Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Der Sultan. welche bei der Belagerung Wiens in den Stephans¬thurm fiel, war die letzte der alten Schreckenszeit, wo man die Türken fürchtete wie den Antichrist. Seither ist die Pforte auf ihre Grenze beschränkt; aber da der Islam eine Religion der Unruhe und Ausdehnung ist, da der Türke überall, wo er sich niederläßt, nur ge¬ wohnt ist, wie im Feldlager zu leben, so mußte mit dem schwindenden Kriegsglück auch innerlich der Ver¬ fall hereinbrechen. Die Türkei wollte aus ihrem im¬ provisirten, durch die Wechselfälle der Eroberung be¬ stimmten Besitze jetzt einen dauernden Zustand schaffen, und so etablirte sich aus halben, gährenden und gänz¬ lich fremdartigen Verhältnissen eine Herrschaft, welche sich rächen und auf Genuß und Vertheidigung sich be¬ schränken wollte. Während Kriegshauptleute und Günstlinge auf eine tumultuarische Weise mit den Pro¬ vinzen des Reichs belehnt wurden, zogen sich die Sul¬ tane in die Serails zurück, und drängten die osma¬ nische Geschichte von jetzt an zusammen auf das kleine Terrain häuslicher Intrigue, aus jene Gefängnisse, in welchen Söhne Väter, Brüder ihre Geschwister erdrosseln ließen, auf einen ganz kurzen Raum vom Serail bis zu einem Kiosk am Meere, wo unter Rosenhecken Mord und Verrath ersonnen wurde und Alles so still ist, daß Der Sultan. welche bei der Belagerung Wiens in den Stephans¬thurm fiel, war die letzte der alten Schreckenszeit, wo man die Tuͤrken fuͤrchtete wie den Antichriſt. Seither iſt die Pforte auf ihre Grenze beſchraͤnkt; aber da der Islam eine Religion der Unruhe und Ausdehnung iſt, da der Tuͤrke uͤberall, wo er ſich niederlaͤßt, nur ge¬ wohnt iſt, wie im Feldlager zu leben, ſo mußte mit dem ſchwindenden Kriegsgluͤck auch innerlich der Ver¬ fall hereinbrechen. Die Tuͤrkei wollte aus ihrem im¬ proviſirten, durch die Wechſelfaͤlle der Eroberung be¬ ſtimmten Beſitze jetzt einen dauernden Zuſtand ſchaffen, und ſo etablirte ſich aus halben, gaͤhrenden und gaͤnz¬ lich fremdartigen Verhaͤltniſſen eine Herrſchaft, welche ſich raͤchen und auf Genuß und Vertheidigung ſich be¬ ſchraͤnken wollte. Waͤhrend Kriegshauptleute und Guͤnſtlinge auf eine tumultuariſche Weiſe mit den Pro¬ vinzen des Reichs belehnt wurden, zogen ſich die Sul¬ tane in die Serails zuruͤck, und draͤngten die osma¬ niſche Geſchichte von jetzt an zuſammen auf das kleine Terrain haͤuslicher Intrigue, aus jene Gefaͤngniſſe, in welchen Soͤhne Vaͤter, Bruͤder ihre Geſchwiſter erdroſſeln ließen, auf einen ganz kurzen Raum vom Serail bis zu einem Kiosk am Meere, wo unter Roſenhecken Mord und Verrath erſonnen wurde und Alles ſo ſtill iſt, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0326" n="308"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Sultan</hi>.<lb/></fw>welche bei der Belagerung Wiens in den Stephans¬<lb/> thurm fiel, war die letzte der alten Schreckenszeit, wo<lb/> man die Tuͤrken fuͤrchtete wie den Antichriſt. Seither<lb/> iſt die Pforte auf ihre Grenze beſchraͤnkt; aber da der<lb/> Islam eine Religion der Unruhe und Ausdehnung iſt,<lb/> da der Tuͤrke uͤberall, wo er ſich niederlaͤßt, nur ge¬<lb/> wohnt iſt, wie im Feldlager zu leben, ſo mußte mit<lb/> dem ſchwindenden Kriegsgluͤck auch innerlich der Ver¬<lb/> fall hereinbrechen. Die Tuͤrkei wollte aus ihrem im¬<lb/> proviſirten, durch die Wechſelfaͤlle der Eroberung be¬<lb/> ſtimmten Beſitze jetzt einen dauernden Zuſtand ſchaffen,<lb/> und ſo etablirte ſich aus halben, gaͤhrenden und gaͤnz¬<lb/> lich fremdartigen Verhaͤltniſſen eine Herrſchaft, welche<lb/> ſich raͤchen und auf Genuß und Vertheidigung ſich be¬<lb/> ſchraͤnken wollte. Waͤhrend Kriegshauptleute und<lb/> Guͤnſtlinge auf eine tumultuariſche Weiſe mit den Pro¬<lb/> vinzen des Reichs belehnt wurden, zogen ſich die Sul¬<lb/> tane in die Serails zuruͤck, und draͤngten die osma¬<lb/> niſche Geſchichte von jetzt an zuſammen auf das kleine<lb/> Terrain haͤuslicher Intrigue, aus jene Gefaͤngniſſe, in<lb/> welchen Soͤhne Vaͤter, Bruͤder ihre Geſchwiſter erdroſſeln<lb/> ließen, auf einen ganz kurzen Raum vom Serail bis<lb/> zu einem Kiosk am Meere, wo unter Roſenhecken Mord<lb/> und Verrath erſonnen wurde und Alles ſo ſtill iſt, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [308/0326]
Der Sultan.
welche bei der Belagerung Wiens in den Stephans¬
thurm fiel, war die letzte der alten Schreckenszeit, wo
man die Tuͤrken fuͤrchtete wie den Antichriſt. Seither
iſt die Pforte auf ihre Grenze beſchraͤnkt; aber da der
Islam eine Religion der Unruhe und Ausdehnung iſt,
da der Tuͤrke uͤberall, wo er ſich niederlaͤßt, nur ge¬
wohnt iſt, wie im Feldlager zu leben, ſo mußte mit
dem ſchwindenden Kriegsgluͤck auch innerlich der Ver¬
fall hereinbrechen. Die Tuͤrkei wollte aus ihrem im¬
proviſirten, durch die Wechſelfaͤlle der Eroberung be¬
ſtimmten Beſitze jetzt einen dauernden Zuſtand ſchaffen,
und ſo etablirte ſich aus halben, gaͤhrenden und gaͤnz¬
lich fremdartigen Verhaͤltniſſen eine Herrſchaft, welche
ſich raͤchen und auf Genuß und Vertheidigung ſich be¬
ſchraͤnken wollte. Waͤhrend Kriegshauptleute und
Guͤnſtlinge auf eine tumultuariſche Weiſe mit den Pro¬
vinzen des Reichs belehnt wurden, zogen ſich die Sul¬
tane in die Serails zuruͤck, und draͤngten die osma¬
niſche Geſchichte von jetzt an zuſammen auf das kleine
Terrain haͤuslicher Intrigue, aus jene Gefaͤngniſſe, in
welchen Soͤhne Vaͤter, Bruͤder ihre Geſchwiſter erdroſſeln
ließen, auf einen ganz kurzen Raum vom Serail bis
zu einem Kiosk am Meere, wo unter Roſenhecken Mord
und Verrath erſonnen wurde und Alles ſo ſtill iſt, daß
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