzweiflung, daß ihn das Laby¬ rinth der Langeweile, aus welchem ihn nur zuweilen der Faden vom Strickstrumpf der Frau Grandt ret¬ tete, nicht losließ. Er sehnte sich nach dem schönen Himmel von Frankreich und Navarra: die Guillotine war ermüdet: Talleyrand sah nichts mehr, was fürch¬ terlich gewesen wäre. Er schrieb an den Konvent, er schrieb im Tone des patriotischen Heimwehs, er weinte trotz einem Schweizer, betheuerte, daß er bei Franklin und Washington sich in seinen republikanischen Tugen¬ den immer mehr vervollkommnet habe, und verlangte die Zurücknahme seines Anklagedekrets. Der Bürger Talleyrand. der Montmorency oder Levis? Bis dahin ſtieg dieLeidenſchaft des geaͤchteten Prieſters nicht, obſchon er ſich ſelbſt die Indulgenz der Ehe geſtattete. Er hatte andere Sympathien; er liebte die gute Hausfrau, und es war nur zufaͤllige Romantik, daß Frau Grandt aus Oſtindien ſtammte. Zu der blendenden Schoͤnheit die¬ ſer Dame geſellte ſich eine muntre, prononcirte Ein¬ falt: der arme Exbiſchof mußte ſeiner zaͤrtlichen Nei¬ gung wegen viel leiden. Aber er ſetzte ſich uͤber den boͤſen Leumund hinweg und ſehnte ſich nicht nach dem Gluͤcke, das inzwiſchen Herr v. Chateaubriand in den Urwaͤldern bei den Haſen- und Fuchs-Indianern em¬ pfand. Er war in Verzweiflung, daß ihn das Laby¬ rinth der Langeweile, aus welchem ihn nur zuweilen der Faden vom Strickſtrumpf der Frau Grandt ret¬ tete, nicht losließ. Er ſehnte ſich nach dem ſchoͤnen Himmel von Frankreich und Navarra: die Guillotine war ermuͤdet: Talleyrand ſah nichts mehr, was fuͤrch¬ terlich geweſen waͤre. Er ſchrieb an den Konvent, er ſchrieb im Tone des patriotiſchen Heimwehs, er weinte trotz einem Schweizer, betheuerte, daß er bei Franklin und Waſhington ſich in ſeinen republikaniſchen Tugen¬ den immer mehr vervollkommnet habe, und verlangte die Zuruͤcknahme ſeines Anklagedekrets. Der Buͤrger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw>der Montmorency oder Levis? Bis dahin ſtieg die<lb/> Leidenſchaft des geaͤchteten Prieſters nicht, obſchon er<lb/> ſich ſelbſt die Indulgenz der Ehe geſtattete. Er hatte<lb/> andere Sympathien; er liebte die gute Hausfrau, und<lb/> es war nur zufaͤllige Romantik, daß Frau Grandt aus<lb/> Oſtindien ſtammte. Zu der blendenden Schoͤnheit die¬<lb/> ſer Dame geſellte ſich eine muntre, prononcirte Ein¬<lb/> falt: der arme Exbiſchof mußte ſeiner zaͤrtlichen <choice><sic>Nei¬<lb/> gang</sic><corr>Nei¬<lb/> gung</corr></choice> wegen viel leiden. Aber er ſetzte ſich uͤber den<lb/> boͤſen Leumund hinweg und ſehnte ſich nicht nach dem<lb/> Gluͤcke, das inzwiſchen Herr v. Chateaubriand in den<lb/> Urwaͤldern bei den Haſen- und Fuchs-Indianern em¬<lb/> pfand. Er war in Verzweiflung, daß ihn das Laby¬<lb/> rinth der Langeweile, aus welchem ihn nur zuweilen<lb/> der Faden vom Strickſtrumpf der Frau Grandt ret¬<lb/> tete, nicht losließ. Er ſehnte ſich nach dem ſchoͤnen<lb/> Himmel von Frankreich und Navarra: die Guillotine<lb/> war ermuͤdet: Talleyrand ſah nichts mehr, was fuͤrch¬<lb/> terlich geweſen waͤre. Er ſchrieb an den Konvent, er<lb/> ſchrieb im Tone des patriotiſchen Heimwehs, er weinte<lb/> trotz einem Schweizer, betheuerte, daß er bei Franklin<lb/> und Waſhington ſich in ſeinen republikaniſchen Tugen¬<lb/> den immer mehr vervollkommnet habe, und verlangte<lb/> die Zuruͤcknahme ſeines Anklagedekrets. Der Buͤrger<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0028]
Talleyrand.
der Montmorency oder Levis? Bis dahin ſtieg die
Leidenſchaft des geaͤchteten Prieſters nicht, obſchon er
ſich ſelbſt die Indulgenz der Ehe geſtattete. Er hatte
andere Sympathien; er liebte die gute Hausfrau, und
es war nur zufaͤllige Romantik, daß Frau Grandt aus
Oſtindien ſtammte. Zu der blendenden Schoͤnheit die¬
ſer Dame geſellte ſich eine muntre, prononcirte Ein¬
falt: der arme Exbiſchof mußte ſeiner zaͤrtlichen Nei¬
gung wegen viel leiden. Aber er ſetzte ſich uͤber den
boͤſen Leumund hinweg und ſehnte ſich nicht nach dem
Gluͤcke, das inzwiſchen Herr v. Chateaubriand in den
Urwaͤldern bei den Haſen- und Fuchs-Indianern em¬
pfand. Er war in Verzweiflung, daß ihn das Laby¬
rinth der Langeweile, aus welchem ihn nur zuweilen
der Faden vom Strickſtrumpf der Frau Grandt ret¬
tete, nicht losließ. Er ſehnte ſich nach dem ſchoͤnen
Himmel von Frankreich und Navarra: die Guillotine
war ermuͤdet: Talleyrand ſah nichts mehr, was fuͤrch¬
terlich geweſen waͤre. Er ſchrieb an den Konvent, er
ſchrieb im Tone des patriotiſchen Heimwehs, er weinte
trotz einem Schweizer, betheuerte, daß er bei Franklin
und Waſhington ſich in ſeinen republikaniſchen Tugen¬
den immer mehr vervollkommnet habe, und verlangte
die Zuruͤcknahme ſeines Anklagedekrets. Der Buͤrger
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