Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Rothschild.
welches über Europa schweben muß, wenn man weiß,
daß die Schulden aller Staaten zusammengenommen
die Masse des vorhandenen Geldes bei weitem über¬
steigen! Wenn es nur dis wäre, daß die Borgenden
mehr borgten, als sie kurz darauf besitzen, so kommt
das alle Tage vor; aber daß selbst die Gebenden mehr
gegeben haben, als überhaupt Geld in der Welt ist,
das ist ein Widerspruch, der unglaublich scheint.

Sehet hier wieder den Satz von Adam Smith:
aber nun haben sich beide Theile vorgesehen; denn die
Schuldenmasse kann nie aufgekündigt werden: ihr reel¬
ler Werth ist nur das, was sie an Zins beträgt.
Jetzt haben wir eine reelle, wahrhaftige Poesie, deren
einziges Unglück ihre Gegner sind. Denn es gibt
rauhe und empfindungslose Menschen, welche für ein
so romantisches Gedicht, wie das Anleihesystem ist,
gar kein Ohr haben. Sie behaupten, daß es unver¬
antwortlich wäre, wenn die Völker die Spaziergänge
der Kapitalisten bezahlen müssen. Sie sind damit noch
nicht einmal zufrieden, daß blos von einer Verzinsung
fremder Imaginationen die Rede ist, nicht von einer
Heimzahlung des ganzen Kapitals. Sie glauben sich
aus finanziellen, moralischen und politischen Gründen
gegen das herrschende System erklären zu müssen.

Rothſchild.
welches uͤber Europa ſchweben muß, wenn man weiß,
daß die Schulden aller Staaten zuſammengenommen
die Maſſe des vorhandenen Geldes bei weitem uͤber¬
ſteigen! Wenn es nur dis waͤre, daß die Borgenden
mehr borgten, als ſie kurz darauf beſitzen, ſo kommt
das alle Tage vor; aber daß ſelbſt die Gebenden mehr
gegeben haben, als uͤberhaupt Geld in der Welt iſt,
das iſt ein Widerſpruch, der unglaublich ſcheint.

Sehet hier wieder den Satz von Adam Smith:
aber nun haben ſich beide Theile vorgeſehen; denn die
Schuldenmaſſe kann nie aufgekuͤndigt werden: ihr reel¬
ler Werth iſt nur das, was ſie an Zins betraͤgt.
Jetzt haben wir eine reelle, wahrhaftige Poeſie, deren
einziges Ungluͤck ihre Gegner ſind. Denn es gibt
rauhe und empfindungsloſe Menſchen, welche fuͤr ein
ſo romantiſches Gedicht, wie das Anleiheſyſtem iſt,
gar kein Ohr haben. Sie behaupten, daß es unver¬
antwortlich waͤre, wenn die Voͤlker die Spaziergaͤnge
der Kapitaliſten bezahlen muͤſſen. Sie ſind damit noch
nicht einmal zufrieden, daß blos von einer Verzinſung
fremder Imaginationen die Rede iſt, nicht von einer
Heimzahlung des ganzen Kapitals. Sie glauben ſich
aus finanziellen, moraliſchen und politiſchen Gruͤnden
gegen das herrſchende Syſtem erklaͤren zu muͤſſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0296" n="278"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Roth&#x017F;child</hi>.<lb/></fw>welches u&#x0364;ber Europa &#x017F;chweben muß, wenn man weiß,<lb/>
daß die Schulden aller Staaten zu&#x017F;ammengenommen<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;e des vorhandenen Geldes bei weitem u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;teigen! Wenn es nur dis wa&#x0364;re, daß die Borgenden<lb/>
mehr borgten, als &#x017F;ie kurz darauf be&#x017F;itzen, &#x017F;o kommt<lb/>
das alle Tage vor; aber daß &#x017F;elb&#x017F;t die Gebenden mehr<lb/>
gegeben haben, als u&#x0364;berhaupt Geld in der Welt i&#x017F;t,<lb/>
das i&#x017F;t ein Wider&#x017F;pruch, der unglaublich &#x017F;cheint.</p><lb/>
        <p>Sehet hier wieder den Satz von Adam Smith:<lb/>
aber nun haben &#x017F;ich beide Theile vorge&#x017F;ehen; denn die<lb/>
Schuldenma&#x017F;&#x017F;e kann nie aufgeku&#x0364;ndigt werden: ihr reel¬<lb/>
ler Werth i&#x017F;t nur das, was &#x017F;ie an <hi rendition="#g">Zins</hi> betra&#x0364;gt.<lb/>
Jetzt haben wir eine reelle, wahrhaftige Poe&#x017F;ie, deren<lb/>
einziges Unglu&#x0364;ck ihre Gegner &#x017F;ind. Denn es gibt<lb/>
rauhe und empfindungslo&#x017F;e Men&#x017F;chen, welche fu&#x0364;r ein<lb/>
&#x017F;o romanti&#x017F;ches Gedicht, wie das Anleihe&#x017F;y&#x017F;tem i&#x017F;t,<lb/>
gar kein Ohr haben. Sie behaupten, daß es unver¬<lb/>
antwortlich wa&#x0364;re, wenn die Vo&#x0364;lker die Spazierga&#x0364;nge<lb/>
der Kapitali&#x017F;ten bezahlen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Sie &#x017F;ind damit noch<lb/>
nicht einmal zufrieden, daß blos von einer Verzin&#x017F;ung<lb/>
fremder Imaginationen die Rede i&#x017F;t, nicht von einer<lb/>
Heimzahlung des ganzen Kapitals. Sie glauben &#x017F;ich<lb/>
aus finanziellen, morali&#x017F;chen und politi&#x017F;chen Gru&#x0364;nden<lb/>
gegen das herr&#x017F;chende Sy&#x017F;tem erkla&#x0364;ren zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0296] Rothſchild. welches uͤber Europa ſchweben muß, wenn man weiß, daß die Schulden aller Staaten zuſammengenommen die Maſſe des vorhandenen Geldes bei weitem uͤber¬ ſteigen! Wenn es nur dis waͤre, daß die Borgenden mehr borgten, als ſie kurz darauf beſitzen, ſo kommt das alle Tage vor; aber daß ſelbſt die Gebenden mehr gegeben haben, als uͤberhaupt Geld in der Welt iſt, das iſt ein Widerſpruch, der unglaublich ſcheint. Sehet hier wieder den Satz von Adam Smith: aber nun haben ſich beide Theile vorgeſehen; denn die Schuldenmaſſe kann nie aufgekuͤndigt werden: ihr reel¬ ler Werth iſt nur das, was ſie an Zins betraͤgt. Jetzt haben wir eine reelle, wahrhaftige Poeſie, deren einziges Ungluͤck ihre Gegner ſind. Denn es gibt rauhe und empfindungsloſe Menſchen, welche fuͤr ein ſo romantiſches Gedicht, wie das Anleiheſyſtem iſt, gar kein Ohr haben. Sie behaupten, daß es unver¬ antwortlich waͤre, wenn die Voͤlker die Spaziergaͤnge der Kapitaliſten bezahlen muͤſſen. Sie ſind damit noch nicht einmal zufrieden, daß blos von einer Verzinſung fremder Imaginationen die Rede iſt, nicht von einer Heimzahlung des ganzen Kapitals. Sie glauben ſich aus finanziellen, moraliſchen und politiſchen Gruͤnden gegen das herrſchende Syſtem erklaͤren zu muͤſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/296
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/296>, abgerufen am 29.05.2024.